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Ist das noch Meme oder kann das Kunst?

Memes, die viralen Internet-Witzbildchen und Alltagsparodien, sind kein Nischenphänomen dubioser Nerdforen mehr, sondern die Schaufensterpuppen unserer digitalisierten Popkultur. Mittlerweile kann man Klassiker der Meme-Geschichte auch für große Summen Kryptowährung ersteigern. Wollen wir das?

 

483.000 Euro, zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Am 19. Februar wurde im Netz ein audiovisuelles Kunstwerk versteigert, das sich aufgrund seiner Exzentrik einen festen Platz im kulturellen Gedächtnis eines jeden Millenials gesichert hat. Der Schöpfer heißt weder Matisse noch Klimt und das Werk ist kein Ölgemälde, sondern eine animierte, verpixelte Katze, die durch das Weltall fliegt, eine sagenhaft nervige Melodie trällert und dabei einen Regenbogen ... ausscheidet. 

 

Die Nyan Cat feierte ihren zehnten Geburtstag und ihr Schöpfer Chris Torres gleichzeitig den neuen Kontostand auf seiner Krypto-Wallet. Klingt absurd? Ist es auch. Immerhin bekommt der glückliche Käufer der Animation nun kein Kunstwerk überreicht, das er in seinem Loft ausstellen kann, sondern lediglich einen digitalen Kassenzettel, der ihn online als Käufer der originalen gif-Datei ausweist. Torres hat sein nervtötendes Haustier nämlich als sogenanntes NFT (Non Fungible Token) im Netz versteigert.

 

Millionen für einen Kassenzettel

 

NFTs sind einzigartige Online-Güter, die nicht ausgetauscht oder zerstört werden können. Dafür nutzen sie eine Blockchain – die gleiche Technologie einzigartiger Codes, auf der auch Kryptowährungen wie Bitcoin aufgesetzt sind. Um ein digitales Kunstwerk als NFT zu verkaufen, wird der Besitz des Kunstwerks auf der Blockchain vermerkt. Dadurch ist für die ganze Welt ersichtlich, wer das NFT erworben hat. Mittlerweile handeln Verkäufer neben Memes und Illustrationen auch Musikstücke oder Tweets. Das teuerste Kunstwerk, eine digitale Collage des Online-Künstlers Beeple, wurde für 69,3 Millionen Dollar versteigert – die dritthöchste Summe, die jemals für ein Kunstwerk geboten wurde. Kunstmäzene raufen sich die Haare. 

 

Denn Dateien wie die Nyan Cat bleiben im Web frei verfügbar und können nach wie vor millionenfach dupliziert werden. Kein physischer Gegenstand geht bei einer NFT-Auktion in den Besitz des Käufers über. Man kann und sollte sich natürlich fragen, wer für so wenig Gegenleistung so große Summen ausgibt. Man kann aber auch einen Scheinwerfer auf diejenigen werfen, die von diesem Trend profitieren: Künstler und Künstlerinnen, die ausschließlich digital arbeiten und durch die Auktionen endlich entlohnt werden. NFTs scheinen die Internetlösung für ein Internetproblem zu sein, so war es für Künstler im Web lange Zeit nicht möglich, mit ihren Werken, die schnell geklaut, dupliziert und verbreitet wurden, echtes Geld zu verdienen. 

 

Pechmarie im Web

 

Ein Beispiel, der den guten Zweck veranschaulicht, betrifft zwar keinen Künstler, aber einen jungen Mann, der mit einem unglücklichen Porträt jahrelang zur Lachnummer im Netz wurde. Vor neun Jahren stellte Ian Davies ein unvorteilhaftes Jahrbuch-Foto seines besten Freunds Kyle Craven ins Netz. Wie es das Internet so wollte, wurde Kyle prompt zu Bad Luck Brian, ein globales Meme, das vor allem auf Plattformen wie 9Gag oder Buzzfeed kursierte. Nach Jahren des Hohns und Spotts hatte Bad Luck Brian zuletzt Glück im Unglück: Für die Originaldatei ließ ein Käufer auf der NFT-Plattform Foundation umgerechnet 36.000 US-Dollar springen, die als späte, aber sehr konkrete Entschädigung auf Kyles Konto wanderten. 

 

Doch diese nette aus-Pechmarie-wird-Goldmarie-Geschichte erzählt nicht die ganze Wahrheit des NFT-Hypes. Die virtuellen Auktionshäuser bieten zwar eine niederschwellige Plattform, auf der das Krypto-Geld ohne Umwege zum vermeintlichen geistigen Schöpfer wandert. Die Anbieter versprechen einen demokratischen, unabhängigen und transparenten Kunstmarkt. Wer da schon enthusiastisch jubelt, vergisst jedoch, dass man ohne eigene Reichweite auch in der Kryptowelt keine Steine ins Rollen bringt.

 

Täglich grüßt der Kapitalismus

 

Denn kleine Künstler und Künstlerinnen haben es schwer, auf dem bereits überfluteten Markt noch Fuß zu fassen. Die Werke, die für großes Geld versteigert werden, stammen meist von Menschen, die gar kein Geld brauchen. Der Twitter-Gründer Jack Dorsey verkaufte bereits seinen allerersten Tweet, die Fast-Food-Kette Pizza Hut eine verpixelte Pizzaschnitte, und, wer hätte es gedacht, auch Tech-Baron Elon Musk hat bereits Lunte gerochen und bot ein NFT mit einem Song über ein NFT zum Kauf an. Wie ironisch. 

 

Das, was einen hippen, demokratischen Kontrast zum elitären Kunstmarkt der analogen Welt bieten sollte, wird also nun selbst von der Elite gestürmt. Es wechseln lediglich die Akteure: Statt pelzummantelte Oligarchen sind es neureiche Krypto-Brüder, die ihre virtuellen Geldberge nun in die Taschen von ebenfalls neureichen Promis und Konzernen stecken. Verschwiegen wird dabei, dass NFTs vom Höchstbieter auch weiterverkauft werden können – und somit eine Marktdynamik entsteht, die Spekulanten und Investoren die Tür öffnet. 

 

Die Dateien werden aber nicht nur heiß gehandelt, sondern heizen auch der Erde ordentlich ein. Blockchains laufen weltweit auf zahlreichen Servern, die enorm viel Strom verbrauchen. Die NFT-Währung Ethereum schluckt so viel Energie wie das Land Ecuador, Bitcoin dreimal so viel wie Amazon, Facebook, Google und Youtube zusammen. Solange Strom aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird, investiert man beim Kauf eines virtuellen Kunstwerks also auch in die Klimaerwärmung. 

 

Der NFT-Hype scheint also nichts weiter als ein weiteres digitalkapitalistisches Rennpferd auf Steroiden zu sein. Auch die Prophezeiung von der Rettung der Urheber bleibt Utopie, wie folgendes Beispiel zeigt: Der selbsternannte Art Prankster Ryder Ripps versteigert aktuell die Deal-with-it-Brille, ein legendäres Meme, das per Photoshop bereits millionenfach auf Porträts gebastelt wurde. Ripps ist allerdings nicht der Schöpfer der Brille, sondern lediglich der Gründer der Plattform, die dem Design zum viralen Durchbruch verhalf. Auf der Blockchain fahren allerdings keine Gesetzeshüter Streife, um solche Kunsträuber zu tadeln: Wer ein NFT kreiert, gilt als sein Besitzer. Das Geld wanderte an dieser Stelle also in die Taschen eines Maklers anstatt in die des originären Künstlers.

 

Wem gehört das Internet? 

 

Die Sonnenbrille ist außerdem ein Sonderfall: Ripps verkauft nicht nur die Datei selbst, sondern auch die zugehörigen Rechte am Bild. Ein Bild, das eine ganze Generation im Netz vor allem durch das Neu-Vermischen mit anderen Bildern, Texten und Videos zum Lachen brachte, ist also nun in den alleinigen Besitz einer einzelnen Person gelangt.

 

Mit dem inkludierten Rechteverkauf von NFTs laufen Memes somit Gefahr, ihren anarchistischen, willkürlichen Charakter verlieren. Dabei sind viele doch gerade deshalb so beliebt, weil sie vom Netzkollektiv in unvorhersehbarer Dynamik immer wieder mit neuen Bedeutungen und Kontexten versehen werden. Versehen wir es allerdings mit einem vermeintlichen Urheber und einem eindeutigen Besitzer, der über die Vervielfältigung entscheidet, katapultieren wir Digital Art in das Kunstverständnis der Renaissance zurück. Should we deal with it? Hoffentlich nicht. 

 

NFTs ganz im Sinne des Kulturpessimismus zu verteufeln, scheint allerdings wenig produktiv, schließlich wird der Hype dadurch nicht untergehen. Dass Memes nun zu Kunstwerken emporgehoben werden, für die Millionäre große Summen springen lassen, ist sicher auch ein Schmunzeln wert. Wer auf die kuriose Idee kommt, ins NFT-Spiel einzusteigen, sollte sich aber den Rattenschwanz, den der Trend nach sich zieht, stets vor Augen halten. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit sollte es also auch in der digitalen Welt heißen: „Support your local Meme Creator“ – aber doch bitte nicht Elon Musk.