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"Wir sind weniger, aber besser"

Vor 50 Jahren gab es 112 Metzger im Landkreis, heute nur noch 19. Durch Corona und Tönnies-Skandal läuft das Geschäft gut. Die Branche hat jedoch ein schwerwiegendes Problem.

Das Jahr 1972. Nur wenige Wochen nachdem sich Marktheidenfeld, Karlstadt, Gemünden und Lohr zu einem Landkreis zusammenschlossen, taten das auch 112 Metzger. Die Fleischer-Innung Main-Spessart war geboren. Etwa drei Metzger pro Gemeinde gab es im Schnitt. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen.


Als sich 2015 ein neuer Vorsitzender finden musste, hatte die Innung nur noch knapp 30 Mitglieder. Alle Anreize – mehr als drei Mal höhere Ehrenamtspauschale, Reise- und Übernachtungskostenerstattung – halfen nichts. Niemand wollten oder konnte den Obermeister, so heißt der Vorsitzende einer Innung, übernehmen. Durch den Fachkräftemangel sei man überlastet, dazu die Bürokratie. Es fehle einfach die Zeit, hieß es in dem Bericht der Main-Post von damals. Mit dieser Sitzung begann eine ungewisse Zeit für die Innung. 

Metzger kämpfen mit Nachwuchsmangel

Die Main-Spessarter sind mit ihren Problemen nicht allein. Die Zahl der handwerklich betriebenen Metzgereien geht bundesweit konstant zurück. Nur noch 11 671 waren es vergangenes Jahr, laut dem Deutschen Fleischer-Verband, 18 819 waren es noch im Jahr 2002.


Dabei ist Nachfrage nach Fleisch nicht das Problem. Die hat sich bei einem Jahresschnitt um die 60 Kilogramm eingependelt. Der Trend in Richtung regionaler und nachhaltigerer Ernährung lässt die Arbeit der kleinen Metzgereien nicht weniger werden. Selbst Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner forderte immer wieder, dass die deutschen doch mehr Geld für besseres Fleisch ausgeben sollten. Und das kommt von kleinen Metzgereien. 90 Prozent von denen, die selbst schlachten, kaufen die Tiere vom Bauern aus der Umgebung, heißt es vom Deutschen Fleischer-Verband

Trotzdem verlor das Metzgerhandwerk in den vergangenen Jahren jeden zehnten Arbeitsplatz. Die Inhaber finden einfach keine Nachfolger und/oder kein Personal mehr für ihre Läden, so geschehen erst Ende August mit der Gemündener Filiale der Metzgerei Bald. Gleichzeitig sollen die dezimierten Metzger nach zahlreichen Skandalen in den Industrieschlachtereien den Karren aus dem Dreck ziehen. Kann man so etwas überhaupt schaffen?

19 Mitglieder gibt es in der Innung noch

Nach beinahe einem Jahr Ungewissheit, die Main-Spessarter Innung hatte schon mit der Würzburger um eine Übernahme verhandelt, stellte sich Markus Dallmann zur Wahl. Er wurde Obermeister. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er Elviras Bauernladen im Eußenheimer Ortsteil Aschfeld. Zum Gespräch hat Dallmann vier Kollegen mitgebracht: Eberhard Bumm (seinen Vize aus Triefenstein), Phillip Friedrich (dessen Azubi), Hermann Knauer (Ehrenobermeister aus Karlstadt) und Nicole Siegler (Metzgerei Siegler in Lohr). 19 Mitglieder hat die Innung noch. Die würden jetzt aber bleiben, versichern die Obermeister: "Wir sind zwar weniger, aber besser."

Besser. Was heißt das? "Alles, was ich in meiner Theke liegen habe, will ich mit Genuss essen können", sagt Eberhard Bumm. "Wir müssen es schaffen, dass die Leute nach dem Einkaufen denken: 'Ah. Ich muss noch zum Metzger'." Das erreiche man nur, indem man die Qualität anbiete, die die Fleischindustrie nicht bieten kann. Das fängt beim Tierwohl an. "Jede Art von Stress macht das Fleisch schlechter", erklärt Dallmann. Die Tiere müssen deshalb von Bauern aus der Nähe stammen, lange Transportwege vermieden werden. Sie müssen gut ernährt und gut gehalten sein. Keine Knochenbrüche, keine Blutergüsse. Der Tod, die Schlachtung, muss so stressfrei und schmerzlos wie möglich ablaufen. "Etwas anderes können wir uns gar nicht leisten, um gegen die Industrie zu bestehen." Dallmann meint damit die Fleischindustrie hinter den Discountern, welche, das wird immer wieder deutlich im Gespräch, die Metzger verachten. 


Schlechter Ruf schadet der Nachwuchssuche

Nicht nur, weil die Industrie von der Gesetzgebung bevorzugt werde, wie sie sagen. Weit billiger kommt diesen der Industriestrom-Tarif, die Fleischbeschau (die Gesundheitsuntersuchung bei zu schlachtenden Tieren) oder die Abfall-Entsorgung. Ein Grund ist jedoch auch der Ruf des Berufsbildes, der von der Industrieschlachtern hinunter zu den Metzgern sickerte. "Vor 20 Jahren hast du in der Disco nicht gesagt, dass du Metzger bist", sagt Dallmann. Erst in den letzten Jahren konnte sich das Metzgerhandwerk langsam aus seinem Tief herausarbeiten. "Wir Metzger haben früher einfach zu wenig Aufklärungsarbeit betrieben und zu wenig Werbung für uns gemacht." Daran arbeiteten sie gerade. 


So einen langfristigen Trend umzudrehen, ist schwierig. Das zeigen auch die Absolventenzahlen der einzigen Berufsschule für Metzger in der Umgebung, der Franz-Oberthür-Schule. Die Zahl der Fleischer in den Abschlussklassen seit 2011: 10, 22, 12, 17, 11, 6, 10, 14, 13, und 20. Das sind alle aus den Landkreisen Aschaffenburg, Kitzingen, Main-Spessart und Würzburg zusammengerechnet. "2016 war mit sechs der Tiefpunkt. Jetzt pendeln sich die Zahlen auf etwas höherem Niveau ein", sagt Tino Müller, der zuständige Fachlehrer an der Franz-Oberthür-Schule. Aber: Zweifelsfrei seien die Azubis in den vergangen Jahren immer motivierter geworden. Er zählt die zahlreichen Preise auf, die seine Schüler gewonnen haben – das passt gut zu Markus Dallmanns "Wir sind zwar weniger, aber besser"-Einschätzung.


"Früher könnten wir auch mal weniger begabte Schüler an die Gesellenprüfung heranführen. Das ist heutzutage schwieriger geworden", sagt Eberhard Bumm. Metzger sei heute ein unglaublich vielseitiger und deswegen auch anspruchsvoller Beruf. Die fünf Metzger zählen auf: Am Computer arbeiten, Rezepturen berechnen und mischen. Fleisch schneiden und zubereiten. Soziale Medien seien wichtig, für den Laden und auch oft für das Catering, das bei Metzgern immer mehr zum Schwerpunkt wird. Und das Schlachten, das gehört noch immer dazu – aber nur wenn man wolle, betonen die Metzger. In der Ausbildung sei es nur eine  Wahlqualifikation, sagt auch der Lehrer Tino Müller, aber eben das Aushängeschild des Betriebes. Eigentlich belege es jeder Azubi.

Metzgerin Nicole Siegler: "Man kann auch gut vegetarisch leben"

Das Problem in der Fleischindustrie werden die kleinen Metzger nicht lösen können. Dafür sind sie einfach zu wenige. Viel zu tun haben sie eh schon. "In den Anfängen von Corona ist die Nachfrage an Fleisch und Wurst, über unseren Lieferservice, extrem gestiegen", sagt Obermeister Dallmann. Nicole Siegler, deren Metzgerei in Lohr liegt, bestätigt das. Jetzt werde es aber wieder normaler. Der Lösungsvorschlag der Metzgerin: "Man kann auch gut vegetarisch leben oder wenig Fleisch essen. Aber wenn, dann sollte man wissen, wo es herkommt." 


Wo das Fleisch herkommt, ist tatsächlich nicht nur für die wichtig, die es am Ende essen. Denn an Metzgereien hängen ganze lokale Wirtschaftskreisläufe. Sie nehmen den Jägern geschossenes Wild aus den Main-Spessarter Wäldern ab und verwerten es weiter. So wird es nicht einfach weggeworfen. Sie kaufen die Tiere der Bauern aus der Umgebung ab, oft über Marktpreis – wie gerade. Es ist ja mal wieder eine Schweinegrippe unterwegs. "Ohne Bauern in der Umgebung hätten wir gar keine Existenzberechtigung mehr", sagt Bumm. Am Ende kommt von jedem ausgegebenen und verdienten Euro in der Region wieder ein Teil über Steuern in die Städten und Gemeinden zurück. 


Am Ende dieses Textes soll Metzger-Azubi Phillip Friedrich zu Wort kommen. Der 16-Jährige ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er kennt also jede Station auf dem Lebensweg eines Tiers. Wie fühlt er sich, wenn er es schlachtet? "Wir versuchen, den Tieren ein schönes Leben zu bescheren. Als Metzger weiß ich, dass sie dann auch einen schönen Tod hatten. Das, finde ich, ist ein schöner Gedanke."

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