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Wie vorher, nur mit Corona

Karlstadt vor zwei Wochen. Auf dem Marktplatz, direkt vor dem Eingang des Landratsamts, treffen sich 25 Menschen. Es ist die siebte Demonstration gegen Corona-Beschränkungen im Landkreis und die dritte in Karlstadt. Bei den Demos in Marktheidenfeld nahmen teilweise über 100 Menschen teil. Es wird viel gefordert. Schlagworte, die sich durch alle Demos ziehen, sind "Freiheit", "Grundgesetz", "Normalität" oder ein "Ende der Beschränkungen". Aber halt nicht nur.


Nun möchte man meinen, dass Deutschland, das dafür international beneidet wird, bis jetzt vergleichsweise gut durch die Corona-Pandemie gekommen ist – bei einer Todesrate wie im gerne als Gegenbeispiel genannten Schweden hätten wir statt 9000 derzeit 40 000 Corona-Tote. Und haben die Demonstranten – mit oder ohne ihr Zutun – ihr Ziel nicht schon erreicht? Mit dem Abflauen der ersten Infektionswelle in Bayern lockert der Freistaat die coronabedingten Beschränkungen immer mehr. Jeder bekommt seine Freiheiten zurück. Ein Impfzwang stand sowieso nie ernsthaft zur Debatte. Eigentlich wären keine Demonstrationen mehr notwendig, oder? 


Geht es aber nach den Karlstadter Initiatoren, will man trotzdem diesen Sonntag wieder auf dem Marktplatz stehen. Es gibt ja noch die Maskenpflicht. Auch anderswo in Main-Spessart verebbt der Protest nicht – sei es in der Politik  oder bei reichweitenstarken Profilen im Internet. Wir haben deshalb versucht zu analysieren, wer die Gesichter hinter dem Protest sind, und durch Gespräche und Mailverkehr herauszufinden, warum sie sich engagieren, was sie wollen und woher ihr Misstrauen gegenüber offiziellen Quellen und auch uns Journalisten kommt.

Warum Menschen in eine Anti-Corona-Partei wollen

Die Suche nach Antworten beginnt in Lohr im Parkhotel Leiss. Wir treffen uns mit Inhaber Michael Leiß. "Ich hab' ein Attest", sagt er ungefragt, weil er keine Maske trägt. Seine Mitarbeiterin trägt eine. Angst vor einer Infektion hat er keine. Er sei mit 60 zwar in der Risikogruppe, aber kerngesund.

Leiß wollte mit anderen einen Lohrer Ortsverband der Anti-Corona-Maßnahmen-Partei "Widerstand 2020" gründen. Die Kernforderung ist, die Gesetzgebung wieder auf den Stand vor der Pandemie zurückzusetzen. Die zugehörige Gruppe mit etwa 20 Mitgliedern organisiert sich im russischen Messenger Telegram, der wie WhatsApp funktioniert. Da werde aber, so Leiß, nichts gelöscht. Auch für Main-Spessart gebe es eine Gruppe. Mitglieder sind unter anderem Veranstaltungstechniker, Gastronomen, Krankenpfleger. Viele sind überdurchschnittlich von den Maßnahmen betroffen.


Leiß ist ein durchaus sympathischer, reflektierter Typ – und einer, der von der Politik enttäuscht ist. Zu "Widerstand 2020" kam er über einen der Gründer, Bodo Schiffmann. Der HNO-Arzt begann irgendwann, auf YouTube Videos zum Thema Corona hochzuladen. Leiß, der die Ausgangsbeschränkungen anfangs noch für angemessen hielt, ließ sich, als er wegen seines geschlossenen Hotels viel Zeit hatte, von Schiffmann in die Welt der "alternativen Medien" ziehen.

Warum "alternative Medien" gefährlich werden können

Von denen lässt sich Schiffmann gerne interviewen und lenkt dabei die Aufmerksamkeit von eh schon verunsicherten Menschen auf zum Beispiel den wegen Holocaust-Leugnung vom Rundfunk Berlin-Brandenburg gefeuerten Verschwörungserzähler Ken Jebsen. Zwar hat Leiß sich im Gespräch von Verschwörungserzählungen distanziert. Ein Blick in sein Facebookprofil zeigt aber, dass auch er ein Video von Jebsen geteilt hat, in dem dieser Angst vor einer Diktatur in Deutschland durch Bill Gates schürt. "Man muss sich alle Meinungen anhören", sagt Leiß.


Was glaubt Leiß und ist da was dran? Er geht davon aus, dass das Coronavirus nicht schlimmer sein kann als eine Grippe, weil die Infektionskurve einer saisonalen Grippe in Deutschland seiner Meinung nach der der Corona-Infektionskurve ähnele. Ausgangsbeschränkungen seien deshalb nutzlos gewesen. Was ihm, als einfachstes Gegenbeispiel, nicht eingefallen ist: die deutsche Infektionskurve mit den Verläufen aus den USA, Schweden oder Großbritannien zu vergleichen, die nicht nur anders geformt, sondern auch deutlich steiler als in Deutschland sind. In andere Länder schaue er nicht. Auch dass die Infektionskurve gerade wegen der Corona-Maßnahmen in Deutschland so flach ist, bestreitet Leiß.

Das Widersprüchliche an Leiß ist, dass er einerseits durchaus kritisch gegenüber den Leuten ist, denen er im Internet folgt ("Schiffmann ist, glaube ich, ein persönlich schwieriger Mensch"). Er sagt, dass man immer alle Quellen prüfen solle. Und trotzdem zieht er im nächsten Moment aus einem dicken Ordner Meldungen, die mit einer kurzen Google-Suche widerlegt sind. Als Beweis für bewusste Manipulation in den "etablierten" Medien soll zum Beispiel ein Bild von Särgen gelten, das sie als Beispiel für die vielen Toten in Bergamo gezeigt haben sollen. Dabei sei diese Aufnahme viel älter, sagt er.


Nur wer soll das Bild überhaupt gebracht haben? Leiß weiß es nicht. Eine Internetsuche zeigt, die ARD soll's gewesen sein, aber die sagt, sie wüsste nicht, das Bild im Zusammenhang mit Corona verwendet zu haben, und wenn, würde sie es zugeben. Es riecht danach, als wollte jemand hier der ARD eine Falschmeldung unterschieben.

Leiß deswegen gleich Verschwörungserzähler zu nennen, wäre aber falsch. Die Verschwörungsforscherin Pia Lamberty sagt in einem Interview mit der Friedrich-Ebert-Stiftung: "Es ist wichtig, zwischen Fehlinformation und einer Verschwörungserzählung zu unterscheiden." Dazu kommt: Jeder fünfte Deutsche glaube an irgendeine Art von Verschwörungserzählung, sagt sie. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt sogar auf einen noch höheren Anteil.

Trotzdem: Der Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann (CSU) bezeichnete kürzlich Verschwörungstheorien als Gefahr für unsere Demokratie. Den Grund dafür bringt Michael Butter, Deutschlands führender Verschwörungsforscher, in seinem Buch "Nichts ist, wie es scheint" auf den Punkt: Auf welcher Grundlage können politische Entscheidungen gefällt werden, wenn kein Konsens mehr darüber hergestellt werden kann, was "wahr" ist?


Alternatives und rechtes Spektrum nutzen Angst für eigene Ideologie

Die Verunsicherung durch die Corona-Krise nutzen auch in Main-Spessart verschiedene Gruppierungen, um die Interessen durchzusetzen, die sie auch vor Corona schon hatten. Bei  Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen und für Grundrechte und Freiheit in Marktheidenfeld und Karlstadt waren und sprachen offenkundig etliche Impfgegner.


Dazu ist Mitorganisatorin Regina Leshel (Esselbach) zu zählen. Sie ist Regionalgruppenleiterin von ProVeg, einem Verein, der sich für die Interessen vegetarisch und vegan lebender Menschen einsetzt. In ihren Reden spielte Leshel mit Verschwörungstheorien rund um Bill Gates und sprach davon, sie möchte "frei werden von Menschen, die uns durch globale Impfaktionen reduzieren wollen".

Sie sieht Merkel von der WHO und der Pharmaindustrie gesteuert, bezeichnet in Mails an die Redaktion Bürger als "Stimmvieh" und "Schlafschafe", unser politisches System erinnere an die DDR. Sie beklagt das angebliche Diffamieren neuer Parteien – und nennt explizit die AfD. Die "Beweise" dafür schickt sie gleich mit. Sie stammen von "alternativen Medien".

Auch Mitorganisator Harald Stumpf (Karlburg), der als "ganzheitlicher Ernährungsberater" und "Dunkelfeld-Therapeut" arbeitet, hält nichts von angeblichen Zwangsimpfungen, wie er kundtat. Er und Leshel glauben, dass gegen das Virus vor allem ein gutes Immunsystem – Leshel: durch vegane Ernährung, Stumpf: durch Nahrungsergänzungsmittel seines Arbeitgebers, für die er wirbt – helfe, aber keine Masken. Immer mehr Studien belegen jedoch, dass Masken sehr wohl vor dem Coronavirus schützen können. 

Jasmin Berthold beklagt Angstmache durch hohe Zahl der Gesamtinfizierten

Jasmin Berthold aus Arnstein, Anfang 40 und Glasermeisterin, die die Demos in Karlstadt organisiert hat und sich als impfkritisch bezeichnet, beklagt Angstmache durch offizielle Stellen und Medien. Die machten ihrer Ansicht nach nicht deutlich, wie viele Leute überhaupt aktuell infiziert sind, nämlich hierzulande nur noch wenige. Inzwischen hat das Landratsamt mehrfach die Zahl der tatsächlich Infizierten in Main-Spessart mitgeteilt (im Moment: 0). 

Während der Rede von Mario Buchner, eines früheren AfD-Vorsitzenden eines bayerischen Kreises, auf einer Demo in Marktheidenfeld im Juni verließen Berthold und ihre Familie das Gelände. Den von ihm angebrachten Argumenten könne sie grundsätzlich zustimmen, sagte sie. Seine Stimmungsmache gegen Politik und Gesundheitswesen sage ihr aber nicht zu.

Eingeladen hatte ihn der leutselige Demo-Mitorganisator Stefan Ehrl. Buchners politische Vergangenheit sei nicht relevant, ihn interessiere, was er als Mensch zu sagen habe, sagte er damals zur Redaktion. Er selbst sei nicht politisch, aber für Meinungsvielfalt, so der Diplom-Handels-Lehrer aus Marktheidenfeld. Mit Statistiken kenne er sich aus, weswegen er sagen könne, dass die strengen Corona-Beschränkungen nicht nötig gewesen wären, so Ehrl. Diese seien ein Feldexperiment der Politik, das einen Kollateralschaden immensen Ausmaßes nach sich ziehe.

Bei einer Demo in Marktheidenfeld Ende Mai waren auch ein paar wenige Teilnehmer mit Reichsflagge und der ebenfalls bei Rechten beliebten Wirmer-Fahne zu sehen. Solange sie friedlich sind, müsse eine Demokratie das aushalten, fand Ehrl. Stumpf distanzierte sich bei der Demo ausdrücklich von der rechten Szene. Reichsbürger und rechte Verschwörungstheoretiker, die grundsätzlich gegen die Regierung eingestellt sind, waren von Anfang an unter den Gegnern von Corona-Maßnahmen.


Das fällt vor allem in sozialen Netzwerken auf. Ein Beispiel ist ein bei Facebook sehr aktiver Pfarrgemeinderat aus dem Raum Marktheidenfeld. Er äußert neben stramm rechten Ideen auch seine Ansichten zu Corona. Bei einer Zwangsimpfung würden uns Mikrochips zur Überwachung und gegebenenfalls Vergiftung implantiert, raunt er. Konfrontiert mit der Frage, wie seine Einstellung zu seinem Amt passe und ob er ernsthaft glaube, was er da alles postet, schreibt er unter anderem, dass er keine rechten oder rechtsextremen Ansichten habe. Und er fragt: "Auf welchem Märchenplaneten leben Sie eigentlich, um nicht zu merken, dass diese angebliche Pandemie ein Riesen-Fake ist?"

Nur im Protest vereint

Zurück zu Hotelinhaber Leiß. Bei ihm zeigt sich, wie unterschiedlich der Protest gegen die Corona-Maßnahmen ist. Er sei zwar nicht gegen Impfung generell, sagt er, aber gegen eine Zwangsimpfung. Gemeinsam mit seinem möglichen Ortsverband distanziert er sich auch stark von Rechts. Zwar hat sich "Widerstand 2020" aufgrund einer Menge interner "psychologischer" und "handwerklicher" Fehler, wie Leiß es nennt, kurz vor unserem Gespräch mit ihm aufgelöst. Trotzdem sei er immer noch bereit, einen Ortsverband zu gründen – dann halt von der Nachfolge-Organisation.

Seit er die meisten Mitstreiter persönlich kenne, sei er sich dessen sogar noch sicherer. Man wolle ehrlichere Politik, sagt Leiß immer wieder. Kann er sich vorstellen, auch  nach dem Ende der Pandemie weiter politisch aktiv zu sein? "Ja." Was wären dann seine persönlichen Ziele? "Wenn ich meine Stimme erhebe", sagt Leiß, "dann will ich auch gehört werden."


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