MAINZ - Gute 112 Jahre ist Mainz 05 alt. Und zumindest die jüngere Vereinsgeschichte lässt sich in genau zwei Phasen unterteilen: vor und nach Jürgen Klopp. Seit er vom Spieler zum Trainer umfunktioniert worden ist, hat der Verein eine erstaunliche Entwicklung hingelegt. Mittlerweile erlebt er seine elfte Saison in der Bundesliga, spielt in einer neuen Arena vor zehntausenden Menschen. Zu dieser Entwicklung haben natürlich noch viele andere beigetragen. Die einen mehr, die anderen weniger. In unserer Serie „Was macht eigentlich...?" erzählen wir, was aus den kleinen und großen Helden von einst geworden ist.
An einem sonnig-warmen Junimorgen im Jahr 1993 brauchte Guido Schäfer genau vier Worte, um etwas zu erreichen, das nur ganz wenige Menschen auf dieser Welt erreicht haben: Er machte Ansgar Brinkmann sprachlos. Der Skandal-Profi, Rebell und legendäre Sprücheklopfer schüttelte nur den Kopf. Und brachte erst nach ein paar seltenen Momenten der Fassungslosigkeit raus: „Hut ab, Guido, Du traust Dich was."
Was Schäfer sich da getraut hatte, das beginnt am Abend zuvor in einem portugiesischen Restaurant in der Mainzer Altstadt. Irgendwie hatte er mitbekommen, dass die Verantwortlichen von Mainz 05 den Vertrag von Torhüter Stephan Kuhnert nicht verlängern wollten. „Der war zwar längst nur noch so beweglich, als hätte er zwei Holz-Knie", sagt Schäfer. „Aber er war mein Kumpel und hatte jahrelang alles für den Verein gegeben." Je länger der Abend, desto erboster Schäfer. Er greift zum Telefon und ruft in der Sport-Redaktion dieser Zeitung an. „Das einzige Mal, dass ich mich an einen Journalisten gewendet habe, um Interna auszuplaudern", sagt Schäfer. Dem damaligen Sportredakteur Bernd-Dieter Jenrich diktiert er seine Geschichte in den Block: „Wie herzlos Mainz 05 mit verdienten Spielern umgeht." Jenrich äußert Bedenken, „Guido, soll das wirklich in der Zeitung stehen?", fragt er Schäfers Schilderung nach. Schließlich mussten die 05er am folgenden Tag zu Rot-Weiß Essen und das entscheidende Spiel um den Klassenerhalt in der Zweiten Liga bestreiten. Schäfer ist das umso rechter.
Am nächsten Morgen dann stürmt ein vor Wut tobender 05-Präsident in die Mannschaftssitzung. „Guido, ist das Dein Ernst?! Das ist das Allerletzte!", brüllt Harald Strutz, mit der AZ in der Hand wedelnd. „Ich habe doch gerade erst Deinen Vertrag um zwei Jahre verlängert!" Und dann folgen die Worte, die Brinkmann so beeindruckten. Schäfer antwortet seinem obersten Vorgesetzten: „Dann zerreiß ihn doch."
Guido Schäfer war einer der schillerndsten Spieler am Bruchweg. 300 Pflichtspiele absolvierte der gebürtige Haßlocher im rot-weißen Trikot, das er 13 Jahre lang trug. „Auf dem Platz bin ich immer an meine Grenzen gegangen", sagt er. „Nach Abpfiff an der Theke dann darüber hinaus." Wer ihn heute anruft, erlebt einen 52 Jahre jungen Mann, der von sich selbst sagt, er sehe aus „wie ein Zuhälter" und dass er der Beste sei. Worin? „In allem, natürlich." Wer ihn dann einmal auf Google sucht, sich zwei aktuelle Fotos anschaut und ihm drei Minuten zuhört, ist geneigt, ihm beide Selbstbeschreibungen ohne Zweifel abzunehmen.
Schäfer wurde nach seiner Profi-Karriere Journalist, er muss heute niemanden mehr anrufen, um Interna zu erzählen. Das macht er schon lange selbst. Erst bei der AZ, wohin ihn Jenrich nach dem Karriereende 1997 lotste. Schon während seiner Zeit als Aktiver hatte Schäfer immer mal wieder für die Rhein-Zeitung geschrieben und gemerkt, dass ihm der Job liegt. „Ich habe als Ex-Profi einen anderen Einblick in das, was die Jungs auf dem Platz so machen." Zumal er auch die A-Lizenz als Fußballtrainer besitzt. Trainiert hat er aber nur einmal kurz eine Mainzer Frauenmannschaft. „War aber vielleicht keine so gute Idee, gleichzeitig mit Abwehrchefin und Spielmacherin auszugehen", sagt er. Studiert hat er auch, BWL an der FH Mainz. „Mit dem wohl schlechtesten Abschluss aller Zeiten." Auch das war dann aber nichts für Schäfer.
So arbeitet er seit 2000 bei der Volkszeitung in Leipzig. Der Stadt, die inzwischen seine Heimat geworden ist. Als Chefreporter schreibt er über das, was in Leipzig gesellschaftlich so los ist, und vor allem über RB Leipzig. „Ich war 2009 derjenige, der exklusiv die Nachricht in die Welt gebracht hat, dass Red Bull hier einsteigt", sagt er. Viele hätten ihn dafür für verrückt erklärt - mal wieder. Sein Scoop aber stimmte. Und so begleitet Schäfer RB seit der Regionalliga, erst durch den Nordosten, inzwischen bundesweit und, wenn es für die Leipziger so weiter läuft, bald durch Europa. Die Entwicklung des Vereins freut ihn, klar. „Ist doch geil, dass wir Bundesliga-Stadt geworden sind." Doch auch den Protest gegen die Investitionen eines Getränkekonzerns kann er nachvollziehen.
„Red Bull setzt sein Geld an vielen Stellen gut ein," sagt er. „Nicht überall. Aber insgesamt investieren sie sehr clever." Schäfer erinnert dabei an die TSG Hoffenheim und deren Aufstiegssaison. „Da lagen wir mit den 05ern zur Winterpause auf dem dritten Platz, ehe Hoffenheim mehrere Millionen ausgegeben und doch noch den Aufstieg statt uns geschafft hat." Verständlich, dass man da als Benachteiligter Projekten wie denen von Red Bull und Hoffenheim ablehnend gegenüber stehe.
Schäfer sagt immer noch „wir" und „uns", wenn er von Mainz 05 spricht. „Das ist der einzige Verein, den ich liebe", sagt er. Am Mittwochabend wird er den Verein, über den er schreibt, in die Opel Arena begleiten. Zuvor hat er sich ein paar Tage freigenommen, hat die Länderspielpause genutzt, um seine kaputten Hüften zu pflegen. Die rechte ist schon durch Titan ersetzt worden, die linke schmerzt schlimm. Spätfolgen seiner Karriere.
Als er noch spielte, blieb Schäfer größtenteils von Verletzungen verschont. Man könnte es natürlich Karma nennen, aber höchstwahrscheinlich war es einfach nur ein dummer Zufall, dass er sich ausgerechnet im oben erwähnten, entscheidenden Spiel in Essen seine allererste Zerrung zuzog. „Ich habe mich auswechseln lassen und den Rest des Spiels in einer Kneipe verfolgt", sagt er. Als der Schlusspfiff ertönte und die 05er durch ein 1:1 die Klasse hielten, war Schäfer längst bierselig.
Harald Strutz hat seinen Vertrag natürlich nicht zerrissen. Präsident und Spieler haben sich gut verstanden, von Anfang an duzten sich die beiden. Auch, nachdem Schäfer am Tag nach dem Essen-Spiel noch einen draufsetzte. Er war ja verletzt, wusste, dass er das die Saison abschließende Heimspiel gegen die Stuttgarter Kickers sowieso aussetzen musste. Also buchte der damals 28-Jährige einen Flug nach Mallorca. Im Training wurde er natürlich vermisst, seine Mitspieler riefen ihn panisch an: „Guido, wo bist du? Hier suchen dich alle!" Also flog er wieder zurück. Nach eineinhalb Tagen auf der Insel. „Als ich dann wieder an den Trainingsplatz kam, haben sich alle über meinen höllischen Sonnenbrand gewundert."
Trotz all der Geschichten, die Schäfer selbst erzählt hat und die über ihn erzählt werden, eins will er nicht: dass ein falscher Eindruck entsteht. „Wir haben enorm viel trainiert, immer alles für 05 gegeben." Trotzdem hat er natürlich längst darüber nachgedacht, all das, was er als Profi erlebte, in ein Buch zu fassen. „Aber danach müsste ich wahrscheinlich auswandern."
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