Die Grabbelkiste im Media Markt am Alexanderplatz. Ab 9,99 Euro, ungeordnet Spiele hineingeworfen, ein großer Haufen. Davor steht Michael, auf der Suche nach einem günstigen Videospiel. Die Augen schnellen von Verpackung zu Verpackung, dann merkt er, dass er heute leer ausgehen wird. Die Spiele hat er schon oder sie interessieren ihn nicht.
Nicht weit entfernt stehen junge Menschen, wahrscheinlich Schüler, vor Anspielstationen. Controller in der Hand. Unweit davon die neuen QLED-4K-Fernseher mit HDR. 1000 Euro sollte man hinblättern, um einen ordentlichen Fernseher vor die Couch zu hängen. Michael hat sowas nicht. Momentan hat er auch keinen Job. Aber das Zocken möchte er trotzdem nicht aufgeben. Also streift er ab und zu durch die Elektronikfachgeschäfte und sucht nach guten Angeboten.
"Der Vorteil von physischen Spielen ist, dass man sie nach dem Durchspielen verkaufen kann", sagt er. Oder man verleiht sie an Freunde, so wie er sich auch immer wieder Spiele leiht.
Games und Controller für 60 Euro
Videospiele sind ein ziemlich teures Hobby. Es braucht Hardware: Eine Playstation 4 kostet noch immer um die 250 Euro, eine Nintendo Switch um die 300. Ein Gaming-PC kostet ein Vielfaches mehr und muss nachgerüstet werden, wenn die aktuellsten Spiele darauf laufen sollen. Möchte man mit Freunden zocken, braucht es weitere Controller. Ein Pro-Controller für die Switch kostet 60 Euro.
Fehlen noch die Spiele. Neue Blockbuster schlagen mit 60 Euro zu Buche. Und möchte man diese online spielen, so gilt es auf den Konsolen noch eine Gebühr zu zahlen. Dann noch ein paar Mikrotransaktionen oder kostenpflichtige Erweiterungen und fertig ist das Hobby, das für Geringverdiener nur schwer zu stemmen ist.
"Ich warte, bis ich genug gespart habe und halte dann Ausschau nach Sales. Da kann es schon passieren, dass ich lange auf ein Spiel warten muss", sagt Angelina. Sie ist 17 Jahre alt, macht gerade ihr Abitur und lebt bei ihrer alleinerziehenden Mutter, die momentan nicht arbeitet. Das Geld ist knapp.
"Ich glaube, das letzte Vollpreis-Spiel war eine Erweiterung für "Sims 4", die 40 Euro gekostet hat", erzählt Angelina. "Das ist viel Geld, hat sich aber definitiv gelohnt." Eigentlich kaufe sie nur Spiele mit möglichst viel Inhalt, damit sie viel davon habe. Sie spiele ihre Videospiele anders als viele andere Menschen, sagt sie. "Für die meisten sind Spiele nichts Besonderes." Sie selbst versuche, sich möglichst lang für jedes Spiel zu begeistern, das sie gekauft hat - denn wahrscheinlich wird es dauern, bis das nächste kommt.
Über Videospiele redet man
Sicherlich, die meisten Hobbys kosten Geld. Fotografen kaufen sich teures Equipment, Sportler haben eine Mitgliedschaft im Fitnessclub und kaufen sich entsprechende Kleidung. Und wer sich Wagner in der Oper anschauen möchte, darf auch ganz gut hinblättern.
Bei Games geht es aber stärker als bei vielen anderen Hobbys um Teilhabe an einem Trend - um das Mitreden unter Freunden, auf dem Schulhof. Gerade bei Online-Spielen ist es für viele wichtig, ab der ersten Minute mit dabei zu sein. Erscheint ein neues "Call of Duty", warten die größten Fans sicherlich nicht darauf, dass das Spiel runtergesetzt wird.
Daher kann ein "Fortnite: Battle Royale" beinahe als egalitäres Spiel gewertet werden. Eines, das diese Bezahlschwelle zunächst nicht hat, ein Spiel, das Spieler erst im Laufe des Spiels dazu verlockt, das Geld zu zahlen. Aber sie müssen nicht. "Fortnite" wurde auch deshalb zu diesem Phänomen, das sich auf Tänze, Fernsehshows oder Sportveranstaltungen ausweitete.
Aber die meisten Spiele kosten. Zudem werden Videospiele zu einem kulturell immer wichtigeren Genre. Sie erzählen anders als etwa Romane oder Filme. In ihnen werden immer mehr aktuelle Diskurse aufgegriffen und verhandelt. Kurzum: Games sind bedeutend.
Spielen wie vor zehn Jahren
"Mein Tipp, damit Gaming kein teures Hobby ist: Auf einer völlig veralteten Plattform spielen", sagt Judith. Die 29-Jährige arbeitet als Köchin, verdient etwa 1200 Euro netto, doch schon für Miete und das Auto, mit dem sie zur Arbeit fahren muss, geht mehr als die Hälfte des Einkommens drauf.
"In meinem PC ist noch eine Intel-i3-CPU verbaut, schon viele Spiele von 2016 laufen darauf nicht mehr", erzählt Judith, die viel Zeit mit MMORPGs und MOBAs verbringt - "obwohl das nicht meine Lieblingsgenres sind". Doch mit solchen Spielen könne man eben sehr viel Zeit verbringen, für wenig Geld. "Wenn ich Singleplayer-Spiele kaufe, dann koste ich das richtig aus: Ich spiele sehr langsam, schaue in jede Ecke und spiele das Ganze gern auch noch ein zweites oder drittes Mal." Dabei könnten Rollenspiel-Elemente wie ein Klassensystem oder ein Skilltree besondere Anreize bieten. Das nächste Durchspielen bleibe durch sie trotzdem spannend.
Videos vor dem Kauf
Um keine Fehlkäufe zu machen, schaut Judith sich im Vorfeld Let's-Play-Videos an. So kann sie abschätzen, ob ein Spiel auch wirklich etwas für sie ist. Von dem wenigen Geld auch noch Spiele zu kaufen, die enttäuschen, das kann sie sich nicht leisten.
Judith kauft auch fast nur Spiele, die im Angebot sind. "Vor einem halben Jahr habe ich mir "Black Desert Online" für 5 Euro gekauft", sagt sie, "da ist noch jede Menge Spielzeit drin."
Eine kurze Umfrage von mir, dem Autor, auf Twitter zeigt, dass viele Spieler mit wenig Geld so handeln wie Judith, Angelina und Michael. Sie suchen nach Angeboten, versuchen jede Minute Spielzeit aus den Spielen zu pressen. Kaufen Spiele gebraucht, bleiben bei der alten Hardware - vertreiben sich die Zeit mit Playstation 3 oder einem alten PC.
Doch viele tun das, weil sie keine andere Möglichkeit haben, nicht weil sie es möchten. Sie fühlen ihre Teilhabe schwinden, wenn sie Spiele erst dann erleben können, nachdem diese fünf Jahre auf dem Markt waren. Immer die neuesten Games spielen zu können, ist Luxus.
Höchstens eine Stunde spielen
Fern von jedem Luxus ist derweil das Klubhaus Spandau. Ein Jugendzentrum im Ortsteil Falkenhagener Feld. Die Menschen in dieser Gegend sind eher einkommensschwach. Im Haus laufen Kinder und Jugendliche durcheinander, sie werden in pädagogische Programme integriert - man kümmert sich um sie. Im Spielraum stehen eine Wii und eine Playstation 4. Und um die Konsolen herum stehen oft ungeduldige Spieler, die darauf waren, dass sie zum Zug kommen. "Jeder darf bei uns höchstens eine Stunde zocken", sagt Fabian Langer, der das medienpädagogische Angebot im Klubhaus betreut.
Videospiele seien hier ein sogenannter Pull-Faktor: Sie bringen Kinder und Jugendliche in das Zentrum, die dann im besten Fall bleiben, um so Kontakt zu anderen Menschen knüpfen und das pädagogische Programm wahrzunehmen. "Viele der Kinder und Jugendlichen, die zu uns kommen, haben selbst keine Möglichkeiten, Videospiele zu spielen", sagt Langer. "Weil sie oder ihre Eltern nicht das Geld haben."
Spiele mit einer Freigabe ab 18 Jahren gibt es hier nicht zu spielen. Und selbst Spiele, die ab 16 sind, dürfen erst am Abend herausgeholt werden, wenn die Kleinsten nicht mehr da sind. Vor allem Multiplayer-Spiele sind beliebt, gerade sind es "Fifa 19", "Rocket League" und "Dragon Ball Fighter Z". Wer diesen Jugendklub besucht, der kann später auch auf dem Schulhof mitreden.
Wo sind die Videospielotheken?
Was könnte also helfen? Sollte man den Hartz-IV-Satz erhöhen, in dem für "Freizeit, Unterhaltung, Kultur" momentan nur 41,43 Euro pro Monat vorgesehen sind? Sollten Spiele günstiger werden, obwohl die Produktionskosten großer Titel stetig steigen? Beides scheint derzeit eher unwahrscheinlich.
Vielleicht wäre ein anderer Umgang mit Videospielen nötig. Wieso keine staatlichen Videospielotheken bauen, in denen sowohl moderne Spiele als auch Hardware verliehen werden? Wieso keine Spielzimmer in Schulen einrichten, in denen Wissensvermittlung über Games praktiziert wird? Wieso nicht Gameswissenschaft, die neben Literaturwissenschaft an der Uni angeboten wird - mit dem gleichen Stellenwert? Dafür bräuchte es freilich auch ein Entgegenkommen der Branche, die viele Spiele nur noch digital vertreibt, sie an personalisierte Accounts bindet. Doch da gäbe es sicherlich Wege.
Noch sind Videospiele im öffentlichen Diskurs dieses Medium mit den Ballerspielen. Aber was auf Schulhöfen und in den Köpfen vieler, gerade jüngerer Menschen läuft, ist weit entfernt davon. In diesen Räumen sind Videospiele ein Medium, das prägt.