Jetzt hat er die Hände erhoben, hoch zu den bunten Lichtern an der Decke. Gerade lagen sie noch auf den Hüften seines Freundes. Am Mischpult legt eine Dragqueen Madonna auf, Ayham schließt die Augen und tanzt. Es ist kurz nach Mitternacht, der Club füllt sich. Ayham trifft immer wieder Bekannte, umarmt sie, verteilt Küsse. Hier ist er einer von vielen.
Bis zu diesem queeren Club in Berlin-Neukölln war es für den 22-jährigen Ayham ein langer Weg. Er wurde in Hama geboren, eine Stadt im Westen Syriens. Sein Vater ist Arzt, seine Mutter Kunstlehrerin. Ayham machte Abitur, da gehörte der Krieg in Syrien bereits zum Alltag. Doch nicht nur die Bomben schränkten Ayhams Leben ein. "Ich wollte reden, ohne Angst zu haben", sagt er. Über Religion, den Koran. Und darüber, wen er begehrt.
Ayham ist schwul. Aber in Syrien ist Homosexualität gesellschaftlich geächtet, gesetzlich verboten und wird mit Gefängnis bestraft. Wenn er sich in Syrien traute, einen Porno zu schauen, musste er danach weinen. Er fühlte sich schuldig, sagt er. Mit 17 begann er ein Architekturstudium, der Krieg blieb in der Stadt. Ayham wollte nach Europa auszuwandern. Seine Eltern unterstützten den Plan, aus Angst, ihr Sohn könnte als Soldat in den Krieg ziehen müssen. Dass er schwul ist, wussten sie nicht. 2016 bekam er ein Studentenvisum für Deutschland.
Eine Woche vor seiner Abreise fragte ihn seine Mutter, ob er auf Männer stehe. Nein! sagte Ayham. Dann sah er ein, dass dieser Moment so bald nicht wiederkommen würde. Er wollte die Dinge klären. "Es war die schlimmste Woche meines Lebens." Er solle zum Psychologen gehen, flehten Mutter und Vater. An seine Religion denken. Und bitte, bitte eine Beziehung mit einer Frau eingehen. Beide weinten. "Aber ich hatte mich endlich akzeptiert", sagt Ayham.
Heute hat er einen queeren Freundeskreis, Syrer, Iraker, Deutsche. Oft gehen sie am Wochenende tanzen. Eine Abwechslung für Ayham, der viel Zeit damit verbringt, Deutsch zu lernen und Deutschland mit seinen vielen Formularen und Anforderungen zu verstehen. Wenn er tanzt, verschwindet er für eine Nacht in der Musik, zwischen all den Tanzenden. In diesen Farben, nach denen er sich in Syrien so gesehnt hatte. Heute sagt Ayham: "Ich bin glücklich, wenn ich daran denke, dass ich jetzt in Berlin lebe."
Seine Reise nach Deutschland führt über Beirut, von dort aus fliegt er nach Düsseldorf. Ayhams Bruder und seine Tante, die schon in Deutschland wohnen, holen ihn ab. Mit der Bahn geht es nach Bielefeld, wo Ayham ein Zimmer in einer Sprachschule bezieht. Hier lernt er Deutsch, in Bielefeld hat er auch zum ersten Mal Sex. Ayham entdeckt Dating-Apps und queere Clubs. Er kann endlich Männer kennenlernen, ohne Angst zu haben.