Frau Al-Rashidy, die UNO bezeichnet die Situation im Jemen als schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt. Dennoch wird wenig über den Krieg berichtet. Warum?
Ghaida Al-Rashidy: Wir haben keine Grenze mit Israel und wenig Öl. Und aus dem Jemen kommen keine Flüchtlinge nach Europa. Deswegen ist das Interesse am Jemen gering.
Die Ermordung von Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul hat die Situation im Jemen aber ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Deutschland hat vorerst Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien ausgesetzt, da die Saudis im Jemen seit 2015 einen Luftkrieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen anführen. Wird sich dadurch etwas ändern?
Ich bin sehr traurig darüber, was mit Khashoggi passiert ist. Doch der Fall hat mehr Aufmerksamkeit generiert, als es der Krieg im Jemen je getan hat. Ich wünschte mir, die Regierungen würden Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien wirklich aussetzen. Aber ich befürchte, das Schicksal der Jemeniten interessiert sie nicht wirklich.
Als das von Saudi-Arabien geführte Militärbündnis 2015 im Jemen intervenierte, rechnete es damit, die Huthis in wenigen Monaten zu besiegen. Mittlerweile dauert der Krieg über drei Jahre. Warum macht Saudi-Arabien weiter?
Erstens wegen des Irans. Den Krieg in Syrien haben die Saudis verloren - den im Jemen können sie nicht auch noch verlieren. Zweitens haben sie Angst, weil sie eine lange Grenze mit Jemen teilen. Das Gebiet dort ist schiitisch. Und nicht zuletzt ist der Krieg das Projekt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Für ihn und seine Karriere wäre eine Niederlage im Jemen eine Katastrophe.
Am Montag haben sich die Kriegsparteien zu einer Waffenruhe und zu Friedensverhandlungen bereit erklärt. Was bedeutet das?
Es ist ein guter Schritt. Die Huthis nutzen aus, dass Saudi-Arabien wegen des Falls Khashoggi international in einem schlechten Licht steht. Wenn jetzt auch Saudi-Arabien das Angebot für einen Waffenstillstand akzeptiert, ist der Druck auf die Regierung umso größer, in den Verhandlungen auf die Forderungen der Huthis einzugehen.
Sie haben im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 angefangen, sich in Ihrer Heimatstadt Aden zu engagieren. Was wollten Sie erreichen?
Als die Revolution ausbrach, hatte ich das Gefühl, etwas für meine Gesellschaft tun zu müssen. Der Südjemen war seit der Wiedervereinigung 1990 stets ärmer als der Norden, weil das Geld und die Macht bei den Eliten in der Hauptstadt Sanaa lagen.
2016 mussten Sie Aden verlassen, weil al-Qaida Sie auf eine Todesliste setzte.
Ich arbeitete damals für den roten Halbmond. Mir folgte ständig ein Taxi mit maskierten Männern. Als meine Mutter davon erfuhr, hat sie mich vor die Wahl gestellt: Entweder du verlässt das Haus nicht mehr oder du verlässt das Land. Ich bin nach Beirut gezogen. Von hier kann ich mehr machen als von Aden aus. Die Bevölkerung im Jemen hat keine Stimme.
Wie ist die Situation im Jemen heute?
In Aden werden Leute gekidnappt, es gibt Anschläge. Meine kleine Schwester studiert an der medizinischen Hochschule und meine Mutter hat jeden Tag Angst um sie, wenn sie das Haus verlässt. Wer Geld hat, wandert aus. Gleichzeitig ist die Mittelklasse in die Armut abgerutscht. Die Menschen hungern, haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung. Achtzig Prozent der Infrastruktur sind zerstört. Auf dem Markt gibt es zwar alles zu kaufen - aber wegen der Inflation und dem fehlenden Lohn kann sich die Sachen kaum jemand leisten.
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