2 subscriptions and 2 subscribers
Feature

Von Kaffeegenuss und preußischen Schnüfflern

 



Ziegen hatten einen  erheblichen Anteil an dieser genussreichen  Entdeckung und trieben ihre Hirten  schier zur  Verzweiflung: Nach einer Legende aus dem 17. Jahrhundert knabberten  sie die roten Früchte von einem Busch im äthiopischen Kaffa und sprangen bis in  die Nacht munter herum. So soll die anregende Wirkung der Kaffeebohne entdeckt worden sein – soweit die Legende.

Doch das ist nur eine Anekdote mit der namensgebenden Provinz Kaffa, denn tatsächlich leitet sich der Name vom arabischen „Kachve“ ab, was soviel heißt wie „Kraft gebend“. Auch das türkische „Kaveh“ leitet sich aus diesem Wortstamm ab. Und in Wahrheit stammt der erste Kaffee aus Abbesinien, was aber auch in Äthiopien liegt.

Die Kaffeefrucht wurde bald schon zum Bestandteil der äthiopischen Kultur, noch heute gibt es im Volk eine traditionelle Zeremonie, die durchaus eine Stunde lang dauern kann – vom Waschen der Rohkaffeebohnen über das Rösten auf offenem Feuer bis zum Abschmecken mit Zimt. Zu Beginn wurde die Kaffeekirsche noch roh oder gekocht gegessen, erst später wurde daraus ein ziemlich dunkles Gebräu gewonnen.

Die afrikanischen Ureinwohner machten sich die belebende Wirkung der Frucht zunutze und wendeten diese als religiös-kultisches Hilfsmittel an.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts brachten Handelsreisende das neue Heißgetränk aus dem Orient mit. Doch es war zunächst nur den Begüterten vorbehalten, den armen Leuten war es in Preußen per Erlass verboten, Kaffeebohnen zu besitzen und zu rösten. Ende des 18. Jahrhunderts führte Friedrich der Große den sogenannten Brennzwang ein, der immerhin ein paar Jahre andauerte, und die niederen Stände zwang, sich den Kaffee heimlich zuzubereiten. Im ganzen Land wurden jedoch „Kaffeeschnüffler“ beauftragt, den Konsum zu kontrollieren: Diese schnupperten tatsächlich an Türen und Fenstern und konnten sogar Einlass verlangen, wenn sie einen Verdacht hegten. Die Industrialisierung machte das Gebräu für alle Schichten zugänglich, und für ärmere Bürger stellte Kaffee durchaus eine Ersatzmahlzeit dar. Oft wurde mit Zichorien, Getreide oder Erbsen gestreckt, so entstand auch der Begriff „Muckefuck“, abgeleitet von „Mocca faux“, französisch für „falscher Kaffee“.

Um 1850 war es bereits das liebste Getränk des deutschen Volkes, das morgens und abends genossen wurde. Der Kaffee sollte die Konzentration fördern, denn die Arbeiter standen schon bis zu 16 Stunden an den schweren Maschinen.


Das Lieblingsgetränk der Deutschen ist auch heute noch Kaffee mit rund 150 Litern pro Kopf im Jahr. Damit stehen wir an dritter Stelle der größten Kaffeekonsumländer. Den ersten und zweiten Rang belegen die USA und Brasilien, gefolgt von Japan und Italien. Diese fünf Länder verbrauchen zusammen rund 50 Prozent der Welternte.

Martin Kienreich, Kaffee-Experte und Autor des Buches „FAQ Kaffee – Fragen, Antworten, Quintessenzen“ zählt den Kaffee zum funktionellen Lebensmittel, das einerseits Genussmittel ist, und andererseits das Wohlbefinden steigert: „Ein Naturprodukt, das sich ständig neu definiert.“

Wanda Schmidt-Bohlens, Rohkaffee-Einkäuferin in der Hamburger Speicherstadt, bestätigt, dass Kaffee das am intensivsten untersuchte Lebensmittel ist. Heute gilt Kaffee auch als Flüssigkeit, ihm wird eine spülende Wirkung zugesprochen. Das Vitamin Niacin ist gut für Haut und Stoffwechsel, zwei bis sieben Stunden hält die anregende Wirkung an.


Es gibt insgesamt über 100 Arten der Kaffeepflanze, die wichtigsten sind Arabica und Robusta, die anderen konnten sich aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchsetzen. Die Bohnen bestehen etwa zu 30 bis 40 Prozent aus Kohlenhydraten und 5 bis 7 Prozent aus Säuren, der Rest sind Fette, Eiweißen, Wasser und Mineralien.

Ich erfahre aus dem Buch von Martin Kienreich, dass es weltweit rund 25 Millionen Kaffeebauern gibt, die in mehr als 90 Ländern die Kaffeepflanzen kultivieren – davon sind circa 80 Prozent Kleinbauern. Äthiopien kommt dabei auf dem Weltmarkt mit einer Produktion von rund 370.000 Tonnen jährlich erst an vierter Stelle, nach Brasilien mit über 2,7 Millionen Tonnen weit vor Vietnam und Kolumbien mit jeweils 960.000 und 630.00 Tonnen. Das ist insofern spannend, wenn man bedenkt, dass Kaffee nach Erdöl der wichtigste Exportrohstoff ist. Viele Dritte-Welt-Länder sind vom Verkauf des Kaffees abhängig, doch sinken die Weltmarktpreise stetig, so dass diese die Herstellungskosten nicht mehr decken. Leidtragende sind die Kleinbauern.


Die Kaffee-Expertin Wanda Schmidt-Bohlens entdeckt immer wieder neue Kleinode, und so sind wir im „Kaffeezauber“ verabredet: Ich will erfahren, was die Inhaber zu dieser Leidenschaft bewegt, ein Café in einem alten Bauernhaus in Reinbek-Schönningstedt zu betreiben, denn es liegt ja nicht gerade mitten in der Fußgängerzone.

„Wir haben uns zusammengetan, um diesen Treffpunkt weiter zu betreiben“, erzählen Andrea Pankow, ehemals in der Immobilienbranche tätig und Kundin im Kaffeezauber, und Julia Kock, auch als Schauspielerin und Sängerin unterwegs, und sie „haben definitiv nichts bereut!“ Mit im Boot sind Mithat und Mehmet Selçuk– die Brüder betreiben ihre Privatrösterei „Café Thopia“ mitten im umgebauten Bauernhaus. Hier kann ihnen der Besucher über die Schulter schauen und die besonders milden magenschonenden Sorten gleich nebenan in der gemütlichen Kaffeestube oder im Garten probieren. „Wir rösten täglich nach Bedarf“, so Mithat Selçuk, der gerne auch mal einen kräftigen Tee trinkt.

„Es ist so wie im Wohnzimmer bei Oma, und das fanden wir charmant“, sagt Julia Kock über die Einrichtung. Natürlich gibt’s im Kaffeezauber auch viele Teesorten und sogar Gewürze. Mittlerweile können Genießer hier auch ein Gewürzseminar besuchen: „Wir haben kleine Veranstaltungen, das kommt bei unseren Gästen an. Große Busladungen findet man bei uns nicht“, erklären die beiden Inhaberinnen einhellig. Und das ist anziehend, so ein Kurzausflug mit Kaffee-Pause im urigen Retro-Refugium ohne großen Event-Charakter.

Gerade diese Atmosphäre schätzt auch Wanda Schmidt-Bohlens, deren Arbeitswerkzeug die grüne Bohne ist: „Genuss fängt bei der Zubereitung an.“ Seit 20 Jahren in der Kaffeebranche tätig, hält sie Vorträge etwa für Landfrauen unter dem Motto „Vom Baum in die Tasse“. Dabei erfahren die Teilnehmerinnen, dass zum Beispiel die Arabica-Bohnen im Rohzustand riechen wie frisches Gras, die Robusta-Sorte duftet eher erdig. Schmidt-Bohlens hat in Uganda, Burundi, Vietnam, Indonesien und Guatemala auf kleinen Farmen mitgearbeitet, dabei große Hitze, logistische Probleme, extreme Bedingungen und Höhenlagen, aber auch eine große Hingabe der Kleinbauern erlebt. Sie fasziniert diese Arbeit: „Ich kann mir keinen anderen Job vorstellen.“


Nun weiß ich mein morgendliches Ritual mit dem Handaufguss durch den Porzellanfilter mehr zu schätzen: Bis ich meinen Kaffee in der Tasse habe, geht er also durch unzählige Hände, vom Pflücken, Verlesen, Aufbereiten, Waschen und Trocknen über den Handel an den Börsen bis zum Röstvorgang in der Privatrösterei.