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E-Scooter: Kampf um die Mobilität der Zukunft

Am Strand von Santa Monica stoppen bullige Polizisten die Revolution. Eine riesige blinkende Anzeigetafel warnt: "On beach path no electric scooters", auf dem Weg am Strand sind elektronische Tretroller verboten. Hier fangen Polizisten viele ab, die vom wenige Kilometer entfernten Venice Beach angerast kommen. 190 Dollar müssen die Fahrer zahlen, noch einmal 190 Dollar, wenn sie keinen Helm tragen. Harte Strafen, um die Plage in den Griff zu bekommen.

An der Küste Kaliforniens verläuft die Grenze in einem Kampf um die Mobilität der Zukunft. Denn nicht alle sind von den elektrischen Mietrollern genervt. Es gibt jene, die in ihnen eine Antwort sehen auf die Verkehrsprobleme der Städte: ein schnelles Transportmittel für kurze Strecken von der U-Bahn zur Arbeit oder vom Einkaufen nach Hause, mit dem sich Straßen entlasten und Abgase reduzieren lassen. Die Nutzung: ganz einfach. App runterladen, QR-Code scannen, los geht's, mit bis zu 20 Kilometer in der Stunde. Der Preis: ein Dollar für die Aktivierung, 15 Cent für jeden gefahrenen Kilometer. Abstellen kann man den E-Scooter, wo man möchte,"dockless sharing" nennt sich das.

Gleich mehrere Unternehmen drängen in den Markt, und Investoren im Silicon Valley sind berauscht von der Idee: Der Marktführer Bird wird bereits nach weniger als zwei Jahren am privaten Investorenmarkt mit zwei Milliarden Dollar bewertet, kein zuvor sammelte in so kurzer Zeit so viel Geld ein, nicht einmal der Gigant Facebook. Im Juli investierten unter anderem Alphabet, der Google-Mutterkonzern, und der Fahrdienst Uber in den Konkurrenten Lime, der seitdem mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet wird. Und nach einem Bericht des Wirtschaftsmagazins Bloomberg Businessweek läuft bereits die nächste Finanzierungsrunde, die Limes Bewertung auf mehr als drei Milliarden schießen lassen könnte. Das nächste Ziel: Europa.

Deutschland gilt als der wichtigste Markt in der EU - weil es viele gute Fahrradwege gibt

In Wien rollen bereits 600 Lime-Scooter, in Zürich sind es 400 und in Basel 200. In Deutschland startet Lime mit Mietfahrrädern in Berlin und mit E-Bikes in Frankfurt. Elektronische Kleinstfahrzeuge, zu denen die gehören, haben hier noch keine Zulassung für den Straßenverkehr. Das aber soll sich noch in diesem Jahr, spätestens im Frühling 2019 ändern.

Doch nicht nur am Strand von Santa Monica, auch andernorts regt sich Widerstand. Worüber die Start-ups nicht so gern reden: Ihre supermobilen werden von Brücken geschmissen, in Flüssen ertränkt oder in Brand gesetzt. Genervte Anwohner und gelangweilte Teenager sammeln ihren Zorn auf Instagram: @scootersbehavingbadly. Dort finden sich viele Fotos ihrer Zerstörungswut. Und sie fühlen sich im Recht. Schließlich hätten die Firmen ihre Scooter dreist über Nacht in den Städten abgeladen - wie Müll, sagen einige.

Noch ist völlig offen, wer den Kampf um die Straße für sich entscheiden kann. Viel hängt davon ab, ob die Unternehmer die Stadtverwaltungen als Verbündete gewinnen können. Denn Bird, Lime und ihre kleineren Mitbewerber stecken in einem Dilemma. Sie alle wollen "first mover" sein, die Ersten, die in einer Stadt ihre Scooter verteilen. Das Kalkül: Wer als Erster die Aufmerksamkeit bekommt und eine kritische Masse an Kunden gewinnt, dem ist der Markt in einer Region nicht mehr zu nehmen. Doch wer um jeden Preis der Erste sein will, kann sich nicht lange mit bürokratischen Genehmigungsprozessen herumschlagen.

Im März verteilten die Firmen Bird, Lime und Spin ihre E-Scooter über Nacht auf den Straßen in San Francisco. Die Folge: Allein bei der Stadt sind von Mitte April bis Ende Mai 1873 Beschwerden eingegangen, weil E-Scooter Ausfahrten blockierten oder auf dem Gehweg fuhren. Anfang Juni hat die Stadt die E-Scooter dann für drei Monate verboten.

Nun empfängt Brad Bao, einer der Gründer von Lime, im gebügelten Hemd, in löchriger Skinny-Jeans und mit Apple-Watch am Arm, im 15. Stock eines Wolkenkratzers im Financial District in San Francisco. "Wir haben zu keinem Zeitpunkt gegen Gesetze verstoßen", verteidigt sich der 44-Jährige. Anfang des Jahres saß das Unternehmen noch im Erdgeschoss eines sandfarbenen Bürogebäudes in San Mateo im Silicon Valley. Im August zogen sie mit den inzwischen 300 Mitarbeitern nach San Francisco. "Manchmal gibt es Konflikte mit den Städten. Wir können das nicht vermeiden", so Bao. Wenn das Gesetz so klar wäre wie in Deutschland, dann würden sie die E-Scooter nicht einfach verteilen. "Manchmal gibt es aber Phasen, in denen der Bürgermeister sagt: 'Los!', und andere nicht", sagt er. "Manchmal müssen wir pushen und können nicht warten." Bao glaube, nur so könne man die Welt verändern. Zurzeit kann er sein eigenes Produkt auf dem Weg zur Arbeit nicht benutzen: San Francisco hat Lime-Scooter nach all dem Ärger keine Lizenz gegeben.

Bao vergleicht die Roller gern mit Autos. Die hätten am Anfang auch kein Antiblockiersystem gehabt. "Wir verbessern ständig unser Produkt", sagt er. In den neuesten Modellen sind Sensoren eingebaut, die Lime-Mitarbeiter benachrichtigen, wenn ein Scooter auf den Bürgersteig fällt. Sie heben sie dann auf. Obwohl es in den meisten Städten keine Helmpflicht gibt, verschenkt Lime Helme. Um eine Fahrt zu beenden, muss der Fahrer inzwischen ein Foto vom geparkten E-Scooter machen. Das soll gewährleisten, dass sie niemand wahllos abstellt. Auf einem YouTube-Kanal hat Lime Tutorials hochgeladen, die Fahrern Tipps zum Fahren oder Parken geben.

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