Im Jahr 1600 herrschen im feudalen Japan düstere Zeiten. Es gibt keinen Kaiser, keinen Shogun, der das Land eint, deswegen tobt ein ständiger blutiger Kampf um Macht. Soweit reale Fakten, doch nun wird es fantastisch: Zu den blutigen Fehden kommt eine Bedrohung durch Monster hinzu, die Yokai. Wie angelockt durch das Blutvergießen mischen sie sich in das Chaos ein und sorgen für noch mehr Vernichtung. Mittendrin: Ein Holländer namens William, der erste Europäer, der sich anschickt, ein Samurai zu werden. Er verfolgt einen eingeschworenen Feind, dessen Leben er ein Ende bereiten will: Edward Kelly. Der hat es auf den magischen Amrita-Stein abgesehen, genauso wie die britische Königin, denn er verleiht übermenschliche Kräfte und könnte den Kriegsvorteil gegen Spanien bringen. Mit William lernen wir also die Schwertkunst von Kleinauf. Oder die Axtkunst, Gewehrkunst etc., denn natürlich existiert eine Vielzahl an wählbaren Waffen, mit denen William sich gegen Samurais, Ritter und Yokai zur Wehr setzen muss. Und er ist alles andere als ein übermächtiger Held.
Im Verlies "Towers of London" werden wir ins kalte Wasser geschubst und sofort drängt sich ein Gedanke auf: Ist das denn hier "Dark Souls"? Die ultraharte Rollenspielperle stand mehr als eindeutig Pate für die Steuerung, das Gameplay und das ganze Spielgefühl. Auch in "Nioh" hat der Spieler nur relativ wenig Lebensenergie und dazu einen Ausdauerbalken. Ist der leer, werden Angriffe unmöglich. Auch das Blocken von gegnerischen Attacken ist essentiell, denn schon die Wachen im Tower machen schmerzlich bewusst: Jeder banale Fußsoldat kann und wird hier öfters den sicheren Tod bedeuten. William findet Stück für Stück mehr Ausrüstung bei erledigten Gegnern und in Kisten, mit denen die Überlebenschancen gesteigert werden. Bei der Ankunft in Japan zeigt sich jedoch: Draufhauen ist nicht immer die beste Taktik. "Nioh" ist kein Hack-n-Slay, schon bei zwei gleichzeitig angreifenden Gegnern wird es brenzlig. Ein filigraner Tanz aus Blocken, Ausweichen, Angreifen und der Regeneration von Ausdauer beginnt.
Nicht wunderschön, aber mit viel Charakter
Nun war "Nioh" gut zehn Jahre in der Entwicklung, was man der technischen Seite leider etwas anmerkt. Trotz Unterstützung der PS4 Pro muss man sagen, dass das Spiel grafisch eher auf Niveau der PlayStation 3 ist. Viele Texturen sind übertrieben glänzende Tapeten und wirken detailarm. Die Figurenmodelle und Animationen gehen gerade so in Ordnung. Einen Preis für die schönste Optik wird "Nioh" nicht gewinnen. Aber: Die Inszenierung macht vieles wieder wett. So sind die Welten sehr schön ausgestattet und vor allem: atmosphärisch dicht. Die Mischung aus realistischer Kulisse und Monstern macht viel her, die bedrohlich-reduzierte und sehr detaillierte Geräuschkulisse erledigt den Rest. Das lässt die technischen Schwächen schnell vergessen.
Weisheiten für das wirkliche Leben
"Nioh" geht nicht auf die Nerven, aber an die Nerven. Gelegenheitsspieler werden überfordert, wer schon mit "Dark Souls" und "Bloodborne" nichts anfangen konnte, der sollte schreiend davonlaufen. Hier geht es nicht um das Durchrennen durch ein Spiel voller leichtem Entertainment, es geht um eine echte Samurai-Prüfung für den Spieler: Lerne den Umgang mit deinen Waffen. Sei geduldig. Verzweifle nicht an Fehlern. Finde deine Wege. Letztlich lassen sich so echte Lehren fürs Leben herausziehen, denn oft genug stochert ihr ratlos im Dunkeln und scheitert dabei dutzendfach. Klassischer Fall: Eine Weggabelung. Gehe ich nach rechts oder links? Da steht eine Wache, aber keine Ahnung wie stark sie ist. Also den anderen Weg eingeschlagen und zack, von einem Yokai zu Hackepeter verarbeitet worden. Also wieder zu der Stelle durchkämpfen und den Weg des kleineren Übels wählen, bis die eigenen Fähigkeiten für den schwereren Weg ausreichen. Eine schöne Allegorie auf das reale Leben, oder? Irgendwie zumindest.
Das japanische Entwicklerstudio Team Ninja hat mit "Nioh" eine würdige Fernost-Version des "Dark Souls"-Prinzips geschaffen. Dank später hinzukommenden Nebenmissionen kann man sich gut 60 Stunden in der düsteren Welt verlieren und trotz eines gewissen Frustfaktors geht die Spielmechanik hervorragend auf. Schon 20-mal an einer Stelle gescheitert? Der 21. Versuch wird kommen, denn einerseits ist der Ehrgeiz geweckt - und andererseits zu spannend, welche mystische Kreatur oder tolle Waffe William an der nächsten Ecke erwartet. So geht Motivation.