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Videospiele: Alles hat ein Ende, nur das Spiel hat zehn

Werdet ihr rennen oder angreifen? Werdet ihr eure Mutter gut behandeln, oder ihr Beleidigungen an den Kopf werfen? Ist die Beziehung zu der neuen besten Freundin vielleicht doch mehr als nur eine Freundschaft? Diese und andere Fragen stellt Life Is Strange: Before The Storm den Spielern und lässt sie somit die Geschichte schreiben.

Im Nachfolger des 2015 erschienenen Life is Strange befindet sich die 16-jährige Chloe Price in einer schwierigen Phase ihres Lebens. Kurz nach dem Tod ihres Vaters muss sie das Leben eines rebellischen Teenagers in einer Kleinstadt ertragen. Wie dieses Leben verläuft, entscheiden die Spieler - sie müssen Position beziehen und sich dabei auch immer wieder unangenehmen Fragen stellen. Das Spiel und dessen Ende richten sich nach ihren Antworten.

Life is Strange: Before the Storm, dessen Coming-of-Age-Geschichte vor den Ereignissen des Vorgängers spielt ist auch deshalb so besonders weil es den performativen Aspekt von Videospielen ausnutzt. Es zeigt, wie übergriffig das Medium eigentlich ist - im besten Sinne.

Fragen und Entscheidungen

Viele Spiele fordern die Spieler und ihre Reflexe heraus, zum Beispiel Battlefield 1: Wenn das Schlachtfeld von der gegnerischen Armee eingenommen wird, haben die Spieler zu entscheiden: Wohin soll die Spielfigur nun geschickt werden? Es ist eine Entscheidung, die in Sekundenschnelle getroffen wird. Ob es die richtige Entscheidung war, zeigt das Ende des Spiels. Wenn die Stützpunkte nach Ablauf der Zeit noch stehen, ist das Match gewonnen. Wenn nicht - tja, dann lag es vielleicht auch an dieser Entscheidung.

Battlefield 1 und Life Is Strange: Before the Storm stehen exemplarisch für ganz unterschiedliche Arten des Spielens. Ihnen liegen Mechanismen zugrunde, die weniger einem Genre - sei es nun Shooter oder Adventure - zugehörig sind als der Entscheidung, wie sehr die Spieler Einfluss auf die Narration nehmen sollen.

Ein Spiel wie Battlefield 1 fordert die Spieler konstant heraus, stellt sie vor Entscheidungen: Welche Ausrüstung soll es sein, welche Wege werdet ihr gehen, seid ihr Teil der Offensive oder der Defensive? Diese Entscheidungen werden von Spielern oft unbewusst getroffen, sie fügen sich ein in den Spielstil, der über Monate und Jahre gewachsen ist. Oder es handelt sich um Reflexe: Kommt eine gegnerische Spielfigur um die Ecke, wird automatisch die Waffe angelegt und geschossen. Sekundenschnelle Entscheidungen passen in den Spielfluss, sie sind eingebettet in die Herausforderungen des Spiels, werden von den Spielern im Affekt getroffen.

In Life is Strange dagegen unterbrechen Fragen immer wieder diesen Spielfluss. Die Frage ist ein Sprechakt, also Sprache, die Handlungsmacht hat. Sie ragt aus dem Spiel heraus, sie trifft die Spieler, greift sie geradezu an. Die Frage prüft die Einstellung der Spieler, lässt sie Position beziehen. Wie sich die Spieler verhalten, verändert wie in einem Improvisationstheater die Konstellationen des Spiels und schließlich das Ende.

Auch wenn filmische Sequenzen und eine straffe Narration viele Genre dominieren, entdecken immer mehr Spiele die Veränderbarkeit der Narration. Dabei geht es um mehr, als die Spieler bloß zwischen verschiedenen Wegen wählen zu lassen. Das tun etwa Rollenspiele schon seit jeher. Doch die Spieler konstant zu hinterfragen, sie immer wieder zur Geschichte Position beziehen zu lassen - diese Ausdifferenzierung steht noch am Anfang ihrer Möglichkeiten.

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