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Er will es noch einmal wissen

Frank Henkel tritt als Direktkandidat für den Bundestag an. Obwohl ihn die Berliner CDU gerade erst fallen gelassen hat.


Zwischen Tür und Angel will Frank Henkel dem Wähler nicht allzu viel Frank Henkel zumuten. Eine Rose, zwei Flyer, drei Sätze: „Mein Name ist Frank Henkel, und ich kandidiere hier für den Bundestag. Ich will nur mal Hallo sagen und - wenn Sie mögen - ein wenig Infomaterial dalassen. Das war's auch schon, tschüss." So soll der Haustürwahlkampf ablaufen.


Aber dafür muss der Wähler Frank Henkel erst mal ins Haus lassen. Es nieselt. Henkel zwängt sich mit seinen Wahlhelferinnen - die eine nennt er Gabi, die andere heißt Christa Bergholter - unter ein Vordach an der Klopstockstraße. Er zupft sein blaues Sakko zurecht. 


Das Hansaviertel gehört laut den Wahlkampfstrategen aus dem Konrad-Adenauer-Haus zu den Potenzialgebieten in Henkels Wahlkreis. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wähler sich hier für die CDU entscheidet, ist hoch. In ganz Deutschland setzen die Christdemokraten auf Hausbesuche. Die Strategie: Nach ausgiebiger Datenrecherche gezielt in Straßenzüge mit potenziellen CDU-Wählern gehen, sie nicht mit langen Diskussionen nerven, sondern mit kurzer, persönlicher Ansprache zum Gang zur Wahlurne bewegen.


Henkel klingelt. Die Gegensprechanlage knistert. „Guten Abend, hier Frank Henkel, ich würde mich Ihnen gerne vorstellen."


„Guten Abend." Rauschen. „Das sollte dann auch reichen." Henkel: „Würden Sie mich trotzdem reinlassen, damit ich mich Ihren Nachbarn ..." „Auf keinen Fall." Die Gegensprechanlage knackt. Henkel lacht. „So was", sagt Gabi. Und übernimmt ab sofort das Klingeln. „Guten Tag, ich bringe Rosen für Ihre Nachbarin." Der Türöffner summt.


Es ist kein Jahr her, da war Henkel noch CDU-Kreisvorsitzender in Mitte, Bürgermeister der Bundeshauptstadt, Innensenator, Landesvorsitzender. Und Frank Henkel sollte Regierender Bürgermeister werden. So war es geplant. Doch die Wahl zum Abgeordnetenhaus endete für die CDU mit 17,6 Prozent, Rekordwahlschlappe. Nach und nach verlor Henkel alle Ämter. Was bleibt, ist ein Sitz im Abgeordnetenhaus - und die Hoffnung auf ein Bundestagsmandat. Doch seine Unterstützer in der Partei sind rar. Die neue Parteiführung fand: Jetzt sind andere am Zug, verwehrte ihm einen sicheren Platz auf der Landesliste.


Also ließ sich Frank Henkel als Direktkandidat in Mitte aufstellen. Wahlkreis 75. Seit es den gibt, hat dort immer die SPD die meisten Erststimmen geholt. Seine Kontrahentin Eva Högl ist SPD-Spitzenkandidatin, seit acht Jahren im Bundestag und liegt in allen Umfragen vorne. Deutlicher kann eine Partei ihren Ex-Landeschef kaum abservieren. 


Es ist kurz vor 18 Uhr. Frank Henkel ist bereits fünf Treppenhäuser rauf- und runtergekeucht, er hat in gut einer Stunde an 47 roten, blauen, grünen und grauen Wohnungstüren geklingelt, 16 Mal seine drei Sätze aufgesagt, hat Wahlflyer mit Wahlprogramm und Fotos verteilt. Eines zeigt Frank Henkel mit Angela Merkel, ein anderes mit Sohn Leopold auf den Schultern und noch eines mit einer Einsatztruppe der Berliner Polizei im Rücken. Er hat mit zwei Wählern über Politik gesprochen, etliche Oberarme geknuddelt und die 89-jährige Rosmarie Dreier mit wenigen warmen Worten auf ihrer Wohnzimmercouch zum Strahlen gebracht.


Als er das sechste Treppenhaus betritt, blickt er auf seine Uhr: „Jetzt kommen wir in den kritischen Bereich." Abendbrotzeit. Das Letzte, was Henkel will, ist stören. Als er dann die erste Mutter vom Familientisch klingelt, sagt er: „Wir brechen das jetzt ab."


Das Team stellt sich am Hansaplatz auf. Gabi zeigt auf eine Shisha-Bar: „Das ist der Hammer, da sitzen die jungen Türken drin, wir können da auch rein. Willst du das mal erleben, Frank?" „Nö", sagt Henkel. Dann zerrt ihn Gabi in eine Eisdiele. Eine Frau mit zwei Kugeln Eis in der Waffel fordert eine klare Haltung von Henkel in der Nordkorea-Krise. Er beschwichtigt: „Ich kann Ihnen versichern, dass die Kanzlerin und der Außenminister an dem Thema dran sind." Frank Henkel sagt, er will um jede Erststimme im Wahlkreis kämpfen. Aber an diesem Tag, mitten im Potenzialgebiet, wirkt er alles andere als kämpferisch.


Es wäre einfach, hier die Geschichte des Scheiterns von Frank Henkel weiter auszubreiten. Aber zu seiner Geschichte gehört auch der Erfolg, der Aufstieg in der Partei. Der gelang gerade deshalb, weil Henkel kein bedingungsloser Machtmensch ist. Weil er lieber Oberarme knuddelt, als in Waden zu beißen. Und damit hat er bis zur letzten Abgeordnetenhauswahl scheinbar alles richtig gemacht. Er wurde einstimmig zum Spitzenkandidaten gewählt.


Heute muss man in der Partei nicht lange fragen, um diesen Satz zu hören: „Sie werden von mir nichts Schlechtes über Frank hören. Aber unter uns ..." Sie haben ihm in der Berliner CDU so lange auf die Schulter geklopft, gesagt, „Du machst das klasse, Frank", bis er nicht mehr nützlich war für die Partei. 


Und wenn heute „unter uns" mit dem Journalisten geredet wird, erzählen langjährige Parteifreunde vom verbitterten Frank Henkel, mit dem es alle nur gut gemeint haben, der irgendwann anfing, überall Verrat zu wittern, und sich völlig isoliert habe im Landesverband. Keiner will ihn mit Helmut Kohl vergleichen. Und dann machen sie es doch.


Ausgerechnet Kohl. Es ist die erste Sitzung im Berliner Abgeordnetenhaus nach dem Tod des Einheitskanzlers. Parlamentspräsident Ralf Wieland spricht von den Verdiensten Kohls für Europa, für Deutschland, für Berlin. Schweigeminute. Der Saal erhebt sich. Henkel steht dort, wo ihn seine Partei nach der Wahlschlappe geparkt hat. Dritte Reihe links, außen. 


Später wird er erzählen, dass ihm in diesem Moment vieles durch den Kopf ging. Das Leben des 53-Jährigen, was wäre es ohne Kohl, ohne die Partei. Wegen Kohls Deutschlandpolitik trat Henkel mit 18 Jahren in die CDU ein, ein Jahr nachdem seine Eltern mit ihm von Ost- nach West-Berlin übergesiedelt waren. Eine Weile arbeitete er als Großhandelskaufmann, später für das Privatradio 100,6. Aber seine Leidenschaft galt der CDU. 30 Jahre im Dienst der Partei - so sagt es Henkel selbst. Ohne die Partei hätte er seine Frau wohl nie kennengelernt. Kathrin Henkel ist Bezirksverordnetenvorsteherin für die CDU in Mahrzahn-Hellersdorf und die Mutter seines Sohnes.


2001 machte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen Henkel zu seinem Büroleiter. Dann die CDU-Spendenaffäre und der Bankenskandal, die Diepgen-CDU stürzte nach 16 Jahren aus der Regierung. Was folgte, waren zehn Jahre Opposition, die Wahlergebnisse brachen um fast 20 Prozentpunkte ein. Fünf Mal wechselte der Landeschef. Die Kreisverbände verloren sich in Machtkämpfen. Erst Frank Henkel brachte die Einigung. „Indem er erfolgreich die Polarisierung abgebaut, sich nicht in interne Streitigkeiten zwischen den Verbänden eingemischt hat", sagt Diepgen. Die CDU brauchte damals jemanden, der nicht nach ganz oben drängte, der nicht nach Ämtern strebte, sondern nach Harmonie. Frank Henkel holte die CDU zurück in den Senat.


Die Schweigeminute für Kohl ist vorbei, das Plenum geht zur Tagesordnung über. Bei den Fraktionskollegen vor und neben Henkel stapeln sich die Aktenordner, werden Dokumente unterzeichnet, E-Mails beantwortet. Während Antje Kapek von den Grünen eine flammende Rede für die Schließung von Tegel hält, stemmt Henkel sein wuchtiges Kreuz in die Stuhllehne, eine Hand in der Hosentasche, die andere wischt über das Smartphone: Wetterbericht, Fotos, Whatsapp.


Wer von Henkels Niederlagen als Innensenator hören will, ist auf der Besuchertribüne des Abgeordnetenhauses richtig. 14 Mal sind die Abgeordneten seit der letzten Wahl im Plenarsaal zusammengekommen. Immer wieder wird über Henkel gesprochen. Die Themen: die kaputtgesparte Polizei. Die Hausbesetzer an der Rigaer Straße, gegen die Frank Henkel immer mit harter Hand vorgehen wollte - und es lange nicht tat. Als dann kurz vor Amtsende die Polizei einen Räumungsversuch unterstützte, erwies sich der Einsatz als rechtswidrig. Oder die groß propagierte Null-Toleranz-Strategie gegen die Drogendealer im Görlitzer Park. Heute heißt es: Sie hatte null Erfolg. Das Flüchtlingscamp am Oranienplatz. Henkel wollte nicht räumen, dann doch, dann pfiff Wowereit ihn zurück.


Anis Amri, marode Bäder, steigende Kriminalität, der BER. Das alles vermögen manche Abgeordnete so zu drehen, dass am Ende Henkel schuld ist. Und ständig ruft jemand ins Plenum: Wo ist Herr Henkel eigentlich? Wenn er da ist, schweigt er. Henkel hat in den 14 Sitzungen kein einziges Mal in ein Mikrofon gesprochen, keine Anfrage gestellt, noch nicht einmal ein Zwischenruf wurde protokolliert. Er scheint sich in seine Rolle als stummer Sündenbock gefügt zu haben. Was bleibt, ist das Bild eines Innensenators, der immer lautstark Recht und Ordnung forderte. Wenn er aber durchgreifen musste, dann zauderte er - und scheiterte.


Als am 18. September 2016 klar war, dass Henkel die Wahl krachend verloren hat, wollte er sofort alle seine Ämter zur Verfügung stellen. Er tat es nicht. Am nächsten Tag fuhr er ins Präsidium, wieder mit der festen Absicht, einen Schlussstrich zu ziehen. Zweimal wurde er überredet. Jetzt noch nicht Frank, das würde die Partei ins Chaos stürzen, redeten sie im Vorstand auf ihn ein. „Hätte ich mal bloß auf meinen Bauch gehört, dann hätte ich mir das ein oder andere erspart", sagt Henkel heute.


Einstecken kann er. Mit Anfang 20 war Frank Henkel Amateurboxer, ließ sich auch als Politiker immer wieder im Ring ablichten. Als Innensenator hat er zwölf Runden Schläge von allen Seiten kassiert, war immer in der Defensive, stand bis zum Schluss. Er ging noch mal in den Ring. „Zum Schluss fehlte ihm jede Kraft, er wollte es nur noch hinter sich bringen", sagt einer, der ihn im Wahlkampf 2016 begleitet hat. Als der Kampf verloren war, hielten ihn seine Vorstandskollegen auf den Beinen. Dann schickte ihn das „Mitte-Mädchen" auf die Bretter.


Jenna Behrends nennt sich selbst so, auf ihrer Homepage. Die Bezirksverordnete in Mitte schrieb in einem offenen Brief: Frank Henkel habe sie eine „große süße Maus" genannt, einen Parteikollegen soll er gefragt haben: „Fickst du die?" Jetzt war Henkel auch noch das Gesicht des sexistischen Altherrenwitzes, eine Debatte über Sexismus in der Politik kam auf - und der Verdacht: Die Berliner CDU ist noch immer eine Partei der Männerfreundschaften, Machtkämpfe, Intrigen.


Was soll Frank Henkel zu seinem Knock-out schon sagen? Schließlich kämpft er schon wieder für die CDU. Und so versucht er es mit Sätzen über Naturgesetze der Politik, über Ämter, die nicht auf Lebenszeit sind. Oder mit dem hier: „Allet schick." Bohrt man nach, senkt er seinen Blick, zupft an seinem Ehering.


Er findet doch noch einen Weg, seiner Enttäuschung Luft zu machen. Er spricht über Eberhard Diepgen. Als der nach 16 Jahren als Regierender über den Bankenskandal stolperte, trat er nur widerwillig von seinen Ämtern zurück, wollte auch auf die Landesliste für die Bundestagswahl, 2002 war das. Auch ihn ließ die Partei fallen, Diepgen sollte als Direktkandidat antreten. In Mitte. Wie Henkel heute.


„Das war eines der unrühmlichsten Kapitel der Berliner CDU", sagt Henkel über den Fall seines politischen Ziehvaters. Jemand, der so lange treue Dienste für die Partei geleistet hat, müsse auch in schlechten Zeiten aufgefangen werden. „Dass man Diepgen damals den Weg in den Bundestag verwehrt hat - das war einfach nur schäbig." Die Direktkandidatur in Mitte lehnte Diepgen damals ab. Anders als Henkel heute.


Es ist 20.07 Uhr, nach dem Häuserwahlkampf ergreift Frank Henkel das Wort in einem Haus, dessen Namen er nicht aussprechen kann. Das #fedidwgugl-Haus. „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben", soll die Abkürzung heißen. Die CDU-Wahlkampfzen­trale ist mitten im hippen Mitte, in einem leer stehenden Gründerzeitkaufhaus. Unverputzte Wände, bröckelnde Säulen. Es gibt ein begehbares Wahlprogramm und einen Cyber-Room. Ein großes Samtherz hängt von der Decke, Bassboxen sorgen für den Pulsschlag.


Im zweiten Stock versammeln sich etwa 30 Helfer um Frank Henkel. „So, ihr Lieben", sagt Henkel, bedankt sich für die Unterstützung, sagt, „es lohnt sich, in Mitte in die Hände zu spucken". Dann gibt's Currywurst und Brezeln. Später wird noch Parteiprominenz erwartet: Henkels Nachfolgerin an der Landesspitze, Monika Grütters, und Henkels Nachfolger an der Kreisverbandsspitze, Sven Rissmann. Generalsekretär war Henkel auch mal, drei Jahre lang. Der aktuelle, Stefan Evers, soll auch noch zu Henkels Dankeschön-Party kommen. 


Frank Henkel wird an diesem Abend ein paar Selfies mit den Leuten von der Jungen Union machen. Generalsekretär Peter Tauber wird in das Haus stürmen, Henkel Fotos mit sich machen lassen, ihm viel Glück für den 24. September wünschen, und keine zehn Minuten später das Haus wieder verlassen. 


Gegen 21.40 Uhr wird auch Henkel nach Hause gehen. Seine Frau ist im siebten Monat schwanger. Grütters, Rissmann und Evers werden auf Henkels Party nicht auftauchen.


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