Ein großer Raum, Steinboden, die Küche im hintersten Eck. Davor ein Regal mit Mate, Cola, Bier. Jede Menge Schreibtische mit mehreren Bildschirmen. Einige haben gleich drei um sich geschart. Der Saftladen in Berlin, Kottbusser Tor.
Hier sitzen mehrere Indie-Studios, hier arbeiten sie an ihren Spielen. Inbetweengames nennt sich eine der kleinen Firmen, einer ihrer drei Entwickler ist Jan David Hassel. Das Spiel, das sein Team und er gerade herausgebracht haben, heißt " All Walls Must Fall".
Es ist ein Taktik-Spiel, das in einem Berlin der Zukunft spielt. In einem Berlin, in dem die Mauer noch steht. In einem Berlin der Techno-Clubs, in denen auch queere Liebe zelebriert wird. Das sind Zutaten, die angenehm anders sind. Aber auch Zutaten, die Erfolg nicht gerade garantieren.
"Hätten wir beim Kickstarter mehr Geld bekommen, hätten wir noch mehr Charaktere in das Spiel gebracht", sagt Jan David Hassel. Nun tritt in seinem Spiel nur ein spielbarer Charakter auf: ein Mann. "Wir wollten eigentlich Charakter-Wahlmöglichkeiten bieten, die sonst weggelassen werden", sagt er, eine weibliche Figur etwa. Oder, das wäre die dritte Option gewesen, einen Non-Binary, also einen weder männlichen noch weiblichen Charakter.
Von März 2017 an sammelte Inbetweengames auf Kickstarter Spenden für das Spiel. Im April endete die Online-Kampagne mit 1402 Unterstützern, die 36.576 Euro investierten. Doch bis dahin war es ein weiter Weg.
"Um das Spiel bis zu dem Punkt zu bringen, an dem wir es auf Kickstarter zeigen konnten, mussten wir schon viel Geld investieren", sagt Jan David Hassel, dessen Firma Hilfe vom Medienboard Berlin-Brandenburg bekam. Dabei handelt es sich um ein staatliches Unternehmen, das die Film- und Medienwirtschaft fördert. Für Games werden jedes Jahr eine Million Euro bereitgestellt.
Seit August zu kaufen
Doch um vom Medienboard überhaupt gefördert zu werden, musste ein Business-Plan erstellt werden, erklärt Hassel. Und die Arbeiten mussten schon so weit vorangeschritten sein, dass das Spiel als Projekt vorgezeigt werden konnte - inklusive eines angepeilten Veröffentlichungsdatums.
"Das Medienboard ist super", sagt der Entwickler. "Aber das Geld muss eben auch zurückgezahlt werden, wenn Einnahmen da sind." Doch so wie es aussehe, werde "All Walls Must Fall" wohl nicht genug dafür einspielen, dass eine komplette Rückzahlung des Geldes möglich ist.
Kaufen lässt sich das Spiel mittlerweile schon länger, im August 2017 ging es auf der Verkaufsplattform Steam in die "Early Access"-Phase. In einer solchen Phase können Nutzer ein Spiel schon erwerben - meist zu einem günstigeren Preis -, während die Entwickler noch weiter daran arbeiten.
"Wir waren da nur so mittelerfolgreich", sagt Jan David Hassel heute zur Vorabveröffentlichung. Jede Woche würden viele Dutzend Spiele auf Steam erscheinen. Da sei es unglaublich schwierig, herauszustechen, besonders, wenn kein großer Publisher hinter einem stünde, der die Werbekosten trägt. "Gegen den haben wir uns bewusst entschieden", sagt Hassel. Er glaubt, dass sonst die kreative Freiheit des Teams eingeschränkt worden wäre.
Erfolgreich mit Indie-Publisher
Vergleichbar, aber doch anders ist die Lage bei den Osmotic Studios. Auch dieses Entwicklerteam sitzt in einem Großraumbüro mit mehreren anderen Entwicklern, jedoch in Hamburg. Auch ihre Firma besteht aus drei Entwicklern. Und auch dieses Trio hat Fördergelder bekommen, etwa vom Deutschen Computerspielpreis, bei dem sie 2014 den Nachwuchspreis bekamen. Dazu kam eine Gründungsförderung für Studenten, die direkt an der Uni ein Start-up gründen.
Doch anders als Inbetweengames haben die Osmotic Studios einen Publisher gefunden: Surprise Attack Games, einen Indie-Publisher.
Gerade hat das Hamburger Team den zweiten Teil seines Spiels "Orwell" namens " Ignorance is strength" herausgebracht. Darin geht es um sogenannte Fake News, um Medienmanipulation. "Wir konnten den zweiten Teil herausbringen, weil der erste erfolgreich war", erzählt Melanie Taylor, zuständig für Art und Business bei Osmotic Studios. Man habe sich eine Fangemeinde aufbauen können, sich mit dem Erstling, der von Snowden und Datenleaks beeinflusst war, einen Namen gemacht.
Zweieinhalb Jahre Arbeit am ersten "Orwell"
Die Arbeit am ersten "Orwell" sei auch sehr viel umfangreicher gewesen, sagt Taylor: "Wir mussten ja erst einmal eine Grundmechanik aufbauen". Zweieinhalb Jahre habe man deshalb an dem Spiel gearbeitet. Finanziert wurde das Ganze durch Förderungen und, so Melanie Taylor, auf den Zielmetern auch vom Geld des Publishers.
Für den zweiten Teil habe man jetzt lediglich ein Jahr gebraucht, heißt es - das Gerüst habe ja schon gestanden. Und während man sich zur Gründung des Studios auch noch mit Auftragsarbeiten finanziert habe,seien die Erlöse allein nun hoch genug, damit die drei Mitarbeiter ihr Gehalt bekommen.
In Berlin, im Saftladen bei Inbetweengames, fehlt solch ein wenigstens vorläufiges Happy-End: Einige Schreibtische werden hier bald geräumt. Die drei Entwickler des Start-ups haben neue Jobs, der Durchbruch - vor allem finanziell - bleibt ihrem Studio wohl vergönnt. Obwohl "All Walls Must Fall" spannend ist, obwohl es politische Themen behandelt. Und obwohl es eigentlich so gut zu Deutschland passt.
Jan David Hassel zieht nun nach 15 Jahren Berlin nach Stockholm. Dort arbeitet er bei einem sogenannten "Triple A"-Studio, einer Firma, die Blockbuster entwickelt. Davon gibt es in Deutschland kaum welche.