1 subscription and 0 subscribers
Article

Blickpunkte zur Flüchtlingsdebatte: Wenn Grenzen wieder eine Rolle spielen

Wie haben die großen Flüchtlingsströme Länder verändert? Ein Blick auf Schweden

Schweden, das war lange Zeit das Migrationsland schlechthin. Mit seiner liberalen Einwanderungspolitik war der Staat seit Jahrzehnten Ziel für Menschen auf der Flucht. Ein schneller Aufenthaltstitel, gute Aussichten für den Familiennachzug und  eine gute Versorgung – das wirkte wie ein Magnet. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat kein EU-Land so viele Flüchtlinge aufgenommen wie Schweden. 2015 kamen insgesamt knapp 160.000 Flüchtlinge, das sind etwa 16 pro 1000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland lag das Verhältnis bei 6 zu 1000.

Doch der Herbst 2015 brachte das Fass zum Überlaufen. Als täglich mehr als 1000 Flüchtlinge mit Fähren, Bussen und Zügen ins Land strömten, kapitulierte das System. Tausende Unterkünfte fehlten, die Kommunen klagten über zu wenig Geld, die Behörden waren überfordert. Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte nahmen zu, die rechtspopulistische Partei Schwedendemokraten (SD) bekam Aufwind – die Stimmung in der Bevölkerung kippte. Meinungsumfragen zeigten, dass ein Großteil der Schweden  sich für eine Begrenzung der Zuwanderung aussprach.

Hinzu kam, dass die Nachbarn Norwegen und Dänemark ihr Asylrecht verschärften und der Druck somit immer größer wurde. Die rot-grüne Regierung unter Ministerpräsident Stefan Löfven zog die Notbremse und verschärfte die Asylgesetze: Weniger Flüchtlinge bekommen ein Bleiberecht, Aufenthaltsgenehmigungen werden nur noch befristet erteilt, Massenabschiebungen angedroht, Grenzkontrollen eingeführt und der Familiennachzug wird begrenzt.

Das waren ganz neue Töne aus dem humanitären Wohlfühl-Staat. Das zurückhaltende Schweden, das sich in der internationalen Politik selten in die erste Reihe stellt, wendete sich verzweifelt an die EU-Nachbarn: „Wir können nicht mehr“, lautete die klare Botschaft. „Mehr Menschen müssen in anderen Ländern um Asyl bitten“, machte Löfven deutlich. Vizepräsidentin Åsa Romson (Grüne) konnte bei der Verkündung der neuen Asylrichtlinien ihre Tränen nicht zurückhalten, sprach von „schrecklichen Entscheidungen“ und von „einer Krise für die Menschen, die in Europa Schutz suchen“.

Anfang 2016 zog das Land das nächste Register und führte Passkontrollen aller Einreisenden ein. Niemand konnte von Dänemark aus in Zügen, Bussen und auf Fähren einreisen, wenn er keine gültigen Ausweispapiere vorweisen konnte. Wer keine solchen Dokumente hatte, wurde abgewiesen und musste in Dänemark bleiben.

Diese systematischen Passkontrollen an der Grenze zu Dänemark wurden im Mai vergangenen Jahres wieder aufgehoben, da sich der Zustrom stark abgeschwächt hatte. Selektiv wird aber weiter kontrolliert. 2016 kamen nur noch 29.000 Asylbewerber nach Schweden – ein Rückgang auf ein Fünftel der Rekordzuwanderung 2015. In diesem Bereich haben sich die Werte nun eingependelt. Für den starken Rückgang sorgten auch Dänemarks Grenzkontrollen, welche eine Pufferwirkung hatten.


Schießereien sind Alltag


Doch die Nachwirkungen der starken Zuwanderung spürt Schweden immer noch. Im Schulsystem, auf dem Wohnungsmarkt oder beim Thema innere Sicherheit. Da ist zum Beispiel Malmö, die drittgrößte Stadt, in der schon seit Jahrzehnten große Probleme mit Segregation und Kriminalität herrschen. Doch in letzter Zeit hat sich die Situation zugespitzt. 18 unaufgeklärte Morde gab es dort in den letzten zwei Jahren, was Malmö den Titel „Schwedens Chicago“ einbrachte. Rund 200 Schwerkriminelle, häufig mit Migrationshintergrund, werden dort von der Polizei beobachtet, schwere Waffen sind im Spiel.

Schießereien und brennende Autos sind trauriger Alltag geworden. Deshalb hat die Politik das Waffengesetz verschärft und der Polizei mehr Rechte bei der Ermittlung erteilt. Nicht nur in Malmö, auch in Göteborg und Stockholm gibt es Viertel, vor deren Betreten gewarnt wird. Die Polizei benennt jetzt offizielle Brennpunkt-Gebiete (aktuell 23 der höchsten Stufe), in denen sie für keine Sicherheit mehr garantieren kann. Die Anzahl ist in den letzten Jahren gestiegen. Die Polizei, ohnehin von Nachwuchssorgen geplagt, hat immer größere Probleme, Stellen zu besetzen.

In Sachen Integration galt Schweden lange als vorbildlich, was vor allem auf das Prinzip „Sprachkurs direkt und für alle“ zurückzuführen ist. Doch jetzt wächst die Erkenntnis, dass es damit nicht getan ist – wie dies gelingen kann ist derzeit eines der Topthemen auf der Agenda. Gleichzeitig gewinnen rechte Parteien  an Zuspruch in der Bevölkerung – 13 Prozent der Stimmen errangen sie schon 2014, die Prognose für die nächste Wahl im Herbst dieses Jahres liegt bei 17 Prozent. Die kürzlich gegründete „Alternative für Schweden“, das Pendant zur deutschen AfD, setzt sogar noch weiter rechts an. Auch ihr werden gute Chancen für den Einzug ins Parlament eingeräumt. Schweden hat in den letzten Jahren sein Gesicht deutlich geändert.


– Quelle: https://www.shz.de/20312102 ©2018, 01. Juli

Original