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Vladimír for president: Tschechiens Tour de Franz

Der sprichwörtliche Startschuss fiel an einem symbolisch nicht gerade unproblematischen Ort: Dort wo einst die größte Stalin-Statue der Welt und hinter ihr – im Volksmund – das in Granit gehauene Proletariat Schlange fürs Fleisch stand


Vladimír Franz, der wohl überraschendste Aspirant auf den ersten direkt gewählten Präsidenten in der Geschichte der Tschechischen Republik, läutet dort an einem verregneten Freitagnachmittag seine Kampagne ein. Seine Anhänger stellen sich demonstrativ und fotogen hinter den parteilosen Kandidaten.


Um tatsächlich Präsidentschaftskandidat zu werden, braucht der 53-Jährige satte 50.000 Unterschriften. Deshalb die Tour de Franz durchs ganze Land, deshalb die klickenden Fotoapparate und unendlich viele Fragen: Herr Professor, was halten sie vom Klimawandel? Tierschutz? Geistiges Eigentum? Pussy Riot? Sollten Homosexuelle Kinder adoptieren dürfen? Seine stahlblauen Augen springen hin und her im gänzlich tätowierten Gesicht des Musikers, Künstlers und Intellektuellen, finden immer den direkten Kontakt zu den Fragenden. Auf alles hat Franz eine eloquente, unterhaltsame Antwort. Aber anstrengend ist das schon. „Lassen Sie mich wenigstens diese Kippe rauchen", fleht er eine Frau an, die während einer kurzen Verschnaufpause erfahren möchte, wie es Franz mit dem Glauben hält.


Vom Streugutschipper zum Theaterpreisträger

„Ich habe immer von ganz unten angefangen, bei allem was ich je getan habe."

Es sind überwiegend junge Leute, die sich an diesem Tag um eine strahlend weiße Sofa-Garnitur auf dem Letná-Hügel versammelt haben. Und es sind nicht gerade viele. „Wir schätzen, dass Vladimír bisher rund 10.000 Unterschriften hat [zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sind es 45.570 Stimmen; A.d.R.]", ermutigt Jakub Hussar, Regisseur und Initiator der Kampagne Vladimír Franz prezidentem die rund 30 Neugierigen. Das Soll bis zum Stichtag - dem 5. November - zu erfüllen, ist ein ambitionierter Plan. Das weiß Hussar, das weiß Franz. Es gehe ihm auch gar nicht so sehr darum, Präsident zu werden. Die Initiative, die Bürger, die den diskreditierten Politikern des Landes nicht mehr nur tatenlos zusehen möchten, die selbst aktiv werden, das sei das Entscheidende. „Wenn ich einmal einen Weg eingeschlagen habe, dann gibt es für mich kein Zurück mehr", versichert der Komponist. „Ich habe immer von ganz unten angefangen, bei allem was ich je getan habe."


Und genau das fasziniert an Franz. 1982 hat der Sohn eines Elektroingenieurs und einer Krankenschwester seinen Doktor in Jura gemacht. Da er es jedoch ablehnte, Teil des totalitären tschechoslowakischen Rechtsapparats zu werden, ging er seinen eigenen Weg. Der führte zunächst nach unten. Franz ging unter Tage, schippte Streugut, wurde später Berufsschullehrer und machte dann die Musik für das Theater der Arbeitenden in Most. Seine künstlerische Ausbildung erfuhr er privat. Anerkannte Persönlichkeiten wie der Maler Karel Souček oder die Komponisten Miroslav Raichl und Vladimír Sommer nahmen Franz bereits in den 1980ern unter ihre Fittiche.


Heute unterrichtet der sechsfache Gewinner des Alfred-Radok-Theaterpreises unter anderem an der Prager Akademie der Musischen Künste, an der er vier Jahre dem akademischen Senat vorstand. Seine Gemälde sind nicht nur in tschechischen Galerien gern gesehen. Momentan arbeitet er an der Oper-Adaptation des Karel Čapek-Romans Der Krieg mit den Molchen für die Prager Staatsoper.


„Diplomatie bedeutet, kein Problem mit nichts zu haben"

Und dann ist da noch seine Hautfarbe. Die ist überwiegend blau. Über die Tattoos, die den Großteil des präsidialen Körpers in spe bedecken, redet Franz ungern. In früheren Interviews nannte er sie „meinen privaten Garten" - was soviel heißt wie „none of your business". Nachdem er sich der Herausforderung des Kampfes um die Burg stellte, kommt er so einfach nicht mehr davon. Bei der Fragestunde an dem Ort, wo heute an Stelle des steinernen sowjetischen Tyrannen ein skurriles Riesen-Metronom über der tschechischen Hauptstadt wacht und Skateboarder ihre Kick-Flips üben, heißt es vorsichtig: Könnten die Politiker nicht vielleicht ein Problem mit deinem Äußeren haben, Vladimír? „Bei Diplomatie geht es meiner Meinung nach darum, kein Problem mit gar nichts zu haben", grinst Franz aus dunklem Sakko und Matrosenstreifen hervor. „Und auch wenn jemand ein Problem hat, dann sollte er es nicht zu erkennen geben." Schon früher gab der Künstler seinem Körperschmuck auch eine politische Ebene. In einem demokratischen System solle ein jeder das Recht haben, seine Hautfarbe selbst zu wählen. Warum also nicht der Präsident? Seine Tattoos sind für Franz Ausdruck persönlicher Freiheit, Kunstwerk, Lebensprojekt.


So fesselnd Franz über die großen Fragen des Lebens redet, über den Glauben als Korrektiv des Menschen, über den Staat als Instrument des Bürgers, so unbeholfen wirkt er bei manch konkreter politischer Frage. Sollten Ausländer Wahlrecht erhalten, fragt eine russische Journalistin. „Das Wahlrecht in einem Land haben nur seine Staatsbürger, das ist so auf der ganzen Welt", erwidert Franz und ignoriert das europäische Wahlrecht ebenso wie Trends hin zur Stärkung politischer Partizipation von Immigranten in manchen Ländern.


Kein sturer Besserwisser

Franz positioniert sich weder links noch rechts. Präzise Meinungen in Fragen der europäischen Integration oder Atomkraft hat er bislang nicht. Aber genau das mögen seine Anhänger. Franz ist jemand, der zuhört, der gerne zugibt, nicht alles zu wissen. Und, mit Politik hatte er nie etwas am Hut. „Ich wähle jetzt zehn Jahre und konnte bisher niemandem mit reinem Gewissen meine Stimme geben," sagt die junge Mutter Jana Zelinková. Und warum gerade Franz „Weil er nichts mit der heutigen Politik zu tun hat, er stinkt nicht nach all dem, was man täglich in den Medien mitbekommt."


Bei einem jungen Staat wie der Tschechischen Republik, deren Geschichte erst zwei Präsidenten kennt, ist der Vergleich mit den Vorgängern unvermeidlich. Also, wäre Franz eher ein Havel oder ein Klaus? Kritisieren möchte er keinen von beiden, wirklich vergleichen will er sich mit ihnen auch nicht. Aber nicht nur ein Blick auf seinen Lebenslauf und die Stilisierung als authentischer Kandidat des Volkes sprechen eine deutliche Sprache. Denjenigen, die sich am regnerischen Spätsommertag hinter ihn stellen, verspricht er, kein „sturer alter Besserwisser" zu werden - da wissen alle, wer gemeint ist.

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