2 subscriptions and 2 subscribers
Article

Bingewatching: Wie ich versuche, von meiner Streaming-Sucht loszukommen

Wenn ich ehrlich bin: Das letzte Jahr habe ich mit dem Laptop auf den Beinen im Bett verbracht.

"Sind Sie noch da?", fragt mich der Bildschirm höflich. Er reißt mich in die Realität zurück wie das Schnipsen nach einer Hypnose. Kurzer Faktencheck: Ich befinde mich immer noch im Corona-Lockdown und sehe mir seit acht Stunden eine britische Datingshow an. Ich lecke mir die Finger ab, fische die Krümelreste aus den Ecken der Chipstüte und klicke auf den "Fortsetzen"-Button.

"Nein Netflix, lass mich endlich in Ruhe", würde ich gern erwidern. Doch ich kann nicht. Ich habe es mit dem Streaming in der Quarantäne so übertrieben, dass ich es nicht mehr leiden kann. Mein Exzess versaut mir mein Lieblingshobby.

Dabei behaupten alle, dass das Glotzen gerade jetzt so viel Spaß mache. Mit Streaming verhält es sich für junge Menschen so wie mit dem Biergarten für die Bayern, es ist ein Kulturgut. Während wir uns im echten Leben so sehr auf uns selbst konzentrieren, finden wir in der Fiktion wieder zusammen.

Bingewatching oder der "Staffellauf im Sitzen", wie es Deichkind zuletzt treffend besungen haben, ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Serien zu bingen, ist ein fester Programmpunkt der sonntäglichen Self-Care-Orgie, es soll uns gut tun.

Ich gehöre zu den Menschen, die sich diesem Lifestyle verschrieben haben. Die Tragödie in Serie ist mein Opium: Ich brauche den Heulkrampf, wenn Breaking Bad vorbei ist, oder die kleinen Ästhetik-Orgasmen bei den Kamerafahrten in True Detective. Diese Emotionen helfen mir dabei, mich menschlich zu fühlen.


Original