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Hymnen für Halunken

Ronja Zschoche

alias Haiyti ist vermutlich 24 Jahre alt, genau verrät sie es nicht. Dafür ihre Größe: 1,55 Meter. Bald erscheint ein neues Album

"Die Elbe und die Alster: Diese zwei Orte verbinden die meisten Menschen mit Hamburg. Aber wenn das Hamburg sein soll, dann bin ich nicht der Hamburg-affine Typ.

Als Rapperin zieht dich die Stadt eher runter. Viele vergleichen einen mit der alten Hip-Hop-Garde, zu der die Beginner und Samy Deluxe gehören. Dabei hat mein Sound seine Wurzeln in den Südstaaten und nennt sich Trap. Die Songs klingen schnell und aggressiv. In den Vereinigten Staaten sind Rapper wie Project Pat oder La Chat mit Trap berühmt geworden. Als ich in Hamburg vor ein paar Jahren damit angefangen habe, hat das niemand verstanden. Die Rapper pflegen eher ein Kiffer-Image und sind auf Tupac Shakur und Biggie hängen geblieben.

Echte Hamburger findest du in den Vorstädten. Aufgewachsen bin ich in Langenhorn, zwischen Sozialwohnungen, einem Containerdorf und Helmut Schmidts Wohnhaus. Ich sage immer allen: 'Willkommen in L.A.' So haben wir Langenhorn früher genannt. L.A., das klingt, als sei Hollywood nicht so weit weg. Am Wochenende haben wir oft Party am Badesee Costa Kiesa in Norderstedt gemacht. Baby If You Give It To Me von Busta Rhymes & Mariah Carey lief in Dauerschleife. Manchmal haben wir den Unterricht an der Realschule geschwänzt und sind ins Herold-Center gefahren, das Einkaufszentrum in Norderstedt, manchmal auch ins AEZ, das Alstertal-Einkaufszentrum in Poppenbüttel. Einmal haben eine Freundin und ich uns in die Biologiesammlung des Hummelsbüttler Gymnasiums geschlichen. In einem Terrarium lebte eine Schlange. Wir haben die Maus rausgeholt und gerettet. Wir gaben ihr dann den Namen Percy, und sie lebte drei Jahre lang bei meiner Mutter und mir auf dem Balkon. Wir haben sogar ein kleines Winterhaus für sie gebaut.

Wenn du in L.A. lebst, hast du irgendwann die Wahl: Entweder du bleibst und bekommst Kinder, oder du fährst in die Schanze und nach Altona und lernst die Welt kennen. Ich habe auf der Schanze viele Leute kennengelernt und dann in deren Heim-Studios an der S-Bahn-Haltestelle in Nettelnburg oder in Quickborn meine Songs aufgenommen. Ich habe meine Texte gerappt, und auf einem schwarzen Ledersofa hingen ein paar Halunken herum. Alle Leute, die damals im Park bei der Flora gechillt haben, sind inzwischen erfolgreich geworden - Gzuz und 187 Straßenbande - oder machen jetzt ihr eigenes Business. Doch diese Zeit ist endgültig vorbei. Leute, die früher die Schanzen-Stars waren - wie die Intendantin des Foolsgarden-Theaters Hanne Mogler -, werden heute nur noch als Hippies beschimpft. Das ist schrecklich.

Auf der Schanze findet man nur noch Werber, Filmproduktionsfirmen und Kauf-dich-glücklich-Läden. Die guten Leute sind weg. Auf die Partys gehen keine Zuhälter und Künstler mehr, sondern Studenten und Mädels, die Speed ziehen, weil sie das zu ihrem Hobby gemacht haben. Ich kann mich nicht mehr in der Schanze sehen lassen. Wenn ich am Thai-Imbiss eine Suppe esse oder im Budni an der Kasse stehe, habe ich keinen Bock auf die Blicke der Leute, die mich erkennen.

Wenn ich mal rausmuss, fahre ich auf den Müllberg, der liegt in Hummelsbüttel, an der Grenze zu Norderstedt. Von dort oben schaue ich mir das Panorama von Hamburg an. Eine der letzten coolen Straßen in Hamburg ist die Billstraße, weil man sich dort vorkommt wie an einem Hot Spot für Hehlerware. Ich habe da mein Musikvideo Runter von der Straße gedreht. Dort verkaufen manche Leute angerostete Waschmaschinen und alte Computerbildschirme. Die Straße ist sogar in Afrika bekannt, weil sie der Umschlagplatz für alte Autos ist.

Vor einer Weile musste ich aus meiner Wohnung in St. Pauli ausziehen. Bei Facebook habe ich dann eine Anzeige gesehen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich gegen die über dreißig anderen Bewerber gewonnen. Ich wohne jetzt am Berliner Tor, in der Nähe vom Hauptbahnhof. Meistens bin ich im Studio oder unterwegs, zu Hause bin ich nur noch selten. Ich bin jetzt ein Jetset-Girl."

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