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Ex-Banker schnappt Spekulanten Immobilien weg - um Generationenkonflikt zu lösen

14 Wohnungen gibt es im Haus von Rolf Novy-Huy. Er kennt jeden Nachbarn. Die 92-jährige Frau im Erdgeschoss, die sonst im Altersheim wohnen müsste ebenso wie die Singles, die jungen Familien mit ihren Kindern und die Rentner. Und zwischendrin er, der Ex-Banker, Jahrgang 1957, mit seiner Frau. In der kleinen 50er-Jahre Siedlung vor Kassel sind sie die Außenseiter, die, über die geredet wird. „Gebaute Kommunikation" nennt Novy-Huy das, was sie sind. Das weit besser bekannte Schlagwort ist aber „generationenübergreifendes Wohnen".


Rolf Novy-Huy: In der Pflege kann es so nicht weitergehen

Rolf Novy-Huy ist ein pragmatischer Mann. Er formuliert seine Sätze klar. Ob es um Wohnraumknappheit, Pflegekosten oder Umweltschutz geht - keine seiner Aussagen verfehlt ihre Wirkung. „Wir werden weniger, älter und bunter. Das ist eine riesige gesellschaftliche Herausforderung", sagt er. Immer nach der Politik zu rufen könne aber nicht das Allheilmittel sein. „Ich respektiere Politiker für ihr Engagement. Aber wir haben seit 15 Jahren eine Pflegekrise. Da muss man ans Mikrophon gehen und sagen, dass nicht nur die Gesellschaft, sondern auch der Einzelne eine Verantwortung dafür trägt, für das Alter vorzusorgen."

Weil es aber keiner macht, stellt sich also Rolf Novy-Huy jetzt ans Mikrophon. „Wir haben eine Verpflichtung, alle Menschen zu versorgen. Da müssen wir uns unheimlich viel einfallen lassen, ohne die Menschen aus ihrem Umfeld herauszureißen", sagt er. Ein aktiver Beitrag des Einzelnen wäre eben die des gemeinschaftlichen Wohnens. So könnten sich die Menschen begegnen und gegenseitig helfen. Und weil er zudem ein konsequenter Mann ist, hat Novy-Huy genau das getan.


Vom Banker zum Vorsitzenden einer gemeinnützigen Stiftung

Am Anfang seiner Karriere stand eine klassische Lehre zum Bankkaufmann. Er beriet Kunden bei Immobilien, wechselte irgendwann zur GLS-Bank, die einen Schwerpunkt auf nachhaltiges Investment legt. Trotzdem nagte eine Machtlosigkeit an ihm, gegen den ökonomischen Status Quo, gegen die Spekulation mit Wohnraum. Er fragte sich: Wie kann man verhindern, dass schöne Projekte zu Bürohäusern werden? Wie kann man das Engagement von Menschen unterstützen und schützen? „Unser Werkzeugkasten dafür war leer", erinnert sich Novy-Huy.


Gemeinsam mit vier Kollegen kratzte er deshalb 70.000 Euro zusammen und gründete die Stiftung Trias. Das bedeutet „Dreiheit" und steht für die Ziele der Stiftung: Spekulation mit Boden zu verhindern und Nachhaltigkeit sowie gemeinschaftliches Wohnen zu fördern. Das war im Jahr 2002. Sie standen jedoch vor einem Problem: „Mit 70.000 Euro Stiftungskapital kann man erst mal gar nichts anfangen. Das wären bei vier Prozent Rendite 2800 Euro Zinsen, damit könnte man ein paar Möbel kaufen und das wars", sagt Novy-Huy.

So funktioniert die Stiftung

Die Idee war und ist: Menschen fragen an, ob die Stiftung ein Projekt bei der Finanzierung unterstützt. Wenn es den drei Anforderungen entspricht, übernimmt die Stiftung ein Drittel der Kosten, ein Drittel stellt sie als Darlehen aus und ein Drittel zahlen die Nutzer. Das Grundstück geht ins Stiftungsvermögen über und ist durch die Satzung vor einem Weiterverkauf geschützt. Die Käufer erhalten das Erbbaurecht, das ist das veräußerliche und vererbliche Recht, ein Bauwerk auf fremden Grund und Boden zu haben. Man erhält sozusagen „Eigentum auf Zeit", in diesem Fall 99 Jahre.


Noch bevor die neu gegründete Stiftung das erste Haus kaufen konnte, schenkten ihr Menschen erste Grundstücke und bezahlten sogar noch Pacht dafür. Warum? „Einfach aus dem Grund, weil sie das Projekt gut fanden", sagt Novy-Huy.


Aus einem Spekulationsobjekt wird ein Dorf

Eines der größten Projekte der Stiftung Trias ist das Stadtgut Blankenfelde. Das alte Rittergut liegt nördlich von Berlin, idyllisch und von Grün umgeben. Es zeigt eine neue Sehnsucht nach Veränderung und eine Rückbesinnung auf scheinbar verlorengegangenen Zusammenhalt. Schaut man sich die Kommentare an, die Menschen bei Google Maps zu dem Ort hinterlassen haben, ist der Eindruck eindeutig: Fast alle sind positiv. Aber nicht alle - man merkt auch, dass das Stadtgut polarisiert: „Sehr vernachlässigter Eindruck, kein echter Bauer oder Hof-Besitzer könnte so überleben. Ist einfach ein Versuch von Unwissenden", schreibt einer abfällig.


Oskar Tschörner begleiten solche Kommentare schon seit über 15 Jahren, als er die Sanierung des Stadtguts initiierte. Er wollte nicht zulassen, dass das geschichtsträchtige Bauwerk langsam verfiel. Erbaut im frühen 16. Jahrhundert war das Gut bereits eine Brauerei, ein Lusthaus für König Friedrich I. von Preußen, eine Pferdezucht, ein Krankenhaus und ein Bauernhof in der DDR. Zwei Mal zerstörten Krieg und Feuer den Komplex. Dann kam die Wende und es wurde nicht mehr gebraucht.


Leben und Arbeit: Alles nah beieinander

Nach vier Jahren Kampf, das leerstehende ehemalige Gut der Stadt Berlin überhaupt erwerben zu dürfen, vielen Spenden, Krediten und sechs Jahren harter Arbeit leben auf den fünf Hektar inzwischen 39 Kinder und 60 Erwachsene. Es ist eine lebendige Nachbarschaft im Dorf entstanden, es gibt eine Freie-Natur-Schule, eine Naturschutz- und Tourismus-Station mit Café. Insgesamt sind zwölf Betriebe entstanden, Schreiner bauen Möbel, Programmierer haben ein Digital-Startup gegründet. „Bei uns wird gelebt, gearbeitet aber auch gemeinsam gefeiert, ganz im Sinne unseres gemeinnützigen Natur-, Kultur-, Lebens- und Arbeitsprojektes", sagt Tschörner.


Jeden Samstag wird gemeinsam weitergebaut, jeder arbeitet so viel und so hart mit, wie er halt kann. Etwas gemeinsam zu schaffen, verbindet. So ist es heute und so war es vor 500 Jahren. Und so soll es bleiben. Deshalb haben die Bewohner das Grundstück der Stiftung Trias überschrieben. „Wir wollen das Gut nicht besitzen, wir wollen es nur sinnvoll nutzen. Und das sollen auch die Generationen nach uns tun können", begründet Tschörner die Entscheidung.


Novy-Huy: „Es gibt diese wachsende Sehnsucht nach Gemeinschaft"

Seit der Gründung der Stiftung Trias sind 17 Jahre vergangen. In dieser Zeit wuchs das Stiftungskapital von 70.000 auf 10,8 Millionen Euro. Täglich riefen Leute mit einem Vorschlag an, sagt Stifter Novy-Huy. Die meisten lehnt er jedoch ab. „Wir könnten das Wachstum beschleunigen, aber damit würden wir ja gerade in das ‚Immer-Schneller' verfallen, gegen das wir uns eigentlich stellen wollen."


Weil Novy-Huy pragmatisch ist, weiß er, dass er die Welt allein nicht verändern kann. Aber er trage seinen Teil dazu bei. „Wir sind ein Beispiel. Es gibt aber diese wachsende Sehnsucht nach Gemeinsamkeit in der Gesellschaft", sagt er. „Es ist ganz einfach: Einsamkeit macht krank." Deshalb hält er auch nichts von der wachsenden Anzahl ambulanter Pflegedienste, bei denen Frauen die Hälfte der Zeit zwischen den Wohnungen pendelten. Die würden die Einsamkeit der Menschen nur noch weiter verstärken und die Kosten explodieren lassen, glaubt er. Dazu kommt der Austausch zwischen Jung und Alt beim generationenübergreifenden Wohnen. Man lernt, sich gegenseitig zu verstehen. „Wir sind gebaute Demokratie", sagt Novy-Huy.


Letztens starb eine von Novy-Huys Nachbarinnen, er nennt sie Mitbewohnerinnen. Sie haben gelacht, sie haben gestritten und sich wieder versöhnt. „In so einem Moment merkt man, wie nah man sich war", sagt Novy-Huy. „So viel soziale Substanz." Ihr Haus wurde zu einem kleinen Dorf, das auch in der Trauer zusammenrückt. Und trotz der Trauer sagt er: „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, meine Nachbarn nicht mehr zu kennen."

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