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Bis heute hat Deutschland den Völkermord an den Herero und Nama nicht anerkannt

Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika Foto: epd

Frankfurt. "Die Herero wurden gejagt wie wilde Tiere, in die Wüste getrieben und in Lager gesteckt, doch davon redet heute keiner mehr", beklagt Israel Kaunatjike, ein Nachfahre von Überlebenden. Sein Volk wurde durch die "Deutsche Schutztruppe" in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, zwischen 1904 und 1908 fast ausgerottet. Dennoch gibt es seitens der deutschen Regierung bisher weder eine offizielle Entschuldigung für diese Verbrechen, noch eine Anerkennung als Völkermord.


Kaunatjikes Mutter ging aus der Beziehung seiner Großmutter mit einem deutschen Siedler hervor. Er selbst ist 1947 im heutigen Namibia geboren. Mit 17 Jahren musste er aus seiner Heimat fliehen, da er sich gegen die Apartheid der Besatzungsmacht Südafrika engagiert hatte. Sechs Jahre später erhielt er politisches Asyl in Deutschland. Seit Jahren setzt er sich für die Anerkennung des Völkermords ein.


Einen ersten Schritt tat 2004 die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Sie entschuldigte sich bei einer Gedenkveranstaltung in Namibia für die Gräueltaten des deutschen Kolonialismus. Das Schuldbekenntnis blieb jedoch eine Einzelstimme. Die Bundesregierung antwortete jüngst auf eine Anfrage der Grünen, der deutsche Außenminister und seine namibische Amtskollegin hätten "im Juni 2014 einen Dialogprozess begonnen". Dieser umfasse erstmals auch die Suche nach "einer gemeinsamen Sprache in Bezug auf den grausamen Kolonialkrieg".


Nachdem die Herero durch die Kolonialisierung ab 1884 immer mehr Land verloren hatten, erlitten sie durch die Rinderpest eine Hungersnot. Die deutschen Siedler beuteten die Stammesmitglieder fortan als billige Arbeitskräfte aus. Ab 1904 rebellierten die Herero gegen die verhassten Kolonialherren, unterlagen aber bei der Schlacht am Waterberg und flohen in die Omaheke-Wüste. Am 2. Oktober 1904 erteilte Generalleutnant Lothar von Trotha den Vernichtungsbefehl. In den folgenden drei Jahren wurden etwa 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama ermordet, der Rest in Konzentrationslager gesteckt oder vertrieben.


Unter Wissenschaftlern ist die Bezeichnung daher weitgehend unstrittig. "Was ab 1904 in Deutsch-Südwestafrika passierte, ist im Ergebnis ein Völkermord", sagt Medardus Brehl, Genozidforscher an der Ruhr-Universität Bochum. "Der Unterschied zu späteren Genoziden ist, dass es keinen lange vorbereiteten Plan gab." Strukturell sei der Völkermord also kein Vorbild für den Holocaust gewesen, habe aber für einen "Dammbruch" gesorgt.


Die Vereinten Nationen haben den Genozid an den Herero und Nama bereits 1948 als solchen anerkannt. "Ich verstehe nicht, warum sich die Bundesregierung damit so schwer tut", sagt Kaunatjike. Brehl zufolge spielen Entschädigungsforderungen dabei nur eine untergeordnete Rolle. "Vielmehr will man mit der Anerkennung anderer Genozide den Holocaust nicht relativieren. Das ist ein erinnerungspolitisches Argument, das ich für verständlich, aber falsch halte", sagt der Historiker.


Am 1. Juli hat die Grünen-Fraktion einen Antrag in den Bundestag eingereicht, in dem sie eine Anerkennung des Genozids fordert. Das Bündnis "Völkermord verjährt nicht!", an dem sich auch Kaunatjike beteiligt, überreichte zudem am 6. Juli einen entsprechenden Appell an das Bundespräsidialamt. Dafür ist eine Delegation aus führenden Herero und Nama nach Berlin gekommen. Offiziell empfangen wurden sie dort allerdings nicht.


Angehörige der deutschen Schutztruppen im Jahr 1896 mit gefangenen Hereros im damaligen Deutsch-Südwestafrika. 

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