MAINZ - 111 Jahre ist Mainz 05 inzwischen alt. Und zumindest die jüngere Vereinsgeschichte lässt sich in genau zwei Phasen unterteilen: Vor und nach Jürgen Klopp. Seit der eigentliche Linksverteidiger zum Trainer umfunktioniert wurde, hat der Verein eine erstaunliche Entwicklung erlebt. Mittlerweile erlebt er seine elfte Saison in der Bundesliga, spielt in einer neuen Arena vor zehntausenden Menschen und in der Europa League. Zu dieser Entwicklung haben natürlich neben Klopp noch viele andere beigetragen. Die einen mehr, die anderen weniger. In unserer Serie „Was macht eigentlich...?" erzählen wir, was aus den kleinen und großen Helden von einst geworden ist.
Den wichtigsten Freistoß seiner Karriere hätte Daniel Gunkel eigentlich nie bekommen dürfen. Die 05er lagen im ersten Spiel nach ihrem Bundesliga-Aufstieg im August 2009 1:2 gegen Bayer Leverkusen zurück, waren am Ende ihrer Kräfte, als Heinz Müller in der 81. Minute einen weiten Ball nach vorne schoss. Der fiel Aristide Bancé auf die Brust und selbiger danach zu Boden. Wohl eher, weil er Sami Hyypiä hinter sich wähnte, als dass er eine Berührung des Finnen gespürt hätte.
Hyypiä konnte es nicht fassen, doch Schiedsrichter Deniz Aytekin pfiff Freistoß. Rund 25 Meter zentral vor dem Leverkusener Tor. Gunkel, 20 Minuten zuvor eingewechselt, legte sich den Ball zurecht. Er machte ein paar kleine Schritte nach hinten, hielt nicht nochmal an, sondern bewegte sich sofort wieder Richtung Ball. Den schoss Gunkel dann mit Vollspann, mit viel Kraft und noch mehr Drall genau rechts oben ins Kreuzeck zum 2:2. „Ein Traumtor", rief Kommentator Tom Bartels in der ARD-Sportschau. Gunkel lief jubelnd zu den Fans, schrie seine Freude raus und verteilte Kusshände ins Publikum. Seine Mitspieler begruben ihn danach in einer Traube unter sich.
In diesem Moment fiel trotzdem eine Menge Last von Gunkel ab. Ein ganzes Jahr war er zuvor verletzt gewesen, hatte wegen eines gerissenen Syndesmosebandes keinen einzigen Einsatz. Während die Mainzer aufstiegen, war er auf eigenen Kosten in den USA, um sich bei DFB-Fitnesstrainer Marc Verstegen wieder fit machen zu lassen. „Die Erlösung nach diesem Freistoß war riesig", sagt Gunkel heute. „Ich wusste in diesem Moment: Der ganze Aufwand hatte sich gelohnt." Was er in diesem Moment nicht wusste: Es blieb sein letztes Tor für Mainz 05.
Der Spielmacher wurde nach diesem ersten Spieltag noch dreimal eingewechselt, stand vor der Winterpause dann länger gar nicht mehr im Kader. Im Winter ließ Gunkel sich dann ausleihen. „Der größte Fehler meiner Karriere", sagt er im Rückblick. Nicht, weil er in der folgenden Rückrunde mit der TuS Koblenz aus der zweiten Liga abstieg. Sondern weil er voreilig Mainz verlassen hatte.
Nun spult er die Kilometer auf der Autobahn ab
„Ich hätte bis zum Sommer Geduld haben müssen, mir dann in Ruhe einen Verein suchen sollen, der zu mir passt." Gunkel meint, er hätte auch bei den 05ern bleiben können. „Ich hatte kein Problem mit Thomas Tuchel oder sonst wem. Das einzige Problem war meine Ungeduld."
Diesen Makel hat der heute 36-Jährige längst abgelegt. Klar, das Alter hat ihn ruhiger werden lassen, aber auch sein neuer Beruf. Daniel Gunkel ist mittlerweile im Immobilien-Vertrieb tätig. Seit einigen Monaten pendelt er deswegen von seinem aktuellen Lebensmittelpunkt Bad Vilbel nach Dresden und Berlin, wo er vor zehn Jahren mit einem befreundeten Bauträger seine ersten Häuser hatte bauen lassen. „Dort nach dem Fußball hauptberuflich einzusteigen, war für mich die beste Perspektive", sagt er. „Der neue Job ist für mich sehr aufregend, ich erlebe jeden Tag etwas Neues."
Momentan kümmert er sich um die Projektentwicklung bei einer leer stehenden, riesigen Kaserne in Dresden. Das Gelände soll in Wohnungen umgewandelt werden, Gunkel versucht, das Projekt verschiedenen Investoren schmackhaft zu machen. „Wenn es dann klappt, ist die Genugtuung, ein schönes Geschäft gemacht zu haben, ähnlich wie die Freude über ein Tor im Fußball."
Aus seinem Sport ist der gebürtige Frankfurter inzwischen komplett raus, sagt er. Bis auf die Schmerzen, die ihm als Langzeitschäden seiner vielen Verletzungen bis heute geblieben sind. „Ich hatte immer nur die schlimmen Sachen", sagt Gunkel. „Nie eine Zerrung, oder sonst etwas Leichteres." Trotzdem sei er dankbar für das, was er durch den Fußball erleben durfte. Dankbar, dass er seinen Kindheitstraum erfüllt hat.
Nach seinem Wechsel vom SV Wehen Wiesbaden zu Energie Cottbus war er in der Lausitz Stammspieler in der Bundesliga geworden. „Für Jürgen Klopp bin ich trotzdem in die zweite Liga gegangen", sagt er. In Mainz schlug er sofort ein. Zehn Tore und neun Vorlagen gelangen Gunkel in seiner ersten Saison am Bruchweg, wo er gleich Führungsspieler war.
Mit Klopps Abgang beginnt sein persönlicher Abstieg
Nur: Die 05er verpassten den Aufstieg und Klopp ging. „Davon war ich ehrlich gesagt schon enttäuscht", sagt Gunkel. Ab da begann sein persönlicher Abstieg. Nach dem Koblenz-Intermezzo ging Gunkel in die zweite Liga nach Griechenland, wo er eine Saison blieb, um danach zu den drittklassigen Offenbacher Kickers zu wechseln. Sein früheres Niveau erreichte Gunkel verletzungsbedingt nie wieder. „Die vielen Hiobsbotschaften haben mir irgendwann auch den Spaß genommen", sagt er.
Nach Offenbach kickte Gunkel noch ein Jahr beim Regionalligsten BSV Rehden, wo er auch die zweite Mannschaft trainierte. Nebenher absolvierte er eine Umschulung in Osnabrück zum Sport- und Fitness-Kaufmann. „Als Trainer zu arbeiten, war für mich dann nicht die richtige Perspektive." Die ungewisse Langzeit-Beschäftigung ist ihm zuwider.
Wenn, dann trainiert Gunkel mit der 05-Fußballschule, mit der er im vergangenen Sommer im Trainingslager in den USA war. „Den Kids etwas von meinen Erfahrungen weiter zu geben, macht mir schon Spaß." Bei seinem Sohn ganz besonders. Der spielt in der E-Jugend des Bald Vilbeler Stadtteil-Vereins SC Dortelweil, wo Gunkel Senior auch noch ein paar Mal in der Bezirksliga aufgelaufen war. Wenn sein Sohn 2019 auf eine weiterführende Schule kommt, will der frühere 05er mit seiner Familie ganz nach Berlin übersiedeln. Dann will er sich selbstständig machen, seine eigene Immobilien-Verwaltung starten. Bis dahin will er die aktuelle, „sicher nicht angenehme" Situation mit dem Pendeln auf sich nehmen. Das viele Reisen ist er ja vom Fußball gewohnt.
Ob sein Kleiner das Zeug hat, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten? „Muss man abwarten", sagt Gunkel. Aber ein Talent habe er auf jeden Fall geerbt: „Bei Freistößen sieht seine Schusshaltung original aus wie meine."
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