Warum es problematisch ist, das Wort "queer" so häufig zu verwenden.
Karin ist eine Lesbe. Hannes ist schwul. In der Schweiz wurde jetzt die Homo-Ehe eingeführt. Wenn wir auf Deutsch über Menschen reden, die nicht heterosexuell sind, hört sich das meistens nicht besonders freundlich an. Worte wie "schwul", "lesbisch" oder "homosexuell" klingen mindestens distanziert, sind oft negativ besetzt.
Im Englischen ist das anders. Sissy, Butch, Dyke - früher wurden mit diesen Begriffen Nicht-Heterosexuelle abgewertet. Heute können sie im passenden Kontext sogar zärtlich sein. Dass jemand sich liebevoll "Schwuchtel" nennen lässt, kann man sich hingegen schlecht vorstellen. Deswegen greifen auch hierzulande viele Nicht-Heterosexuelle auf Begriffe aus dem englischen Sprachraum zurück. Gerade das Wort "queer" setzt sich immer mehr durch.
Woran liegt es, dass die, sonst so wortreiche, deutsche Sprache in dieser Hinsicht so hart ist? Und ist "queer" wirklich die Lösung? Auch an dem harmlosen Begriff gibt es inzwischen Kritik.Dass sich im englischen Sprachraum Menschen freiwillig als "Fag", also Schwuchtel, bezeichnen, ist ein Ergebnis von szene-interner Selbstaneignung. "Dahinter steht, eine verletzende Zuweisung anzunehmen und zu bestärken - aber in einer radikalen Umwendung", sagt Jule Govrin. Sie ist Philosophin, die zu queerpolitischen Themen forscht. Die Schimpfwörter werden so also zu Worten, die die Beschimpften selbst nutzen, erklärt Jule.
Wie schwer sich Menschen in Deutschland mit solchen Begriffe tun, erzählt Bambi Mercury. Bambi ist eine Dragqueen und bezeichnet sich selbst als schwul. Unter Freunden würde Schwuchtel durchaus schon mal genutzt, doch:
„Du musst wissen, wann das angebracht ist, welche Menschen das richtig aufnehmen."
Die deutschen Worte seien sehr viel härter, verletzender. Trotzdem versucht sich auch Bambi in einem offensiven Umgang mit diesen Worten: "Auf der Straße wurde mir schon oft 'Schwul' oder 'Schwuchtel' hinterhergerufen - und ich kann da nur sagen: Ja, stimmt".
Schwuchtel, Lesbe, Tunte - schon häufiger wurden in der queeren Community Versuche unternommen, sich diese Begriffe anzueignen. Doch nur selten mit nachhaltigem Erfolg."Viele Bezeichnungen sind wieder verschwunden oder werden nur in den Tiefen der Subkultur benutzt", sagt Jule Govrin. Wer in Deutschland nach passenden Begriffen für queere Menschen suche, höre oft den von rechts besetzten Begriff "Genderwahn".
Auch mit den vermeintlich neutralen, wissenschaftlich klingenden Begriffen haben viele Menschen aus der Community ihre Schwierigkeiten. "Das Wort 'homosexuell' wird in Deutschland häufig als Synonym für schwul verwendet", sagt LCavaliero Mann. Mann ist künstlerischer Leiter des Schwulen Zentrums (SchwuZ), einem Berliner Nachtclub."Lesbe wird von vielen als negatives, schmutziges Wort wahrgenommen, weil lesbisch zu sein immer noch keine gleichberechtigte gesellschaftliche Wertschätzung und Anerkennung erlangt hat."
LCavaliero Mann ist künstlerischer Leiter des Schwulen Zentrums in Berlin.
(Bild: LCavaliero Mann)
Die Scheu vor eindeutigen Begriffen hängt sicher auch mit Angst vor Homophobie und Diskriminierung zusammen. Denn die gibt es in Deutschland noch immer: Allein im ersten Halbjahr 2019 wurden 130 Straftaten gegen homosexuelle, bisexuelle, inter- und transsexuelle Menschen registriert ( Tagesschau). Und noch bis 1994 standen sexuelle Handlungen zwischen Männern in Deutschland unter Strafe, im Paragraph 175, dem sogenannten Schwulenparagraphen.
Anstatt sich die deutschen Begriffe anzueignen, mitsamt ihrer schmerzhaften Geschichte, griffen große Teile der Community vielleicht auch deshalb zu englischen Begriffen, weil diese nicht nur netter klingen, sondern sich zudem sicherer anfühlen. Das beste Beispiel hierfür ist "queer". Gemeint ist damit: alles, was im weitesten Sinne mit LGBTQ zu tun hat. Ein Begriff, für unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Identitäten. Eine lesbische Frau ist queer, wer trans ist, auch.
„Queer ist eigentlich ein radikaler Begriff mit politischem Potential."
Der Begriff geht davon aus, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt und sexuelle Orientierung viele Formen haben kann. Doch durch die inflationäre Verwendung verliere er gerade dieses Potential: "Oft wird er benutzt, um nicht schwul, lesbisch oder bi sagen zu müssen". Er sei kurz, einprägsam und damit leicht zu verwenden. Damit werde er sogar zum Party-Motto. Queer ist irgendwie alles, von lesbischen Frauen bis zu Männern, die gerne mal Nagellack tragen.
Auch LCavaliero Mann ist skeptisch: "Ich frage mich, ob man es sich mit den englischen Begriffen nicht manchmal zu einfach macht", sagt Mann. Denn zu Begriffen wie "Schwuchtel" gehört immer auch eine Diskriminierungserfahrung. "Queer ist harmonisierend", sagt Jule. "Die Gewaltgeschichte von Worten wie Schwul, Lesbisch oder Tunte wird damit abgefedert. Man schützt sich vor Unbehagen."
Jule Govrin ist Philosophin und forscht zu queerpolitischen Themen.
(Bild: Jule Govrin)
Wer wie im Englischen auch auf Deutsch ein Wort wie "Schwuchtel" für sich selbst verwende, mache sich den Begriff zu eigen und damit weniger beleidigend. In einem geschützten Raum funktioniert das oftmals schon, zum Beispiel im Schwulen Zentrum in Berlin: "In meiner Umgebung werden auch ältere deutsche Begriffe wie Transvestit oder Tunte benutzt", sagt Mann. Er selbst komme aus der Generation, die dafür kämpfte, dass das Wort "Transsexuell" aus dem Sprachgebrauch verschwindet: "Trans zu sein hat nichts mit der Sexualität zu tun, sondern mit der Geschlechtsidentität. Außerdem diente der Begriff dazu, uns Trans*menschen zu pathologisieren". Dennoch werde der Begriff auch heute noch oft benutzt, auch in den Medien."
Philosophin Govrin will, dass die Begriffe noch viel häufiger werden. Sie hat dazu eine klare Meinung.
Queere Menschen sollten sich trauen, Worte wie "Schwuchtel" zu sagen. Das sorge für Aufklärung, aber auch dafür, dass sich die Bedeutung von Begriffen verändern könne.Dragqueen Bambi Mercury
(Bild: Candy Crush)
Zunächst müssen diese aber Eingang in die Alltagssprache finden. Viele Mitglieder der Community sehen dabei auch Medien in der Pflicht. Dragqueen Bambi hat beispielsweise während ihrer Teilnahme an Heidi Klums Show immer wieder mit Pressevertretern um Formulierungen gestritten. "Dauernd musste ich erklären, dass Drag Queens nicht gleichzusetzen sind mit Transmenschen." Was sie sich stattdessen wünscht: "Wenn über queere Menschen geschrieben wird, fände ich es schön, wenn Menschen herangezogen würden, die sich auskennen, die Sprache verstehen".
Und hoffentlich kann dann bald auch die deutsche Sprache wortreicher und liebevoller in Bezug auf queere Menschen werden. Dann könnte man den schwulen Bachelor auch nicht mehr "Prince Charming" nennen, sondern einfach: die Single-Schwuchtel.
Greta ist müde - und mit ihr eine ganze Generation. Was bedeutet das für den Klimaschutz?
Davos zeigt, wer im Ringen um die Zukunft echte Macht hat - und wer nur gefühlte.
Greta Thunberg resigniert gleich zu Beginn ihrer Rede. Die Klimaaktivistin ist 17, Begründerin der größten Jugendbewegung unserer Zeit und spricht vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos - wie schon im Jahr zuvor. Wieder hat sie gewarnt, unser Planet stehe in Flammen und es sei nun wirklich die Zeit für Panik - wie schon im Jahr zuvor.
Was anders ist: Greta Thunberg wirkt erschöpft. Und das liegt nicht nur an ihrer Erkältung. Sondern auch an ihren Worten. Sie reflektiert, was seit ihrer Rede vor einem Jahr geschehen ist. Damals habe man sie gewarnt, das Wort "Panik" zu benutzen, sei gefährlich: "Glaubt mir, ich habe das schon mal gemacht und ich kann euch versichern, es führt zu nichts." Ihr Alarmismus hat nicht gezündet.
Seit anderthalb Jahren geht Greta Thunberg demonstrieren. Das Mädchen mit dem Protestplakat hat mittlerweile Millionen aus aller Welt hinter sich versammelt. Schülerinnen, Schüler und junge Erwachsene gehen bei "Fridays for Future" regelmäßig für den Klimaschutz auf die Straße, treffen sich mit Wirtschaftsbossen, sind zu Streitgesprächen mit Politikerinnen und Politikern geladen.