1 subscription and 2 subscribers
Article

Kampf gegen Mietwahnsinn: Berliner wollen per Volksbegehren Immobilien-Riesen enteignen

Ab April können die Berliner Bürger darüber abstimmen, ob die Stadt Immobilienriesen vergesellschaften soll. Kritiker sprechen von Enteignung und Sozialismus, Befürworter von Rekommunalisierung. Das bedeutet: Öffentliches Eigentum, das dann an private Investoren verkauft wurde, soll wieder öffentlich werden.


Wen trifft es?

Es soll jedes Unternehmen treffen, das in der Bundeshauptstadt über 3000 Wohnungen besitzt und eine "Gewinnerzielungsabsicht" hat, heißt es im Beschlusstext des Volksbegehrens "Deutsche Wohnen und Co enteignen".

Durch diese Zahl würden auch die Grundrechte auf Eigentum und Berufsfreiheit der Unternehmen geschützt. Private Vermieter, die nur wenige Wohnungen haben, wären damit explizit ausgeschlossen.


Treffen würde das Volksbegehren nicht nur die im Titel angesprochene "Deutsche Wohnen", sondern auch andere Immobilienriesen wie Vonovia, ADO Properties, Akelius und Grand City Property. Die etwa 200.000 betroffenen Wohnungen - insgesamt gibt es in Berlin etwa zwei Millionen - sollen dann in eine öffentlichen Anstalt überführt werden, deren Satzung eine erneute Privatisierung für immer ausschließt.

Um wie viel Geld geht es?

Diese Anstalt soll auch die Entschädigung der Immobilienriesen bezahlen, schreiben die Macher des Volksbegehrens. Diese sei jedoch deutlich unterhalb des Marktwertes anzusetzen. In einem Interview mit der Zeit rechnet der Sprecher des Volksbegehrens mit einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) rechnet hingegen mit 25 Milliarden Euro.

Zum Vergleich: Der Berliner Flughafen BER kostet aktuell etwa 5,2 Milliarden Euro und Stuttgart 21 soll etwa 8,2 Milliarden Euro kosten. Berlin hat derzeit 58 Milliarden Euro Schulden, macht dieses Jahr aber 1,2 Milliarden Euro plus.


Was spricht dafür?

Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas ausholen. Hat man als Vermieter Ausgaben für die Instandhaltung einer Wohnung, kann man diese Kosten nicht auf die Mieter umlegen. Darunter zählen alle Arten von Reparaturen. Bei den Kosten für Renovierung und Modernisierung, die beim Dämmen der Fassade oder beim Einsetzen neuer Heizungen entstehen, ist das jedoch nicht der Fall.


Für börsennotierte und damit gewinnorientierte Unternehmen wie die "Deutsche Wohnen", die hier exemplarisch als Beispiel gelten soll, ist es deshalb lukrativer, die Gebäude kaputtgehen zu lassen und dann zu sanieren, da die Kosten auf die Mieter umgelegt werden können. Dann können sie mehr Miete verlangen, der Gewinn steigt dadurch mit. Von dieser Strategie spricht die "Deutsche Wohnen" in ihrem eigenen Geschäftsbericht aus dem Jahr 2015 sogar ganz offen. Ohne Gewinnorientierung wäre dieses Problem zumindest behoben und die Mieten würden nicht unnötig noch oben gezogen werden.


Aber gibt es Zahlen, die das beweisen? Die sechs Wohnungsbaugesellschaften, die der Stadt Berlin gehören, investierten zwischen 2013 und 2017 im Schnitt zwischen 16,90 Euro und 19,17 Euro je Quadratmeter Wohnfläche in die Instandhaltung der Wohnfläche. Die "Deutsche Wohnen" steckte nur halb so viel in die Instandhaltung. Das geht aus einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Berliner Linken hervor.


Bei den Kosten für die Wärmedämmung ist genau das Gegenteil der Fall. Die "Deutsche Wohnen" steigerte ihre Ausgaben zwischen 2013 und 2017 um das Fünffache von 4,67 Euro auf 22,85 Euro je Quadratmeter. Bei den Wohnungsbaugesellschaften lagen die Ausgaben im Jahr 2017 noch immer bei 7,68 Euro.


Dazu kommt das Problem des Leerstands: Private Wohnungseigentümer müssen im Gegensatz zu öffentlichen niemanden in ihren Wohnungen wohnen lassen. Valide Zahlen gibt es dafür nicht, da die Berechnung der Leerstandsquote von Meldungen der Nachbarn abhängig ist.

Aber die "Deutsche Wohnen" bietet auf Ihrer Internetseite auch Wohnungen als Kapitalanlage an. 28.600 Wohnungen hätte das Unternehmen gekauft und schon 16.500 wieder verkauft. Kunden könnten somit von der positiven Entwicklung der Metropolregionen profitieren, schreibt das Unternehmen. Ob die Käufer dann tatsächlich darin wohnen, ist die andere Frage.


Was spricht dagegen?

Zum einen die schon oben angesprochenen Kosten. Zum anderen bezweifeln Immobilienexperten, dass ein Rückkauf die Platzprobleme der Stadt lösen kann. Die Immobilienbranche will deshalb Steuererleichterungen sowie schnellere Planung und Genehmigungen. Nur dadurch würden mehr Wohnungen geschaffen, wodurch dann der Platz sinken könnte. So fordert der Verbandspräsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses, Andreas Mattner, im FOCUS Online-Interview: "Wegen der hohen Nachfrage müssen wir bauen, bauen, bauen."


Einen weiteren Punkt erwähnt Mario Hilgenfeld, Leiter Wohnungswirtschaft und -politik beim BBU, im Interview mit dem „ Handelsblatt ": „Niemand weiß, wenn er das Vorkaufsrecht zieht, wer in den Gebäuden wohnt. Das können Menschen mit Wohnberechtigungsschein sein, das können aber auch Professoren oder Beamte sein." Der sozialpolitische Effekt, den sich das Volksbegehren erhofft, könnte also gar nicht gegeben sein.


Wie stehen die Chancen?

Das Volksbegehren beruft sich auf Artikel 15 des deutschen Grundgesetzes, das erlaubt, Grund und Boden zum Zweck der Vergesellschaftung in Gemeineigentum zu überführen. Es gibt also eine Rechtsgrundlage. Im "Handelsblatt" wenden Juristen ein, dass dieser Artikel noch nie angewandt worden wäre. Sprecher des Volksbegehrens entgegnen, dass Berlin so einen Präzedenzfall schaffen könnte.


Viele Berliner Bürger stehen hinter dem Volksbegehren. Das geht aus einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Berliner Zeitung hervor. Danach halten es im Osten der Stadt 50 Prozent der Befragten für richtig, wenn große Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen gegen Entschädigung enteignet und vom Land Berlin übernommen werden. Im Westen sind es dagegen nur 39 Prozent. Insgesamt ist die Zahl der Befürworter jedoch höher als die der Ablehnenden.


Auch die Linke und Teile der SPD und Grünen haben bereits ihre Unterstützung kundgegeben. Aber: Ausgerechnet der SPD-Bürgermeister Michael Müller hat Forderungen zurückgewiesen, private Wohnungsunternehmen zu enteignen.


Kann das auch in anderen Städten passieren?

Die Linke will europaweit ermöglichen, dass öffentliche Träger leerstehende Wohnungen beschlagnahmen und private Immobilienspekulanten enteignen. Ein entsprechende Passus steht im Programm für die Europawahl am 26. Mai. „Mehr Wohnungen in öffentlicher Hand bedeuten mehr Möglichkeiten, die Mieten niedrig zu halten", begründen sie diese Forderung. Noch ist das aber nur eine Forderung.


Was ist das Kernproblem?

Die Diskussion lässt sich auf die Grundfrage der sozialen Marktwirtschaft herunterbrechen. Vertraut man eher der sozialen Seite, also darauf, dass der Staat die Probleme lösen sollte? Oder vertraut man dem Mantra der Ökonomen, dass der Markt schon alles regeln würde? Wie sich die Berliner entscheiden, wird sich ab April zeigen.

Original