Das Silicon Valley zieht Menschen aus der ganzen Welt an. Wir haben drei Deutsche begleitet. Finden sie, was sie sich erträumen?
Tief im Tal der Träume, am Highway 84, liegt hinter hohen Bäumen das Schloss. Im Jahr 1934 gebaut, eine Kopie einer Residenz der britischen Königin, gotische Fenster, rosa Backstein und spitze Türmchen. Die Sonne scheint am Morgen, die schwere Holztür öffnet sich. "Willkommen!", sagt Tim Lampe. "Sieht aus wie Hogwarts, aber Geister gibt's nicht." Tim, 24, einsneunzig, bisschen Bart, bittet in die Eingangshalle. Er wirkt etwas verkatert, die Nacht war lang, am Ende gab's in der Küche noch Schnäpse.
In der Ecke steht eine Ritterrüstung, an der Wand hängt ein psychedelisches Bild der Golden Gate Bridge. Ansonsten sieht es aus wie in einem Prospekt für Luxusimmobilien: prunkvoll, aber unpersönlich. Tim wohnt hier mit etwa einem Dutzend Mitbewohnern. Einer arbeitet bei Facebook, ein anderer bei Zoox, einem für autonomes Fahren. Der Nächste hat seine erste Woche als Praktikant bei Andreessen Horowitz hinter sich, einem der wichtigsten Risikokapitalgeber. Die meisten sind ins Schloss gezogen, um eines Tages mit ihren Ideen die Welt zu verändern - oder zumindest bei der Weltverbesserung mitzumachen. "Die Träume sind im Silicon Valley größer", sagt Tim.
Früher, Ende des 18. Jahrhunderts, waren es die Goldsucher, die nach Kalifornien strömten. Heute kommen Gründer, Programmierer und selbst ernannte Visionäre aus aller Welt. Sie wollen Investoren überzeugen, einen Fuß in die Türen von Google, Facebook oder Apple bekommen oder wenigstens vom Geist der Innovation umweht werden. Immer wieder zieht es auch Deutsche ins Silicon Valley. Sie kommen, um zu bleiben, wie der PayPal-Mitgründer Peter Thiel. Oder als Besucher zur Inspiration, wie der damalige Chefredakteur der Bild- Zeitung Kai Diekmann und seine Kollegen. Auch der Praktikant Tim Lampe, der Gründer Rubin Lind und die Absolventin Sophie Baumann zogen her. Sie alle sind um die zwanzig, wohnen bei BednBuild, einem Start-up, das Neuankömmlingen eine Unterkunft anbietet. Wie haben sie es ins Silicon Valley geschafft? Was haben sie dort gefunden? Und welche Träume platzten?
Tim ist für ein Praktikum aus Braunschweig ins Valley gezogen. Er lebt im hinteren Teil des Schlosses. Im "Prinzessinnenzimmer", wie er es nennt. An den rosa Wänden kleben Sterne. Die Möbel sind von Ikea, die Kleiderstange für die Hemden ist improvisiert. Auf dem Nachttisch liegt The Other "F" Word, ein Start-up-Ratgeber von John Danner. "Die fette Suite mit goldenem Wasserhahn und barocken Sofas konnte ich mir nicht gönnen", sagt Tim. Um sich die 1.500 Dollar Miete im Monat und das Leben hier leisten zu können, hat er seine Ersparnisse zusammengekratzt, dazu kamen ein Stipendium der Studienstiftung und ein bisschen was von den Eltern. Die Mieten sind hoch im Valley, aber dafür werden selbst Praktikanten außergewöhnlich gut bezahlt. Bei Facebook und bekommen sie bis zu 8.000 Dollar, ergab eine Online-Umfrage. Tim bekommt etwa ein Drittel davon, sagt er.
Er blickt aus dem Fenster auf den Garten mit Labyrinth und erzählt, wie er für seinen Bachelor in Umweltingenieurwesen aus Lippinghausen, einem Ort mit etwa 2.500 Einwohnern in der Nähe von Bielefeld, nach Braunschweig zog. Wie er nebenbei in einer studentischen Unternehmensberatung anfing und mal ein Projekt für VW, mal eins für Adidas übernahm. "Irgendwann habe ich mich gefragt: Will ich jetzt mit 23 meinen Master fertig haben? Oder noch ein bisschen was sehen?" Mit seinen Kommilitonen und Kumpeln sprach er viel über das Valley, über hockey stick growth, das schnelle Wachstum von Start-ups, oder über disruption, das Umkrempeln eines Marktes. Einer seiner Kumpel sagte immer: "Da passiert die Zukunft" oder "So geht Innovation". Tim hörte auch die anderen Stimmen: "Die machen keinen Gewinn" oder "Das ist eh nur heiße Luft". Er wollte sich selbst eine Meinung bilden.
Einen anderen Kommilitonen nervte Tim monatelang, bis dieser ihm eine intro, so nennt man eine Empfehlung hier, für das Praktikum bei der Beratung German Innovators schrieb. Die Beratung hilft Firmen aus Deutschland, Büros im Valley zu eröffnen, oder organisiert Treffen mit Google oder Airbnb."Gateway to Silicon Valley" steht auf den Visitenkarten der Mitarbeiter. Tim bekam die Zusage. Drei Tage nach Silvester saß er mit klopfendem Herzen in einem Airbus A380 und flog die 13 Stunden nach San Francisco. Das erste Mal Amerika, das erste Mal vom Fahrdienst Uber abgeholt werden. Vieles war dann doch anders, als er erwartet hatte: "Ich dachte, im Valley steht ein Wolkenkratzer neben dem nächsten, und auf der Straße fahren schon die Roboter", sagt Tim. Heute muss er darüber lachen. Die Städtchen hier, Mountain View etwa oder Palo Alto, sind überraschend unspektakulär: sandfarbene Einfamilienhäuser, breite Straßen. Nur die Preise haben es in sich. Bei Blue Bottle Coffee kann der Filterkaffee schon mal zehn Dollar kosten.
Die Küche des Schlosses, weiße Holzvertäfelung, weißer Holztisch: Hier sitzt Rubin auf einem Sessel und zieht sein Smartphone aus der Hosentasche. Er will seinen Mitbewohnern sein Start-up pitchen: "Ich habe eine Lern-App entwickelt, die Schüler auf Klausuren vorbereitet", sagt der 19-Jährige. Mit seinen engen Hosen und Gel in den Haaren sieht er mehr wie ein YouTuber aus, nicht wie ein CEO. Rubin kommt aus Hamm in Westfalen und ist erst vor etwas mehr als 24 Stunden in San Francisco gelandet. Zu Hause hat er vor zwei Jahren, mit 17, das Unternehmen Skills 4 School gegründet und den Markt disrupted, den die Schulbuchverlage in seinen Augen vernachlässigt hatten. Mehr als 10.000 Schüler und Lehrer haben die Lern-App bereits runtergeladen. Ein monatliches Abo kostet 9,99 Euro. Rubin beschäftigt sieben Mitarbeiter in Vollzeit und 25 Redakteure auf 450-Euro-Basis. Bislang hat er mehrere Hunderttausend Euro Kapital eingesammelt. Die Bewohner des Schlosses erklären, alles unter einer halben Million sei im Valley Kleingeld. Einer sagt: "Tolle Idee! Aber was kommt als Nächstes?"
Rubin reibt sich die Augen. Die neun Stunden Zeitverschiebung machen ihm zu schaffen. Er managt sein Start-up in Hamm aus der Ferne, per Messenger-Dienst Threema und Telefon. "Wenn ich morgens aufwache, habe ich so viele Nachrichten, dass ich mich gleich noch einmal umdrehe", sagt Rubin. Im Valley will er potenzielle Investoren, Kooperationspartner und Entwickler treffen und viel von anderen Gründern lernen. Doch das ist nicht so einfach, wie er es sich ausgemalt hat.
In einem Co-Working-Space in San Francisco, Hängelampen über Holztischen, vieles in Pastell, arbeitet Sophie. Sie ist 24 und leitet das Marketing von BednBuild, dem Vermieter des Schlosses. Sie hatte dort selbst ein halbes Jahr mit Tim zusammengewohnt, bevor sie den Job bekam. Heute lebt sie in einer anderen Wohnung des Start-ups. "Ich liebe den Lifestyle hier", sagt sie. San Francisco sei viel relaxter als New York. Sie spricht von"freedom","community" und"opportunities", all very American. Für den Fall, dass sich eine kurzfristige opportunity zum Pitchen ergibt, steht im Bad des Büros immer eine Flasche Mundspülung bereit. "Darauf steht: Good breath, good deals, you know?", sagt Sophie. Sie trägt schwarze Leggings, ein schwarzes Top und Joggingschuhe von Nike. Arbeit soll sich hier bequem anfühlen. "Die Leute im Valley verschwenden ihre Zeit nicht damit, sich jeden Morgen einen Dutt zu machen oder sich für das bestmögliche Outfit zu entscheiden", sagt sie. "Sie investieren ihre Zeit lieber, um kreativ zu sein und zu arbeiten."
Dieser Vibe habe sie magisch angezogen. "Ich wollte nach der Schule unbedingt her", sagt sie. Schon als Teenager zog sie mit ihrer Familie nach New York. Die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers hatte in das Start-up ihres Vaters investiert. Doch nach ein paar Monaten kam die Finanzkrise. Plötzlich war es unmöglich, neue Investoren zu finden. Das Start-up ihres Vaters machte dicht, die Familie zog zurück nach Deutschland. Sophies Faszination für Amerika blieb. "Ich bin mit der Start-up-Welt aufgewachsen", sagt sie. "Deshalb möchte ich jetzt hier leben, wo die Zukunft passiert."