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Nach Brückenunglück in Genua: So steht es um die deutschen Brücken


Die eingestürzte Brücke in Genua stammte aus den 1960er Jahren und soll erst 2016 renoviert worden sein. Auch in Deutschland sind viele Brücken über 50 Jahre alt - und längst baufällig. Zehn erreichen im Brösel-Test die schlechteste Note. FOCUS Online zeigt, welche großen Brücken Sanierungsfälle sind.


Um zu sehen, wie viele Brücken in Deutschland in schlechtem Zustand sind, hat FOCUS Online eine Aufstellung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BaSt) ausgewertet (Stand: März 2018). Die Anstalt überprüft regelmäßig jede Brücke und vergibt eine Note von 1 bis 4. Ab der Note 3,5 sind „die Standsicherheit und/oder Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben". Zehn Brücken bekommen die schlechteste Note 4, viele weitere sind in nicht viel besserem Zustand. Nicht nur Autobahnbrücken, auch Rad- und Gehwegbrücken sind dabei.


Viele der laut BaSt-Statistik am schlechtesten bewerteten Brücken sind eher klein. Doch auch viele große Autobahnen sind nur mit Note 3,5 bis Note 4 bewertet. Auf diesen Brücken fahren täglich zehntausende Autos und schwere LKWs. Die Liste der Problemfälle:

Die größte Brösel-Brücke Deutschlands: die A40 Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp

Die A 40 Rheinbrücke wurde 1970 für bis zu 30.000 Autos am Tag gebaut. Die Belastung durch inzwischen täglich 100.000 Fahrzeuge - davon 10.000 Lastwagen - haben das Bauwerk marode gemacht. Fahrbahn und Querträger mussten in den vergangenen Jahren wiederholt repariert werden.


Die letzte Sanierung liegt erst wenige Wochen zurück. Die Brücke musste sogar kurzzeitig vollgesperrt werden, weil ein 73 Zentimeter langer Riss in der Seilverankerungs auftauchte.

Zum Schutz der Brücke soll jetzt ein Sperrsystem für überladene Lastwagen eingerichtet werden. Fahrzeuge sollen demnächst vor der letzten Ausfahrt vor der Brücke automatisch gewogen und bei mehr als 44 Tonnen Gewicht abgeleitet werden. Langfristig wird die A40-Brücke durch einen Neubau ersetzt. Die Planungen laufen bereits.


Kochertalbrücke - Autobahnbrücke A6: Lösterbachtalbrücke - Autobahnbrücke A1:

Die Sauertalbrücke auf der Autobahn A 64 zwischen Trier und Wasserbillig muss nach den jetzt laufenden Arbeiten erneut saniert werden. Dies teilte der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) dem SWR mit.

An der Brücke seien Probleme bei der Tragfähigkeit und Absturzsicherung festgestellt worden. Deshalb müsste eine weitere Großbaustelle eingerichtet werden, frühestens aber in zwei Jahren.


Thalaubach-Talbrücke - Autobahnbrücke A7:

Ein Gutachten zum Bauwerkszustand der Talbrücke Thalaubach der A7 bei Eichenzell-Döllbach kommt zu dem Ergebnis, dass die Talbrücke zur Sicherstellung der Gebrauchsfähigkeit kurzfristig zu verstärken ist. Laut Gutachten besteht bis zur Ausführung der Verstärkungsmaßnahme insbesondere bei sehr kalter Witterung die Gefahr einer Beschädigung des Brückentragwerks.


Es wird angestrebt, die Verstärkung des ersten Überbaus (Richtungsfahrbahn Nord) bereits in 2018 und die Verstärkung des zweiten Überbaus in 2019 abzuschließen.

Brettachtalbrücke - Autobahnbrücke in Neuenstadt am Kocher:

Die Wiedbachbrücke muss in den kommenden Jahren neu gebaut werden. Sie ist mit der A1 eine der wichtigsten und meistbefahrenen Strecken in Rheinland-Pfalz. Standsicherheitsuntersuchungen hatten ergeben, dass die Brücke verstärkt werden muss, um den künftigen modernen Verkehr sicher tragen zu können. Dabei geht es vor allem um Lkw, die immer zahlreicher und vor allem schwerer werden. Dem kann die Brücke auf Dauer nicht standhalten.


Noch schlechter, als die Autobahnbrücken schnitten diese Top-10-Brösel-Brücken ab. Darunter sind vor allem viele Fußgänger und Fahrradbrücken:

B189 Rad- und Gehwegbrücke in Osterburg (Altmark) A43 / L551 Weseler Straße bei Appelhülsen B233 über die Lippe bei Bergkamen B236 (Auffahrts-Ast) bei Dortmund B184 über die DBAG bei Roitzsch B56 Fuß- und Radweg bei Geilenkirchen-Tripsrath B 283 Rechenhausbrücke bei Bockau A1 Klingenthalbrücke bei Eppelborn B471 über die Isar bei Ismaning

Eine schlechte Note bedeutet nicht gleich Einsturzgefahr

Die von der Bundesanstalt für Straßenwesen vergebene Note bewertet „die Dringlichkeit notwendiger Maßnahmen" der Bauwerke. Das heißt jedoch nicht, dass die Brücke akut einsturzgefährdet ist. Eine schlechte Note könne zum Beispiel auch durch fehlende Gitterstäbe im Geländer ausgelöst werden, was ein Grund für mangelnde Verkehrssicherheit wäre. Auch eine große Anzahl von Schäden wie abgeplatzter Beton, schadhafte Abdichtung und Korrosionsschäden zählen dazu.


"Eine Zustandsnote von 3,0 bis 3,4 (nicht ausreichender Bauwerkszustand) bedeutet somit nicht zwangsläufig eine Nutzungseinschränkung des Bauwerkes, sondern ist vielmehr ein Indikator dafür, dass in näherer Zukunft eine Instandsetzungsmaßnahme zu planen ist", so die BaSt. Brücken mit besonders hoher Verkehrsbelastung benötigen eine "Brückenertüchtigung", also Verstärkungsmaßnahmen.


Überblick: Zustandsnoten deutscher Fernstraßen-Brücken

Nicht das Alter der Brücken ist das Problem - sondern die Verkehrsexplosion

In Deutschland sind viele Brücken mittlerweile vier bis fünf Jahrzehnte alt. Eigentlich ist das auch kein Problem: Brücken werden für eine Lebensdauer von 100 Jahren ausgelegt. Womit die Planer damals aber nicht gerechnet haben, ist der enorme Anstieg des Verkehrs - allen voran des Schwerlast-Verkehrs mit tausenden LKW. Autobahnbrücken müssen wie in Duisburg oft mehr als 100.000 Autos pro Tag aushalten. Die schweren Brummis setzen der Substanz der Brücken zu.


Der Westen hat größere Probleme als der Osten

Die alten Bundesländer sind viel stärker von maroden Brücken betroffen als die neuen. Der Grund: Ein Großteil der Brücken im Westen stammt aus den 60er- und 70er-Jahren, gebaut während des wirtschaftlichen Aufschwungs. Da aber in der damaligen DDR die Infrastruktur vernachlässigt wurde, investierte man in den 90er Jahren lieber dort massiv in die Straßen.

Überblick: Alter deutscher Brücken

So kommt es auch, dass in Thüringen nur ein Prozent der Brücken in schlechtem Zustand sind. In Sachsen sind es drei Prozent. In Brandenburg fünf. Am meisten marode Brücken hat hingegen das Saarland mit 29 Prozent. Darauf folgt Hamburg mit 27.


Schrägseil-Brücken gibt es auch in Deutschland

Bei dem in Genua eingestürzten Polcevera-Viadukt es sich um eine Schrägseil-Brücke, bei der die Fahrbahn mit schräg verlaufenden Seilen an Pylonen aufgehängt ist. Der italienische Ingenieur Riccardo Morandi plante in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren zahlreiche Brücken in Italien und Südamerika. Die Bauwerke sind nach ihrem Erbauer benannt, weshalb die Katastrophen-Brücke in Genua auch Morandi-Brücke heißt.


Schrägseil-Brücken kommen zum Einsatz, wenn große Distanzen zu überwinden sind, etwa breite Flüsse. Die Konstruktion kann Stützweiten von rund 1000 Metern überbrücken. Auch in Deutschland gibt es solche Brücken - und viele davon müssen eine viel größere Verkehrs-Last aushalten als ursprünglich geplant. Auch hier sind vor allem LKW die Ursache. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel gibt es laut Auskunft des Landesbetriebs Straßen.NRW unter anderem folgende Schrägseilbrücken:

Rheinbrücke an der A42 bei Duisburg Niederrheinbrücke Wesel an der B58 Flughafenbrücke an der A44 bei Düsseldorf

Brücken-TÜV alle sechs Jahre

In Nordrhein-Westfalen liegt das Durchschnittsalter der Brücken bei 38 Jahren (Autobahnbrücken) beziehungsweise 42 Jahren (Landstraßen). Jede Brücke wird alle sechs Jahre in einer sogenannten "Hauptprüfung" mit Spezialgeräten auf Schäden untersucht. Zudem gibt es mehrmals im Jahr Sichtprüfungen sowie zusätzliche Checks nach besonderen Ereignissen wie schweren Verkehrsunfällen oder Hochwasser. Im Sommer 2017 etwa rammte ein Schiff die Rheinbrücke an der A42 . Die Autobahnbrücke wurde gesperrt und untersucht, das Schiff hatte die Pfeiler aber nicht beschädigt.

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