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La Masia an der britischen Südküste

Sout­hamp­tons Trainer Ralph Hasen­hüttl nutzt die Corona-Pause und feilt an einer Idee. Er will seine Spiel­phi­lo­so­phie auf die gesamte Jugend-Aka­demie aus­weiten. Wie einst Johan Cruyff.


Eine Idee von Johan Cruyff ist meist eine gute Idee. Der prä­gendste Mann des modernen Fuß­balls traf 1984 eine Ent­schei­dung, die es so noch nicht gegeben hatte und die Ein­fluss bis zum heu­tigen Tag nehmen sollte: Ein Jahr nach seiner aktiven Kar­riere kehrte Cruyff zu seinem Jugend­klub Ajax Ams­terdam zurück. Mit im Gepäck hatte er eine Spiel­idee, die er der Fuß­ball­welt jahr­zehn­te­lang selbst aufs Spiel­feld oktroy­iert hatte.


Nun wollte er diesen Fuß­ball, den Voetbal Total - bedin­gungslos offensiv, bedin­gungslos schnell und bedin­gungslos schön - einem ganzen Verein ein­flößen. So begann er seine Spiel­idee nicht nur den Profis, son­dern schon den Jugend­mann­schaften von Ajax bei­zu­bringen. Eine Inves­ti­tion in die Zukunft, die sich aus­zahlen sollte.


Für Ajax, deren Talent­brut gren­zenlos scheint. Für Barca, das mit Cru­yffs Ein­fluss das Tiki-Taka zum Arte­fakt voll­endete. Und für die Fuß­ball­welt sowieso, die ken­nen­lernen durfte, wie schön dieses Spiel sein kann.


Einen Fuß­ab­druck wie Johan Cruyff hat Ralph Hasen­hüttl auf dieser Fuß­ball­welt noch nicht hin­ter­lassen. Der ehe­ma­lige Bun­des­liga-Coach, der mitt­ler­weile an der Sei­ten­linie vom FC Sout­hampton steht, hat jedoch die Corona-Pause genutzt, es dem Nie­der­länder gleich­zutun und laut ​„Daily Echo" einen Plan erstellt, der das Trai­ning aller Jugend­mann­schaften von Sout­hampton auf sein System umstellt.


Digi­tale Spiel­phi­lo­s­phie


Dazu hat er ein ​„iBook" ent­wi­ckelt, so nennt der Öster­rei­cher es. Damit hat er seine Spiel­phi­lo­so­phie digi­ta­li­siert - ein tech­ni­scher Vor­gang, den Johan Cruyff sei­ner­zeit nicht nutzen konnte. Mit diesem System kann Hasen­hüttl nun den Jugend­trai­nern der Aca­demy Trai­nings- und Ana­ly­se­vi­deos zur Ver­fü­gung stellen.


Die Ver­ant­wort­li­chen stehen voll hinter dem Plan. So sollen alle Jugend­teams das gleiche Trai­ning wie die erste Mann­schaft durch­führen. Auf diese Weise erhofft sich der Klub, den Über­gang aus dem Jugend- in den Senio­ren­be­reich zu erleich­tern. Ein Modell, dass es so in Eng­land noch nicht gibt und an die berühmte Fuß­ball-Aus­bil­dungs­stätte La Masia vom FC Bar­ce­lona erin­nert.


Noch kürz­lich so gut wie ent­lassen


Als Hasen­hüttl im Früh­jahr vor zwei Jahren nach Sout­hampton kam, lau­tete seine klare Mis­sion, die Liga zu halten. Dem Verein nach­haltig eine Phi­lo­so­phie auf­zu­tragen, davon war er noch weit ent­fernt.


Der Öster­rei­cher schaffte, was die Ver­ant­wort­li­chen ver­langt hatten und hielt den Klub in Eng­lands höchster Klasse. Mit großen Erwar­tungen und guter Trans­fer­po­litik star­tete die neue Saison: Doch zwei Siege aus den ersten 13 Spielen, dar­unter eine 0:9‑Niederlage zu Hause gegen Lei­cester City waren die bit­tere Rea­lität.


Eng­li­sche Medien berich­teten bereits von Hasen­hüttls Ent­las­sung. Doch der Öster­rei­cher schaffte den Tur­naorund mit seiner Mann­schaft und steht der­zeit auf einem sicheren 14. Tabel­len­platz mit einem 7‑Punkte-Polster auf die Abstiegs­ränge.


Der Alpen-Klopp


Weil die bri­ti­sche Bou­le­vard­presse Spitz­namen, Ver­gleiche und Sim­pli­fi­zie­rungen liebt, wurde aus Ralph Hasen­hüttl sehr schnell ​„der Alpen-Klopp“. Denn seine Spiel­idee erin­nerte an die des Liver­pool-Coa­ches.


Hohes Pres­sing, harte Lauf­ar­beit und schnelles Umschalten. Im Ide­al­fall soll es nur zehn Sekunden von Ball­ge­winn zu Tor­ab­schluss dauern. ​„Meine Mann­schaft muss sie jagen und hungrig sein“, sagte Hasen­hüttl 2018 bei Sky Sports. Dabei komme das Team über Emo­tionen und Lei­den­schaft. ​„Ich denke, das wollen die Leute sehen.“


Mit diesem Ansatz brachte er Ingol­stadt 2016 in die Bun­des­liga, RB Leipzig in die Cham­pions League und schaffte vor zwei Jahren den Sprung in die Pre­mier League.


Auf dem Stap­le­wood Campus in March­wood, Sout­hamp­tons Trai­nings­ge­lände, wurde bisher vor­nehm­lich Ball­be­sitz­fuß­ball trai­niert. Bei Ralph Hasen­hüttl liegt der Fokus auf dem Spiel ohne Ball. Darauf müssen die Jugend­trainer nun umschulen.


4-2-2-2-System


Hasen­hüttl begann in Eng­land in einem kom­pakten 3 – 5‑2-System zu spielen, passte die Taktik häufig spiel- und geg­ner­be­zogen an, in ein 4−2−2−2 oder wech­selte in ein 5−2−3, wobei die Basics stets die­selben blieben: pressen, rennen, umschalten. Nach den schwa­chen Ergeb­nissen zu Beginn seiner zweiten Saison 2019/20 legte der Öster­rei­cher sich auf die 4 – 2‑2 – 2‑Aufstellung fest mit dem er sei­ner­zeit erfolg­reich in Leipzig gefahren war.


Sout­hamp­tons Spiel beginnt nicht im eigenen Ball­be­sitz, son­dern mit dem Zeit­punkt, da der Gegner das Gerät führt. Auch sein Wording hat Hasen­hüttl Klopp-mäßig mitt­ler­weile ange­passt: ​„Wir wollen eklig zu bespielen sein“.


Das Team ver­sucht, schnell das Spiel in die Hälfte des Geg­ners zu drü­cken. Bewährtes Mittel hierfür sind häufig lange Bälle auf die zwei Stürmer. Wird der Ball vorne ver­loren, beginnt das mann­schaft­s­tak­ti­sche Pres­sing. Ziel ist es, einen frühen Ball­ver­lust des Geg­ners zu pro­vo­zieren und den Weg zum Tor somit kurz zuhalten. Ein Zeugnis dieses stän­digen Druck­aus­übens legen die Zwei­kampf­zahlen ab: Sout­hampton führt die zweit­meisten Tack­lings aller Pre­mier-League-Teams in dieser Saison.


Auf de Spuren von Bale, Walcott und Shaw


Zen­traler Spieler in diesem System ist der Eng­länder James Warde-Prowse, der 2017 sein Debüt in der Natio­nalelf gab. Seit 2002 spielt der heute 25-Jäh­rige in der Jugend­aka­demie vom FC Sout­hampton und ist der letzte Spieler aus dem Jugend­be­reich der Saints, der sich in der ersten Mann­schaft eta­blieren konnte.


Die Spieler-Fre­quenz derer, die es ins pro­fes­sio­nelle Geschäft schafften, war vor einigen Jahren noch höher. Gareth Bale, Theo Wal­cott, Alex Oxlade-Cham­ber­lain, Adam Lallana, Luke Shaw oder auch Alan Shearer und Mat­thew Le Tis­sier stammen aus der Jugend von Sout­hampton.


Mit Ralph Hasen­hüttls Spiel­er­ge­nera­tionen über­grei­fender Phi­lo­so­phie sollen die Über­gänge trans­pa­renter werden. So wie beim FC Bar­ce­lona die Dia­manten in La Masia geschliffen werden, könnte es mit einer Menge Opti­mismus in einigen Jahren in Sout­hampton ablaufen. In Hasen­hüttls La Masia an der bri­ti­schen Süd­küste.

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