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Lehrgeld

Immer mehr Menschen müssen lange Wege an den Arbeitsplatz oder in die Schule hinnehmen. Die Kosten kann man steuerlich geltend machen oder sich erstatten lassen. Das gilt jedoch nicht für alle.


Bei der Frage, wie es denn mit ihrem Optimismus in diesem Fall bestellt sei, stockt Traute Ehlerding erst einmal. "Alles ist offen", sagt die Anwältin dann. Am kommenden Dienstag entscheidet sich in einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht München die Frage, ob es für einen Berufsschüler zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, auch wenn er bei einer Fahrt mit seinem Privatauto über zwei Stunden sparen würde.


Derart lange Wege sind keine Einzelfälle mehr. Die Deutschen pendeln immer weiter und länger. Elf Millionen Deutsche brauchen heute 30 Minuten oder länger zur Arbeit - das ist in etwa jeder vierte Berufstätige. Das zeigen Zahlen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. 1991 war es noch jeder Fünfte. Jeder zwanzigste Berufspendler braucht sogar mindestens eine Stunde zur Arbeit. Bei den Bildungspendlern ist die Zahl noch höher. Beinahe jeder achte Berufsschüler und jeder siebte Student muss über eine Stunde fahren.


Der Staat greift in der Regel jedem Pendler finanziell unter die Arme. Wie festgelegt wird, welche Fahrtkosten erstattet und was wirklich von der Steuer abgesetzt werden kann, ist jedoch umstritten.


Der von Rechtsanwältin Ehlerding betreute Fall zeigt das exemplarisch. Der Landkreis Eichstätt will ihrem Mandanten, der die Schule inzwischen abgeschlossen hat, bislang nur die Pendlerpauschale für die Fahrt zum nächsten Bahnhof erstatten. Von dort aus sollte er die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen - obwohl diese Art der Pendelei eben zwei Stunden mehr pro Tag gedauert hätte. Ehlerding will nun die Pendlerpauschale für die real gefahrene Autostrecke einklagen. Dass die Angelegenheit ungeklärt ist, liegt daran, dass trotz Millionen Pendlern bei den Fahrtkosten von Fall zu Fall entschieden wird und dass die Verwaltungsgerichte überlastet sind.


Weil bei den Fahrtkosten von Fall zu Fall entschieden wird, sind die Gerichte überlastet

Im Normalfall können Pendler ihre Fahrtkosten über die Steuererklärung geltend machen. Grundlage für die Berechnung ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen dem Wohnort und der "ersten Tätigkeitsstätte", dem Arbeitsplatz. Wichtig ist, dass nur die einfache Strecke zählt. Diese multipliziert man mit der Anzahl der Arbeitstage im Jahr und der Pendlerpauschale pro Kilometer: 30 Cent. Es ist dabei unwesentlich, ob man den Weg wirklich mit dem Auto fährt. Ab einem Ergebnis über 1000 Euro lohnt sich die Rechnung, da man damit über der Werbungskostenpauschale liegt, unter die die Fahrtkostenpauschale fällt.


Was aber, wenn eine Baustelle auf der Autobahn Umwege nötig macht? Diese Mehrkosten kann man auch geltend machen, erklärt Uwe Rauhöft vom Bundesverband Lohnsteuerhilfevereine: "Es gibt keine goldene Regel, aber man muss gut begründen, warum der Weg für alle verkehrsgünstiger ist." Die Begründung legt man dann der Steuererklärung bei oder reicht sie im Zweifelsfall nach. Was aber ist verkehrsgünstig? "Die Rechtsprechung ist hier nicht eindeutig", sagt Rauhöft. Manchmal sei er überrascht. Zum Beispiel als der Bundesfinanzhof entschied, dass Mautgebühren kein Grund seien, einen Umweg zu nehmen.


Es sei außerdem nicht immer einfach festzustellen, was überhaupt die "erste Tätigkeitsstätte" ist, sagt Rauhöft. Das ist wichtig, weil Betroffene für andere Fahrten die tatsächlichen Fahrtkosten angeben können. Mit dem Pkw kann man pro Kilometer 30 Cent sowohl für die Hin- als auch für die Rückfahrt und eventuelle Parkgebühren absetzen. Keine "erste Tätigkeitsstätte" ist laut Rauhöft, wenn dieser Arbeitsplatz zeitlich auf maximal vier Jahre begrenzt ist, das Arbeitsverhältnis dann aber nicht endet. Dazu zählen zum Beispiel Baustellen, Urlaubsvertretungen und auch mehrere Einsatzorte beim selben Arbeitgeber.

68 Prozent der Deutschen pendeln mit dem Auto. Wie viele Fahrtkosten man damit absetzen kann, ist nicht gedeckelt. Wer hingegen mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Arbeit fährt, kann höchstens 4500 Euro geltend machen, falls die Ticketkosten nicht höher ausfallen.

Warum muss Ehlerding die Fahrtkosten nun vor Gericht erstreiten?


Weil ihr Mandant zur Berufsschule fahren musste, ist nicht das Finanzamt zuständig. Die Kostenerstattung für den Schulweg ist Ländersache. Die Gesetze sind lediglich Vorgaben, welche die Stadt- und Landkreise dann nach eigenem Ermessen umsetzen können. Ehlerding sagt: "Dabei müssen sie den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit beachten." Deswegen bevorzugen die Landkreise öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und Züge. "Die Nutzung eines privaten Pkw ist nur dann möglich, wenn dies - laut Vorgaben - notwendig ist."

Was aber mit "notwendig" gemeint sei, wurde ursprünglich in der Verordnung über die Kostenfreiheit des Schulweges von 1970 geregelt. Diese gilt aber schon seit 1982 nicht mehr. Jeder Landkreis kann also auf Basis einer abgelaufenen Verordnung entscheiden, wie er will. "Weil seitdem jedoch nichts neues mehr gekommen ist, wird sie im Wesentlichen weiterhin angewandt", sagt Ehlerding. Demnach wäre der Schulweg mit dem Auto nur dann "notwendig", wenn sich an mindestens drei Tagen in der Woche eine Zeitersparnis von zwei Stunden ergebe. "Nach unserer Rechnung ist das erfüllt", sagt Ehlerding, "nach Rechnung des Landratsamtes Eichstätt nicht."


Ob sie den Fall nun gewinnt oder nicht: Ehlerding hat angekündigt, diese ungenaue Rechtslage vor Gericht anzusprechen. "Es ist Wahnsinn, einen Schüler in der Abitur-Vorbereitung auf einen Schulweg zu verweisen, der am Tag zwei Stunden Zeit mehr kostet."

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