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Feature

Wärmewende im Wohnzimmer

Beim Klimaschutz stehen Kohlestrom, Flugreisen und fossil befeuerte Autos im Fokus. Dabei hängt der Klimaschutz auch maßgeblich vom Energieverbrauch unserer Wohnungen und Häuser ab. Jeder kann die Emissionen – und Kosten – von Heizung und Warmwasser senken, ohne Komfortverlust, auch mit kleinem Budget. Eine Anleitung in fünf Schritten (Feature im Magazin natur)

Ein Dorf in Ostwestfalen. Von einem Hügel am Waldrand wandert der Blick über Getreidefelder und Wiesen, dazwischen stehen Windräder, Wohnsiedlungen und Gehöfte. Auf einigen Dächern glitzern Photovoltaikmodule. Der Wind weht, die Sonne sticht im Nacken – ideale Bedingungen für Ökostrom. Im ersten Quartal 2020 deckten erneuerbare Energien mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs in Deutschland ab. Man könnte meinen, es ginge voran mit der Energiewende.
Doch der Eindruck täuscht: Nicht nur, dass der Ausbau der Windenergie stagniert und der Ökostromrekord im Frühjahr Sondereffekten geschuldet war (außergewöhnlich viele Sonnenstunden, geringer Stromverbrauch aufgrund der Coronakrise). Die Sicht auf drehende Rotorflügel und schimmernde Siliziumzellen lenkt auch davon ab, dass sich auf einem anderen für die Energiewende wichtigen Feld wenig tut: bei der Wärme.
1. Machen Sie sich klar, worum es geht
Was nur wenige wissen: Wärme macht etwa die Hälfte des gesamten Energiebedarfs in Deutschland aus – so viel wie Verkehr (rund 30 Prozent) und Strom (circa 20 Prozent) zusammen. „Trotzdem ist das Thema Wärme, anders als Strom, in der Öffentlichkeit kaum präsent. Wir kennen unsere monatlichen Stromkosten genau. Aber kaum einer weiß: Was zahle ich für die Heizung?“, sagt Sophie Fabricius von der gemeinnützigen Beratungsgesellschaft Co2online. Das Heizen gerät außerhalb der kalten Jahreszeit fast in Vergessenheit, die Heizkostenabrechnung ist kompliziert und anders als bei Elektrogeräten blinkt und leuchtet an den Heizkörpern nichts: Die Wärme verpufft einfach.
Dabei lohnt sich eine genaue Inspektion der Heizkosten. Die mit Abstand meiste Energie in Privathaushalten wird fürs Heizen benötigt: 70 Prozent entfallen auf Raumwärme, 14 Prozent auf Warmwas-ser, nur 16 Prozent auf Strom. Insgesamt verbrauchen in Deutschland Gebäude mehr als ein Drittel der Endenergie – also jener Energie, die beim Verbraucher ankommt, in Form von Brennstoffen, Kraftstoffen oder Strom. Den mit 64 Prozent größten Anteil daran machen nicht Büros, Supermärkte, Hotels, Sporthallen oder Fabriken aus, sondern die bundesweit knapp 19 Millionen Wohnhäuser.
Die Energieeffizienz von Gebäuden gilt als zentraler Baustein für eine erfolgreiche Energiewende. „Je weniger Energie wir verbrauchen, desto schneller lässt sich der Bedarf durch erneuerbare Energien decken“, sagt Fabricius. Die Bundesregierung hat sich daher in ihrem Klimaschutzplan ehrgeizige Ziele gesteckt: Bis 2050 soll der Primärenergieverbrauch von Gebäuden um 80 Prozent sinken und der Gebäudebestand nahezu klimaneutral sein.
Bislang bleibt Deutschland jedoch hinter den eigenen Erwartungen zurück. Seit 2010 stagniert der Endenergieverbrauch für Raumwärme und Warmwasser in Wohngebäuden – trotz Energieeinsparverordnungen, Passivhäusern, staatlichen Darlehen und Zuschüssen. Der Hauptgrund: die niedrige Sanierungsrate im Gebäudebestand von nur einem Prozent pro Jahr. Nur gut ein Drittel aller Altbauten ist nachträglich gedämmt, nur knapp ein Fünftel aller Heizsysteme läuft effizient und nutzt erneuerbare Energien. Geht das so weiter, werde der Gebäudesektor 2030 bis zu 28 Millionen Tonnen mehr CO2 pro Jahr verursachen als im Klimaschutzplan vorgesehen, prognostiziert die Deutsche Energieagentur.
Dabei kann jede und jeder Einzelne den Verbrauch von Raumwärme und Warmwasser senken. Wie sehr sich das auszahlt, dokumentiert der Heizspiegel 2019, den Co2online gemeinsam mit dem Deutschen Mieterbund und dem Verband kommunaler Unternehmen im Auftrag des Bundesumweltministeriums erstellt hat. Ein zentrales Ergebnis: In einer 70 Quadratmeter großen Wohnung waren die Heizkosten im Schnitt nur etwa halb so hoch, wenn sie energetisch saniert war. Aber auch schon kleine Maßnahmen drücken die Heizkosten deutlich, entlasten die Umwelt und treiben die Energiewende voran.
2. Schließen Sie Wärmelecks
Um eine Idee davon zu bekommen, wie viel Energie durch schlecht isolierte Wohngebäude verloren geht, empfiehlt Arnold Drewer einen Blick vor die eigene Haustür: „Schauen Sie die Straße entlang: Was schätzen Sie, wie viele Häuser sind gut gedämmt?“ Drewer ist Geschäftsführer des Ipeg-Instituts für preisoptimierte energetische Gebäudesanierung und beschäftigt sich seit 32 Jahren mit nachträglicher Wärmedämmung im Altbau. Der Zustand vieler Gebäude stimmt ihn wenig zuversichtlich: „Die meisten Wohnhäuser in Deutschland wurden in den 50er und 60er Jahren gebaut, als Öl billig war und es noch so gut wie keine Anforderungen an den baulichen Wärmeschutz gab.“ Auch die Altbauten aus Vorkriegs- und Vorjahrhundert-Zeiten sind, was die Wärmedämmung angeht, Problemfälle. „Erst nach der Ölkrise 1973 legte die Wärmeschutzverordnung aus heutiger Sicht minimale Dämmstandards fest. Viele davor gebaute Häuser enthalten keinen Kubikzentimeter Dämmstoff“, sagt Drewer.
Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Das Energiesparpotenzial bei diesen Häusern ist riesig. Trotzdem hätten viele Leute Angst oder Vorurteile gegenüber einer nachträglichen Dämmung: „Sie glauben, dass das Dämmen zu teuer sei und sich nicht rechne. Da kann ich nur sagen: Heizenergie ist noch teurer, jedes Jahr mit steigender Tendenz.“
Oft müsse gar nicht die ganze Außenfassade neu gedämmt und verputzt werden, um die Heizkosten spürbar zu senken, weiß Arnold Drewer: „Bei drei bis vier Millionen Wohnhäusern in Deutschland ist das Mauerwerk zweischalig und dazwischen liegt Luft. Das ist so, als wenn Sie einen dicken Wintermantel anziehen und dann die Knöpfe nicht schließen.“ Um mit einem Schlauch nachträglich Dämmstoff in den Spalt zu blasen, bräuchten Handwerker einen halben Tag. Eine solche Kerndämmung koste im Schnitt etwa 2500 Euro und rechne sich – je nach Situation und verwendetem Dämmstoff – schon nach vier bis acht Jahren. Die nachträgliche Dämmung von Dachböden amortisiere sich sogar in ein bis drei Jahren.
Viele kleinere Wärmelecks lassen sich mit noch weniger Aufwand schließen, so Drewer. Beispiel Rollladenkasten: „Zwischen Innen- und Außenluft befinden sich gerade mal vier Millimeter Sperrholz. Und das Ganze bei einem Haus mit 16 Fenstern 16 Mal!“ Dabei können Sanierer die Kästen mit einem hochwertigen Dämmstoff unkompliziert ausdämmen. Auch im Spitzboden unterm Dach bietet sich eine nachträgliche Dämmung an. Wer das Dach nicht bewohnt, braucht den Dämmstoff nur auf die oberste Geschossdecke aufzulegen oder zu schütten – handwerklich Begabte können dies durchaus selber machen. Wichtig: Holzbalkendecken sind häufig hohl und müssen mit einem Einblasdämmstoff gefüllt werden, sonst funktioniert eine oberseitige Dämmung nicht. Auch bei einem begehbaren Dachgeschoss können Laien die Decke mit etwas Geschick selbst dämmen, sollten sich aber von einem Fachmann beraten lassen.
3. Schicken Sie Ihren alten Heizkessel in Rente
Nicht nur bei vielen Decken und Fassaden, auch in den meisten Heizkellern ist die Energiewende noch nicht angekommen. Zwar wird inzwischen jeder zweite Neubau mit einer Wärmepumpe oder per Fernwärme beheizt, aber in den Altbauten dominieren nach wie vor fossil befeuerte Heizkessel. Fast die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Erdgas versorgt, gut ein Viertel mit Öl.
Sophie Fabricius ermutigt Hauseigentümer, beim Heizen vollständig auf regenerative Energien umzusteigen: „Eine Heizung bleibt 15, 20 oder noch mehr Jahre im Haus. Wenn wir bis 2050 klimaneutrale Wohngebäude haben wollen, ist deshalb jetzt die richtige Zeit für einen Wechsel!“
Mit dem Austausch des Heizsystems machen sich Verbraucher unabhängig von fossilen Energieträgern und mitunter stark schwankenden Öl- oder Erdgaspreisen. Durch den CO2-Preis, auf den sich Bund und Länder im Zuge des Klimapakets geeinigt haben, wird das Heizen mit Öl oder Gas ab 2021 generell teurer. Langfristig lohnt sich der Wechsel nicht nur für das Klima, sondern auch den Geldbeutel.
Eine gängige Variante ist die Wärmepumpe. Sie nutzt Umweltwärme aus der Luft oder der Erde zum Heizen oder zur Warmwasserbereitung. Wer die Erdwärmepumpe mit Solarthermie kombiniert, kann seinen Wärmebedarf sogar fast komplett mit erneuerbaren Energien abdecken. Eine weitere Möglichkeit ist die Holzpelletheizung: Die Verbrennung der Presslinge gilt als weitgehend CO2-neutral, allerdings wird dabei Feinstaub freigesetzt. Wer die Pelletheizung mit einer Solarthermie-Anlage kombiniert, kann den Holzverbrauch deutlich verringern. Was sinnvoll ist, hängt von den eigenen Vorlieben und baulichen Gegebenheiten ab.
Beide Investitionen werden üppig gefördert: Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz Bafa, übernimmt beim Austausch der alten Ölheizung gegen eine Wärmepumpe oder Biomasseanlage bis zu 45 Prozent der Kosten. Bei alten Gas-Heizungen gibt‘s bis zu 35 Prozent.
Hat man sich für eine neue Heizung entschieden, rät Fabricius, das Heizsystem regelmäßig prüfen zu lassen. „Viele Anlagen arbeiten ineffizient, ohne dass die Eigentümer es mitbekommen.“ Die Verbraucherzentrale bietet einen unabhängigen Brennwert- oder Solarwärme-Check an. Heizungsbesitzer sollten sich zudem vom Installateur genau erklären lassen, wie sie die Heizung selbst einstellen und den Betrieb optimieren können.
4. Heizen Sie nicht zum Fenster raus
Was aber, wenn man nicht genug Geld auf der hohen Kante hat, um die Heizung auszutauschen? „Auch mit kleinem Budget lässt sich schon eine Menge bewirken“, sagt Fabricius. Wenn ein Heizkörper nur lauwarm wird und der nächste glüht, ist es Zeit für einen hydraulischen Abgleich: Ein Fachmann stellt die Heizung so ein, dass alle Heizkörper gleichmäßig und effizient mit Wärme versorgt werden. Der Energieverbrauch sinkt auf diese Weise um bis zu 15 Prozent. Auch Mieter können ihre Heizkosten senken, indem sie programmierbare elektronische Thermostate an ihren Heizkörpern installieren: Diese merken sich, wann die Bewohner schlafen gehen oder morgens das Haus verlassen und senken die Temperatur automatisch ab.
Durch kluges Verhalten lässt sich der Wärmeverbrauch zusätzlich drücken. „Jedes eingesparte Grad bei der Raumtemperatur senkt die Heizkosten um sechs Prozent“, weiß Energiesparexpertin Fabricius. Außerdem lohnt es sich, die Temperatur in jedem Raum individuell einzustellen. Als Richtwerte gelten: Flur 16 Grad, Schlafzimmer 16 bis 18 Grad, Küche 18 bis 20 Grad, Wohnzimmer 20 Grad, Kinderzimmer 20 bis 22 Grad, Bad 23 Grad. Die Türen zwischen unterschiedlich beheizten Räumen sollten natürlich geschlossen werden. „Dann heizt der Rest der Wohnung nicht das Schlafzimmer mit.“
Man sollte zudem stoßlüften, statt das Fenster gekippt zu lassen, besonders im Winter. Durch angekippte Fenster erfolgt kaum Luftaustausch, die umliegenden Wände kühlen aus, das begünstigt Schimmel. „Besser drei- bis viermal am Tag für fünf Minuten die Fenster weit öffnen und die Heizung währenddessen runterdrehen.“
5. Duschen Sie sportlich
Warmwassersparen lohnt sich gleich doppelt: Neben dem Wasser- sinkt der Energieverbrauch, um das Wasser zu erhitzen. 14 Prozent des Energieverbrauchs verwendet ein Haushalt im Schnitt, um Warmwasser aufzubereiten – Tendenz steigend. Reinhard Loch von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen kennt die Gründe: „Erstens werden Häuser immer besser isoliert. Dadurch steigt – relativ gesehen – der Warmwasserverbrauch: Bei gut gedämmten Mehrfamilienhäusern liegt er schon bei 20 bis 40 Prozent, bei Passivhäusern sogar bei 50 Prozent. Zweitens brauchen wir immer mehr Warmwasser, weil wir uns mehr duschen.“
Duschen macht etwa Dreiviertel des Warmwasserverbrauchs aus. Die meisten Menschen duschen fast täglich. Bei fünf Mal Duschen pro Woche und einem Wasserdurchfluss von 12 Litern pro Minute kommen im Jahr etwa 25000 Liter pro Person zusammen, rechnet Loch vor. Ein ziemlich großes Einspar-potenzial.
„Unter der Dusche gibt es zwei Spar-Optionen: Kürzer duschen oder die Durchflussmenge begrenzen.“ Für Letzteres tauscht man einfach den Duschkopf aus. Sparduschköpfe kosten etwa 20 Euro und senken den Warmwasserverbrauch um bis zu 50 Prozent. Am Reinigungskomfort ändere sich nichts, betont der Verbraucherschützer: „Der Sparduschkopf mischt dem Wasser Luft bei und erreicht so einen vollen Wasserstrahl."
Etwas schwerer dürfte vielen der zweite Spartipp fallen: kürzer duschen. Die durchschnittliche Dusch-dauer liegt bei sechs Minuten. „Aber wie lang jemand duscht, soll jeder selbst entscheiden“, findet Reinhard Loch. Ihm ist wichtig, dass Verbraucher bewusst mit Warmwasser umgehen. „Meist geht es beim Wassersparen gar nicht um Komfortverzicht: Beim Zähneputzen den Hahn laufen zu lassen, ist einfach eine schlechte Angewohnheit.“ Allein durch reflektiertes Verhalten und kleine Sparhelfer ließen sich 20 bis 30 Prozent Warmwasser im Haushalt sparen. „Wenn jemand sagt: Ich dusche nur noch halb so lang, natürlich noch mehr.“
Als Motivationshilfe empfiehlt Loch den „Smart Shower Meter“, ein Zwischenschaltgerät, das man zwischen Duschkopf und Duschschlauch klemmt. Es zeigt die aktuelle Wassertemperatur, den Wasser- und Energieverbrauch an. „So bekommt man schnell ein Gefühl dafür und entwickelt einen sportlichen Ehrgeiz beim Energiesparen, indem man das Wasser beim Einseifen abstellt oder insgesamt etwas kürzer duscht.“
Auch mit moderner Technik lassen sich Wasser und Strom sparen: Elektronische Durchlauferhitzer verbrauchen rund 20 Prozent weniger Energie als alte, hydraulische Geräte. Man kann sie zudem gradgenau regeln, sodass sofort Warmwasser in der gewünschten Temperatur fließt und kein Wasser beim Warten auf die Wunschwärme verschwendet wird. Bei Armaturen lässt sich der Wasserdurchfluss mit einem Strahlregler („Perlator“) begrenzen. Die kleinen Siebeinsätze gibt’s im Baumarkt für wenige Euro. Sie werden einfach am Wasserhahn festgeschraubt und sparen bis zu 30 Prozent Wasser. Zahlen, wie sich das längere Händewaschen wegen der Hygieneregeln während der Corona-Pandemie – das Robert-Koch-Institut empfiehlt mindestens 20 Sekunden – auf den Wasserverbrauch auswirkt, gibt es übrigens nicht: „Aber an dieser Stelle sollte man im Augenblick wirklich nicht sparen!“, sagt Reinhard Loch: „Dann lieber kürzer duschen."