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Khartum lässt die Muskeln spielen

Am Wochenende des 19. bis 20. Mai hatte die nordsudanesische Armee machtvoll demonstriert, wie sie auf einen vorhergehenden Angriff von vermeintlich Soldaten der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) auf zwei ihrer Kompanien reagierte. Innerhalb weniger Stunden gelang es den Truppen des Nordsudans, die südsudanesische Armee aus der gleichnamigen Provinzhauptstadt zu vertreiben. Der Norden kontrolliert seitdem die Abyei-Region.

Am Freitag, dem 20. Mai erreichten die Öffentlichkeit die ersten Meldungen über einen Angriff von vermutlich südsudanesischen Polizeikräften auf einen Konvoi des Nordsudans. Dieser sollte im Rahmen eines Entmilitarisierungsabkommens aus der Region um Abyei abgezogen werden. Auch UN-Friedenstruppen, die die zwei sudanesischen Kompanien eskortierten, gerieten unter Beschuss. Das Geschoss einer Panzerfaust traf dabei ein UN-Fahrzeug.

Unmittelbar nach dem Ereignis teilte ein Sprecher der sudanesischen Armee mit, dass bei dem Übergriff 22 sudanesische Soldaten ums Leben gekommen seien. Die Regierung um Omar al-Baschir machte daraufhin den Südsudan als Drahtzieher des Angriffs aus. Der wies jedoch jedwede Verantwortung für den Vorfall von sich.

Die Antwort Khartums folgte mit aller Härte nur wenige Stunden später. Laut Angaben des US Projektes Satellite Sentinel, das mit hochauflösenden Satellitenaufnahmen frühzeitig Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren versucht, hatten beide Parteien in den letzten Wochen ohnehin schon ihr Truppenkontingent rund um die umkämpfte Region massiv aufgestockt.

Die Schnelligkeit des Gegenschlages überrascht also kaum. So vermeldeten beide Parteien schon am Samstag, dass die nordsudanesische Armee Abyei besetzt und dort stationierte Soldaten der SPLA vertrieben habe.

Der Vorstoß erfolgte laut UN mit mindestens 15 Panzern, heftigem Artilleriebeschuss und zudem mehreren Bombardierungen aus der Luft. Erst zwei Tage später entspannte sich die Situation insofern, dass der Norden keine weitere Gegenwehr zu bekämpfen hatte. Die Mission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) musste Plünderungen und Brandstiftung durch bewaffnete Gruppen von ihrem Stützpunkt aus hilflos beobachten und geriet dabei auch selber ins Kreuzfeuer der Kontrahenten.

Kurz nach der Einnahme Abyeis erklärte Präsident Baschir die aus zwei Köpfen bestehende Verwaltung und das Parlament für aufgelöst. Baschir äußerte nun sogar, dass man die Unabhängigkeit des Südsudans nur dann akzeptiere, wenn er seinen Anspruch auf Abyei aufgebe. Eine klare Machtdemonstration.

Khartum wird seinen Anspruch auf Abyei nicht aufgeben

Der Angriff und die anschließende Okkupation Abyeis wurden weltweit scharf kritisiert. Fast alle Großmächte sahen in dieser Aktion eine unverhältnismäßige Antwort auf eine ebenso unnötige Provokation. Seit dem Friedensschluss von 2005 hatten schon zahlreiche Akteure aus Politik und öffentlichem Leben versucht, beide Konfliktparteien zu beeinflussen und die verhärteten Fronten aufzubrechen. Mit nur mäßigem Erfolg.

Die USA als wohl wichtigster Unterstützer des Friedensschlusses von 2005, verurteilten die Einnahme von Abyei und forderte Khartum auf, das militärische Vorgehen zu stoppen und Truppen aus der Region abzuziehen. Ebenso appellierte das Weiße Haus an den Südsudan, die Verantwortung für den vorhergehenden Überfall auf die von UN-Friedenstruppen begleiteten Kompanien zu übernehmen.

Schon in der Vergangenheit hat sich jedoch gezeigt, dass Khartum seinen Anspruch auf Abyei nicht leichtfertig aufgeben wird und die tatsächliche Einflussmöglichkeit der USA nur begrenzt ist. So fand das Angebot einer Normalisierung der Beziehungen beider Staaten - inklusive Schuldenerlass in Milliardenhöhe sowie die Streichung von der Liste von Staaten, die den Terrorismus unterstützen - nur geringen Anklang. So hatten Mitglieder der Nationalen Kongresspartei (NCP) immer wieder betont, dass man Abyei nicht deshalb aufgebe, um sich in Washington oder Juba anzubiedern.

China drängt auf eine friedliche Lösung

Auch die Vereinten Nationen verurteilten das Vorgehen des Nordsudans als grobe Verletzung des Friedensabkommens und forderten ebenfalls ein unmittelbares Einstellen militärischer Aktionen und einen sofortigen Rückzug aus Abyei. Die Regierung unter Omar al-Baschir reagierte darauf eher defensiv und wichtige Vertreter der NCP lehnten es sogar ab, an Gesprächen mit einer Delegation des UN Sicherheitsrates teilzunehmen. Nach Meinung hoher Delegierter eine verspielte Gelegenheit für den Nordsudan.

Die in Abyei stationierten UNMIS-Truppen mussten dem Verlauf des Konflikts mehr oder weniger hilflos zusehen. Es blieb ihnen nicht viel übrig, als den Norden eindringlich aufzufordern, zumindest Plünderungen und Brandstiftung in den nun von ihnen besetzten Gebieten zu verhindern.

Auch weitere Spitzenkräfte der internationalen Diplomatie sprachen sich einstimmig gegen das Vorgehen Khartums aus. So unter anderem Catherine Ashton als Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitsfragen, Thabo Mbeki als Leiter des Vermittlungsversuches der Afrikanischen Union (AU) oder Außenminister Guido Westerwelle, der in den gegenwärtigen Kampfhandlungen eine Gefährdung des "gesamten Friedensprozesses um die Unabhängigkeit Südsudans" sah.

Sogar Sudans Haupthandelspartner China, der sonst bei Menschenrechtsverletzungen im In- und Ausland eher dafür bekannt ist, beide Augen zuzudrücken, verurteilte die derzeitige Entwicklung in Abyei und hofft auf eine friedliche Lösung des Konflikts.

Das handliche Schlagwort Öl verkennt tieferliegende Ursachen

Was ist es nun also, dass diesen Landstrich für beide Parteien derart unverzichtbar macht?Schenkt man den vereinzelten Meldungen, die die westliche Presse überhaupt erreichen, Glauben, so entsteht der Eindruck, als gehe es bei diesem Konflikt vor allem um eines: Öl.

Vor wenigen Jahren mag Abyei noch eine der wichtigsten Ölförderregionen des Sudans gewesen sein. Verschiedenste Entwicklungen trugen allerdings dazu bei, dass dessen Bedeutung heute nur noch geringfügig ist. Dabei ist zum einen eine Entscheidung des Ständigen Gerichtshofes in Den Haag 2009 zu nennen, die zwei der drei Ölfelder dem Norden zusprach. Hinzu kommt, dass die Fördermenge des dem Süden verbliebenden Felds bei Diffra stetig abnahm, zugleich aber die Produktivität anderer Quellen erhöht werden konnte. Zudem können sudanesische Ölquellen ohnehin nicht mit den Förderleistungen irakischer oder saudischer Produzenten mithalten.

Gleichwohl gilt, dass der Nordsudan fast nur aus Wüste besteht und wirtschaftlich beinahe ausschließlich von Ölexporten abhängig ist. Da die meisten Ölfelder unumstritten in dem kurz vor der Unabhängigkeit stehenden Südsudan liegen, ist Khartum mit Sicherheit umso mehr bemüht, so viele Ölquellen wie möglich unter seine Kontrolle zu bringen.

Dass ausschließlich Öl Auslöser des Konfliktes ist, ist aber auch insofern zu kurz gedacht, als dass sowohl Norden als auch Süden bei dessen Vertrieb voneinander abhängig sind: So muss schließlich das überwiegend im Süden geförderte Öl über Pipelines zu den Häfen und Raffinerien des Nordens transportiert werden. Sollte der Konflikt um Abyei also weiterhin nur auf das handliche Schlagwort Öl reduziert werden, so verkennt man das tieferliegende Ursachengeflecht, welches zu dessen Entstehen essentiell beiträgt.

Ebenso verhält es sich mit dem Label des "ethnischen" oder sogar "Stammeskonflikt" - ein Terminus, der tendenziell erst einmal jedem Konflikt auf afrikanischem Boden aufgedrückt wird. Bei Gebrauch dieses Konstrukts impliziert man, dass ein solcher Konflikt völlig irrationalen (und dem europäischen Gemüt unerklärlichen) Gründen entspringt.

Für den Süden hat Abyei auch einen symbolischen Wert

Abyei wird zum einen von der sesshaften Gemeinschaft der Ngok Dinka bewohnt, die das fruchtbare Land um Abyei landwirtschaftlich nutzt und sich dem Südsudan zugehörig fühlt. Zum anderen treiben die arabischen Nomaden der Misseriya seit Jahrhunderten zur Trockenzeit ihr Vieh durch Abyei bis zum südlich gelegenen Fluss Bahr el Arab, um es dort zu tränken und weiden zu lassen. Da es beiden Parteien über Jahrhunderte hinweg gelungen war, friedlich Vereinbarungen über Weiderechte zu treffen, muss es einen äußeren Einfluss gegeben haben, der die Beziehungen beider Gruppen zerstörte.

Zum einen ließ der jahrzehntelang währende Bürgerkrieg, wie auch in anderen Regionen zu beobachten, einen Gewaltmarkt zurück. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass einzelne, nicht mehr kontrollierbare Zellen den Konflikt überdauern und auch in friedlicheren Zeiten ihren Gewinn nur durch die Anwendung von Gewalt erzielen können. So instrumentalisierte Khartum während des Bürgerkrieges unter anderem also auch die Misseriya, bewaffnete sie und führte so Stellvertreterkriege in Abyei.

Dabei mehren sich auch Berichte, dass Khartum sogar nach dem Friedensvertrag 2005 gezielt Bevölkerungsgruppen bewaffnete, um die Ngok Dinka aus Abyei zu vertreiben. Somit konnten sich die beiden Bevölkerungsgruppen der Einflussnahme anderer Entscheidungsträger nicht widersetzen und stehen sich daher seit kurzem unversöhnlich gegenüber.

Weder Öl noch eine Stammesfehde sind also Hauptursache des unlängst aufflammenden Konflikts. Es muss andere Gründe geben, die die Region um Abyei so umkämpft machen. Einer davon ist die Fruchtbarkeit der Region, die Verfügbarkeit von Wasser und Gras. Der ganzjährig fließende Bahr el Arab ist sowohl für die sesshaften Bauern der Dinka als auch für die Viehherden der Misseriya von lebenswichtiger Bedeutung.

Hardliner auf beiden Seiten heizen den Konflikt an

Des Weiteren kommt der Region ein symbolischer Wert hinzu. Viele hohe Funktionäre der südsudanesischen Regierung und der SLPA stammen aus Abyei. Auch für die südsudanesische Bevölkerung ist sie mehr und mehr zum Symbol des Kampfes gegen Unterdrückung und Bevormundung durch den Norden geworden.

Möglicherweise hat die nordsudanesische Armee auch deshalb mit der Einnahme Abyeis so massiv auf die Provokation des Südens reagiert, um durch diesen Einschüchterungsversuch den bleibenden Eindruck zu hinterlassen, dass die sudanesische Armee der SPLA militärisch bedeutend überlegen ist. Weitere Konfliktpunkte hängen zum Beispiel direkt mit der bevorstehenden Sezession zusammen, so zum Beispiel die Frage der Schuldenaufteilung.

Dieses Pulverfass an Konflikten wird schließlich noch zusätzlich durch verbohrte Hardliner sowohl in Juba als auch in Khartum angeheizt. Provokationen, wie die Beanspruchung Abyeis in einer Übergangsverfassung des Südsudans, geben der angespannten Situation weiteres Konfliktpotential.

Für Omar al-Baschir gilt es zudem, innerhalb der tief zerstrittenen Regierungspartei NCP seine eigene Position zu stärken. Seinen derzeitigen Machtschwund wird er nun aufhalten wollen, indem er in Streitfragen, wie die der Region um Abyei, kompromisslos erscheint und mit aller Härte vorgeht.

Wie so oft sind vor allem Zivilisten die Leidtragenden des Konflikts. Die UN kann nur geschätzte Werte angeben, da man über die tatsächliche Anzahl der Flüchtlinge kaum mehr einen Überblick hat. Gingen die Vereinten Nationen zu Anfang der Streitigkeiten noch von etwa 20.000 Flüchtlingen aus, erhöhte sich diese Zahl zunächst auf 40.000 und zuletzt sogar auf geschätzte 80.000 Flüchtlinge, viele von ihnen alte Menschen und Kinder. Fast die gesamte Einwohnerschaft hat die Hauptstadt Abyei verlassen.

80.000 sind bereits auf der Flucht

Aus Angst vor weiteren Attacken, insbesondere vor weit reichenden Artilleriegeschossen, treibt es den Flüchtlingsstrom immer weiter südwärts. Die Regenzeit hat die Straßen in Schlammwege verwandelt. Berichten zufolge begehen beide Seiten zudem schwere Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung.

Die Vereinten Nationen warnen vor schwerwiegenden humanitären Folgen, sollte die Versorgung mit Medikamenten, Lebensmitteln und Wasser abbrechen und muss eingestehen, dass dies in einigen Regionen bereits passiert ist. Sollten die Flüchtlinge, wie in vergangenen Krisen, in riesiger Anzahl die Grenzen überschreiten, so könnte zudem Konfliktpotential in Nachbarstaaten getragen werden.

Nur schwer lässt sich sagen, wie sich der derzeitige Konflikt weiter entwickeln wird. Eine Möglichkeit ist: die Gewalt breitet sich weiter aus. Es wird ein neuer Bürgerkrieg entfacht, in dem entweder der Süden versucht, Abyei zurückzuerobern oder aber der Norden auch über die Region hinaus weiter nach Süden vorrückt.

Dieses Szenario ist eher unwahrscheinlich. Die Regierung in Khartum begründet ihr Vorgehen in Abyei damit, dass sie den Angriff auf zwei ihrer Kompanien als klares Zeichen der Aggressivität seitens des Südsudans und somit als Verstoß gegen den Friedensvertrag von 2005 ansieht. Präsident Baschir betonte unmittelbar nach dem Übergriff, dass Abyei zum Nordsudan gehöre und er grünes Licht für eine Antwort auf diese Provokation gegeben habe.

Vielleicht hatte Baschir kalkuliert, dass sich der Süden daraufhin ebenfalls wieder rächen würde, eine neue Gewaltspirale ausbricht, eine Rückkehr zu einem möglicherweise weitere 25 Jahre währenden Krieg. Dieser hätte das Ende der Unabhängigkeit des Südsudans bedeutet. Zu einem späteren Zeitpunkt wird es Baschir auch kaum mehr möglich sein, auf solche Art einen Konflikt zu provozieren. Ist der Südsudan erst einmal unabhängig und international anerkannt, wird er sich in das internationale Gefüge einfinden und sich schnellstens Verbündete suchen, die im Krisenfall beistehen können.

Uganda hat mit Khartum noch eine Rechnung offen

Juba wird auch nicht lange nach ihnen suchen müssen: Uganda hat in der letzten Zeit vielfach verlauten lassen, dass man den Südsudan und dessen Anspruch auf Abyei unterstützen werde. Die Beziehungen zwischen Khartum und Kampala sind vor allem deswegen äußerst unterkühlt, da man den Nordsudan beschuldigte, die Terrorgruppe Lord's Resistance Army (LRA) zu unterstützen, die Uganda zwar weitgehend vertreiben konnte, die sich dort aber in der Vergangenheit durch ihre äußerste Brutalität und den Einsatz von Kindersoldaten einen zweifelhaften Ruhm erworben hat.

Wenige Tage später, nachdem Regierungen aus aller Welt und die größten globalen Institutionen scharfe Kritik an dem Vorgehen Khartums geäußert hatten, bemühte man sich jedenfalls um mildere Töne und sprach von einer "Verantwortung" des Nordens, feindliche Kräfte aus Abyei zu vertreiben und die Kontrolle wiederherzustellen. Man wolle den Streit friedlich lösen. Und vor allem solle es keinen Krieg geben. Die Forderung des sofortigen Abzugs der Truppen wies der Nordsudan jedoch bis auf weiteres zurück und fuhr in der Nähe der Stadt Abyei noch weitere schwere Geschütze auf.

Ein erneutes Ausbrechen kriegsähnlicher Zustände kann sich der Nordsudan eigentlich aber deshalb nicht leisten, da er fürchten müsste, dass diese sich in einen Flächenbrand verwandeln, der auch Pulverfässer wie Süd-Kordofan, die Region Blauer Nil oder Darfur leicht entzünden könnte. Alle drei Bundesstaaten haben viele Kriegsjahre hinter sich, aus denen sich ein reger Gewaltmarkt entwickelte.

Khartum hatte sie zudem stets vernachlässigt und sogar bestimmte Bevölkerungsgruppen (wie die Misseriya im Sudan oder die Janjaweed in Darfur) bewaffnet, um Aufruhr zu verursachen. Auf nationaler Ebene ist wahrscheinlich die Unabhängigkeitsbewegung in Darfur am stärksten. Khartum hatte dort in Stellvertreterkriegen tausende Menschen getötet. Im Windschatten der erfolgsversprechenden südsudanesischen Sezession ist es den verschiedenen Rebellengruppen gelungen, so vereint aufzutreten wie nie zuvor.

Die SPLA kämpft gegen sieben verschiedene Rebellengruppen Der Südsudan hätte wenig Interesse daran, dass der Konflikt um Abyei die Ausmaße eines Krieges annimmt. Zwar bezeichneten SPLM-Politiker der Sudanesischen die Eroberung Abyeis als "Kriegsakt" und "Kriegserklärung", als Verletzung des Friedensabkommens oder als pure Provokation, drohten aber im Gegenzug nicht mit Vergeltung, sondern appellierten eher an die Vereinten Nationen, Druck auf die Regierung in Khartum auszuüben. Gleichzeitig machten sie aber deutlich, dass man ein weiteres Überschreiten der Nord-Süd-Grenze nicht tolerieren werde.

Salva Kiir, designierter Präsident des Südsudans, beteuerte immer wieder, dass sich kein Krieg aus diesem Konflikt entwickeln werde und man nicht riskieren wolle, den Friedensschluss von 2005 zu gefährden. Kiirs besonnene Reaktion machte somit eventuell Baschirs Kalkulation auf einen erneuten Bürgerkrieg zunichte, schaffte es aber in jedem Fall, den Norden als den größeren Aggressor der vergangenen Tage darzustellen.

Ohnehin hat die SPLA schon genug Probleme damit, mit einer verstreut agierenden Armee innerhalb des eigenen Territoriums etwa sieben unterschiedliche Rebellengruppen zu bekämpfen. Ein weiterer Kriegsschauplatz wäre für Juba militärisch nicht zu bewältigen und würde zudem die in wenigen Wochen bevorstehende Unabhängigkeit gefährden.

Viel wahrscheinlicher ist, dass der Nordsudan Abyei bis auf weiteres besetzt hält. Durch die Einnahme Abyeis ohne nennenswerte Gegenwehr des Südens hat Khartum seine Muskeln spielen lassen und militärische Überlegenheit demonstriert. Den neuesten Aussagen der Regierung Baschir zufolge will sie Abyei solange besetzt halten, bis in einem Referendum geklärt wird, zu welchem Teil des Sudans die Bevölkerung gehören möchte. Ein solches Referendum wurde schon 2005 beschlossen und sollte zeitgleich mit dem Referendum zur Abspaltung des Südsudans am 9. Januar dieses Jahres abgehalten werden.

Revival der Sezessionsbewegungen in ganz Afrika?

Allerdings fiel solch ein Plebiszit aus, da man sich über Grenzfragen und darüber, ob die nicht-sesshaften Misseriya wahlberechtigt seien, nicht einigen konnte. Das Referendum musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Die Klärung dieser Frage und die Abhaltung eines neuen Referendums werden also Wochen oder sogar Monate dauern. Schon vor wenigen Tagen beschuldigte aber der Südsudan die nordsudanesische Armee, nun tausende Angehörige der Misseriya in der umstrittenen Region anzusiedeln. Man kann sich gut vorstellen, dass dies auf lange Sicht noch erheblich mehr Probleme mit sich bringen wird, müssen doch tausende potentiell zurückkehrende Ngok Dinka ihren Besitz entweder geplündert, verbrannt oder von fremden Menschen bewohnt vorfinden.

Im restlichen Afrika könnten separatistische Bewegungen, inspiriert durch die potentiell erfolgreiche Sezession des Südsudans, ein wahres Revival erleben. Bedingt durch die willkürliche koloniale Grenzziehung gibt es auch in vielen anderen afrikanischen Staaten marginalisierte Randgruppen, die deshalb eine Unabhängigkeit anstreben könnten.

Nur die Zukunft kann zeigen, wie sich die Lage um Abyei weiterentwickeln wird. Es sollte auch kein Schreckgespenst eines unausweichlichen neuen Bürgerkrieges heraufbeschworen werden - immerhin beteuern mittlerweile beide Parteien, dass man keinen erneuten Krieg wolle und der Norden gab bekannt, dass man nun nach der Einnahme Abyeis keine weiteren militärischen Schritte ausführe.

Sicher ist jedoch, dass der Konflikt um Abyei die Lösung der zahlreichen anderen Knackpunkte in der Nord-Süd-Beziehung noch schwieriger gestalten wird und schon jetzt eine Vielzahl an Zivilisten die Hauptleidtragenden eines größeren Konfliktes sind.

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