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Cricket: Indien leidet

Es war der Knackpunkt im heißersehnten Halbfinale der Cricket-Weltmeisterschaft zwischen Australien und Indien. Australien hatte gerade vor heimischer Kulisse mit 328 Punkten einen neuen Rekord aufgestellt, nun war es am amtierenden Weltmeister zurückzuschlagen. Die Hoffnungen der Inder ruhten vor allem auf Superstar Virat Kohli. Der 26 Jahre alte Schlagmann aus Delhi hatte bis dato ein starkes Turnier gespielt, an normalen Tagen kann er locker mehr als 100 Punkte erzielen.

Doch im Halbfinale am Donnerstag war für Kohli schon nach wenigen Minuten Schluss. Mit gesenktem Kopf und nur einem einzigen Pünktchen für Indien musste Kohli das Feld wieder verlassen - und Australien war nicht mehr zu stoppen. Am Ende stand ein deutlicher Sieg für das Team aus „Down Under". Nun kommt es am Sonntag im Finale der Cricket-Weltmeisterschaft zum Duell der beiden Gastgeber Australien und Neuseeland.

Inder waren zuversichtlich

Dabei waren die Inder vor der Partie gegen den Rivalen siegessicher. Seit Tagen war überall zu lesen, dass die Mannschaft um Kapitän Mahendra Singh Dhoni nicht vorhabe, den Weltpokal wieder herzugeben. 28 Jahre hatten die indischen Cricketfans warten müssen, ehe man 2011 erstmals seit 1983 wieder den Weltmeistertitel gewinnen konnte. Entsprechend wurde im indischen Fernsehen die Devise ausgegeben: „We won't give it back!" Um ihr Team vor dem Fernseher zu unterstützen, hatten laut einer Umfrage des Fernsehsender „ESPN" 34 Prozent der befragten Inder vor, sich am Donnerstag krank zu melden.

Den Arbeitgebern ist die Cricket-Liebe ihrer Angestellten bekannt. Ein Vertreter der Citibank sagte gegenüber „Times of India": „Wir haben für Donnerstag alle Termine abgesagt, damit unsere Angestellten die Nation unterstützen können." Ein Interviewpartner dieser Zeitung bat, das Gespräch doch an einem anderen Tag fortzuführen und verabschiedete sich mit den Worten: „Und nicht vergessen für Indien zu beten. Wir alle haben heute blaues Blut." Eine Anspielung auf die Trikotfarbe der indischen Nationalmannschaft, sie spielt ganz in Blau. Doch all das reichte nicht.

Australiens alter Glanz

Für Australien ist der Sieg über Indien nicht nur ein Schritt hin zum nächsten Titelgewinn, sondern auch ein Schritt zu altem Glanz: Lange Zeit schien es, als wäre Australien unschlagbar. Das Team von „Down Under" konnte vier Mal den WM-Titel gewinnen, so oft wie kein anderes Land der Welt. Vor allem die 2000er Jahre standen ganz im Zeichen der australischen Dominanz. Bei den WM-Turnieren 1999, 2003 und 2007 wurde man drei Mal in Serie Weltmeister. Erst 2011 gelang es Indien, im heimischen Ahmedabad den australischen Seriensieger zu stoppen. Am Donnerstag gelang den Aussies vor heimischer Kulisse in Sydney die erhoffte Revanche. Für die Inder ist das ein harter Schlag, war man nach einer grandiosen Vorrunde doch ungeschlagen bis ins Halbfinale vorgedrungen.

Spiegelbild des britischen Kolonialreiches

Die Cricket-WM ist eines der größten Sportereignisse der Welt. Allein das brisante Auftaktspiel zwischen Indien und Pakistan verfolgten eine Milliarde Menschen live an den Fernsehgeräten. Dabei waren es Briten, die den Sport in die Region brachten. Noch heute ist die Liste der besten Cricket-Nationen ein Spiegelbild ihres ehemaligen Kolonialreiches: Australien, Neuseeland, Südafrika, Indien, Pakistan, Sri Lanka und die West Indies. Bei der aktuellen WM traten zudem Bangladesch, Afghanistan, Schottland, Irland, Simbabwe und die Vereinigten Arabischen Emirate an - und eben England.

Was einst als Spiel der Besatzer begann, ist jedoch längst fest in den Händen der ehemaligen Kolonien. Schon am vorletzten Vorrunden-Spieltag war das Aus der Engländer durch eine Niederlage gegen Bangladesch frühzeitig besiegelt.

Während in den ehemaligen Kolonien Cricket hoch im Kurs steht, können Europäer nicht sonderlich viel mit dem Sport anfangen. Die Regeln sind kompliziert, schon die Anzeigetafeln bei der WM sind für Laien ähnlich schwierig zu entschlüsseln wie eine altägyptische Hieroglyphentafel. Dabei ist die Grundidee des Cricket recht simpel: Ein Werfer und ein Schlagmann stehen sich gegenüber. Der Werfer versucht, eine kleine Holzkonstruktion aus drei Stäben und zwei Querstreben zu treffen, das sogenannte Wicket. Der Schlagmann wiederum verteidigt mit einem breiten Schläger sein Wicket. Durch geschicktes Schlagen des Balles kann der Verteidiger Punkte erzielen, während die Mannschaft des Werfers versucht, dies zu verhindern.

Doch viele Europäer haben eine altherrenhafte Vorstellung von Cricket. Sie denken an weiß gekleidete Männer, die untätig auf dem Feld herumstehen und auf den nächsten Wurf warten. Dabei stellt Cricket an die Spieler höchste athletische Anforderungen und verlangt stundenlange Konzentration. Gute Werfer verfügen über Dutzende Varianten: vom Geschoss mit 150 Stundenkilometern bis zum langsamen Flatterball. Der Schlagmann muss in Sekundenbruchteilen auf die jeweilige Wurf-Strategie reagieren. Diese Vielfalt an Optionen macht den eigentlichen Reiz des Spiels aus. Liebhaber sind der Meinung, ein Cricket-Spiel sei wie ein guter Roman: kompliziert im Aufbau, verzwickt in der Handlung, prickelnd in der Auflösung.

Doch die Inder werden sich wohl nicht allzu lange grämen. In wenigen Wochen beginnt die Saison der indischen Liga IPL. Sie gilt als die beste Liga der Welt, die Spieler aus aller Welt anlockt. Schon durchschnittlich begabte Ausländer können in der IPL rund 100.000 Euro verdienen. Topstars wie Virat Kohli erhalten ein Salär von bis zu zwei Millionen Euro. Und dann wird er hoffentlich auch wieder mehr Punkte erzielen.

 


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