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Zwischen Trend und Tradition

Bayern ist Bierland. Obwohl Obstbrände oder Liköre tief in der bayerischen Wirtshauskultur verwurzelt sind, fristet Schnaps noch immer ein Nischendasein - mit dem niedrigsten Pro-Kopf Verbrauch im bundesweiten Vergleich. Vielleicht nicht mehr lange: Eine neue Generation von Brennern setzt auf Regionalität, Qualität und geht neue Wege - sie sind es, die in Bayern eine neue Schnapskultur einläuten wollen.

Hubert Rothbauer brennt Schnaps. Seit er 16 Jahre alt geworden ist, verbringt er den Großteil seiner Freizeit in dem kleinen, quadratischen Raum im Nebenhaus seines Hofes, den er sein „Brennzimmer" nennt. An den gekachelten Wänden hängen sorgfältig aufgereiht Urkunden der letzten Jahrzehnte. Und mittendrin: die riesige, kupferne Brennblase, an deren Ende der heute 37-Jährige steht - großgewachsen, in Jeans und kurzärmligem, blauem Karohemd - und konzentriert die daraus tropfende, durchsichtige Flüssigkeit abschmeckt: „Unser Schnaps ist ohne Aromen und ohne Zuckerzusätze", erklärt Rothbauer und zeigt auf den Eimer mit dem Schnaps. „Das hier sind 100 Prozent Destillat. Das ist das, was die Frucht kann. Nicht mehr und nicht weniger."


Vor 20 Jahren begann Rothbauer, seinem Vater bei der Obsternte und Alkoholdestillation zu helfen. Heute ist Rothbauer selbst der Brennmeister, und seine Familie hilft ihm. Der Aufbau der Brennerei war und ist ein Familienprojekt, dem der gemeinsame Hof den Namen gab: „Zum Voglbauer". Umringt wird das Familienanwesen am Rand von Aigen am Inn (Landkreis Passau) von 210 Obstbäumen. „70 Prozent unserer Schnäpse sind aus diesem Obst gebrannt - selbstgeerntet, von meiner Familie und mir", sagt der zweifache Papa stolz. Was er nicht im Garten hat, bekommt er von den Nachbarn, die Speckbirnen hat er vom Bürgermeister.


Dass sich Manuel Engel mit seiner Naturbrennerei überhaupt selbstständig gemacht hat, verdankt er einem kaputten Laptop. Der gebürtige Braunauer kam 2009 wegen der Musik nach Schönau (Landkreis Rottal-Inn) und blieb. Nach der jahrelangen Doppelbelastung aus Job und Hausbau brauchte er eine Pause. „Ich wollte ein Album machen. Als ich fast fertig war, stürzte mein Laptop ab und alles war weg. Es sollte einfach nicht sein", erzählt er. Dann erinnerte sich der heute 41-Jährige an die Likörrezepte seiner Großmutter und fing wieder an, Schnaps zu machen. Er hatte bereits zwanzig Sanddornbäume im Garten, ließ sich eine Brennanlage aus Kupfer handfertigen und pachtete Streuobstwiesen in der Umgebung - auf der Internetseite der Brennerei kann man sogar die Geodaten der Bäume und Sträucher einsehen.


Seinen Brennereiladen eröffnete Engel im Sonnendorf Schönau, einer Siedlung, die sich komplett selbst mit Strom versorgt. Der Laden ist so schlicht, aber stilvoll eingerichtet, wie Inhaber Engel gekleidet ist. An der Wand über der Eingangstür hängen Kunstwerke. Wenn man sich im Raum genauer umsieht, erkennt man sie auf den Etiketten der ausgestellten Schnapsflaschen wieder. Eine Mischung aus Galerie und Brennerei. „Ich mache alles selbst - vom Pflücken übers Brennen bis zum Etikettieren", erklärt der Brennmeister.


Zurück bei den Rothbauers: „Der ist gut", freut sich Hubert, dreht das Ventil am Ende der Brennblase zu, hastet durch den Raum und bereitet den nächsten Durchlauf vor. Mit einem breiten, fast kindlichen Grinsen erzählt er, dass es am schwierigsten gewesen sei, die Einheimischen von der Qualität seines Schnapses zu überzeugen. Es habe Jahre gedauert. Während er durch das „Brennzimmer" hetzt, bereitet seine Frau das Reindl für den Abend vor. Eine Frauengruppe aus dem Ort kommt zur Schnapsverkostung vorbei - mit leerem Magen.


Die Familie Rothbauer vermarktet ihren Schnaps selbst. Aktionen wie das Abendessen mit Schnapsverkostung gehören dazu. Sie stecken fast genauso viel Arbeit in den Verkauf der Obstbrände wie in die Produktion, fahren zu Märkten, halten Verkostungen ab, besuchen und schulen das Personal von Wirtshäusern, die ihre Produkte anbieten. „Ich will den Leuten guten Schnaps näherbringen und Geschichten mit den Kunden austauschen", erklärt der 37-Jährige. Ebenso Manuel Engel: Er hat verschiedene Vertriebspartner, von Bioläden bis zum lokalen Edeka-Markt. In einem Klamottenladen in Pfarrkirchen stehen seine Brände zwischen Jeans und Hemden. Engel meint: „Eigentlich sind meine Schnäpse viel zu günstig. Man muss den Menschen nur klarmachen, welche Arbeit dahinter steckt, dann verabschieden sie sich vielleicht vom billigeren Fusel."


Genau das ist die Mission von Benedikt Pointner. Er ist Vorsitzender des Vereins Bayerischer Edelbrandsommeliers, dem auch Rothbauer und seit Kurzem Engel angehören, als zwei unter 70. Unter Pointners Leitung wurde eine Aktion aus dem Boden gestampft, die es so wahrscheinlich noch nie gegeben hat. Beim jährlichen Hoffest des Landwirtschaftsministeriums ließ der Verein Minister Helmut Brunner sechs 50-Liter-Fässer mit Zwetschgenbrand füllen, welche jetzt zur Reifung bayernweit verstreut sind. Man müsse den Menschen klarmachen, dass es auch etwas Besseres gibt als billigen Schnaps aus dem Supermarkt, meint Pointner. Eines liegt auf dem Kreuzberg in der Rhön (Franken), eines in der Teufelshöhle (Fränkische Schweiz), eines auf der Insel Frauenchiemsee und in der Burg in Burghausen (Oberbayern). Sogar auf der MS Bayern auf dem Bodensee schwimmt ein Fass. 


Vor zehn Jahren sei der Tiefpunkt erreicht gewesen, egal was man machte, man machte es falsch, erzählt Stefan Penninger, Juniorchef der Hausbrennerei Penninger. Harter Alkohol hätte die Leute einfach abgeschreckt. Seine Firma sei dann zu ihrem Glück gezwungen worden. Man änderte die Strategie hin zum qualitativeren, höherpreisigen Segment. Heute werden fast alle Schnäpse des Hauses aus veganen Produkten, CO2-neutral, bio und nachhaltig hergestellt. „Wir merken, dass wieder mehr Wert auf regionale Produkte gelegt, ergo mehr Geld für qualitative Produkte ausgegeben wird." Das hat Penninger mit den Edelbrandsommeliers gemeinsam.


Aber: Die traditionellen Getränke hätten auf die Umsatzsteigerung nur wenig Einfluss gehabt, erklärt der Junior-Chef. „Speziell junge Leute kann man mit Obstbränden nur schwer erreichen." Das zeigen auch die aktuellsten Statistiken des Dachverbandes der Spirituosenbranche (bsi) von 2015. Nur 9,8 Prozent der männlichen Gesamtbevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren geben an, mindestens einmal im Monat Obstbrand zu trinken. Bei den Männern von 50 bis 64 Jahren sind es 21,6 Prozent, bei denen zwischen 18 und 29 Jahren nur 5,4. Auf dem bayerischen Markt, der mit einem jährlichen Pro-Kopf-Konsum von 3,9 Litern sowieso sehr klein ist - Spitzenreiter sind Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit je 10,3 Litern - hat es ein Obstbrand also noch schwerer, sich bei jungen Menschen zu etablieren.


Stefan Penninger setzt deshalb bei den klassischen Bränden auf ein neues, ausgefallenes Design der Flasche - schwarz gehaltene Sondereditionen mit skurrilen Totenköpfen oder Vögeln stehen bereits neben den klassischen Flaschen in den Supermarktregalen. „Wir merken nach jedem neuen Design, wie die Verkäufe steigen", erzählt Stefan Penninger. Die Zukunft sieht er aber in etwas anderem: Regionalität in Verbindung mit Internationalität. Bayerischer Whiskey und Gin könnten es inzwischen mit den Großen der Welt aufnehmen. „Mit unserem Gin haben wir vergangenes Jahr den Preis ‚World Best Traditional Style Gin' gewonnen", erzählt Penninger stolz.


Das neue Trend-Getränk für Manuel Engel ist der Zirbenschnaps. Kommendes Jahr will er diesen Brand in der Bar-Szene bekannter machen. „Die Zirbe ist eine gute Alternative zum Gin", meint der 41-Jährige. Die Rezepte dazu hat er bereits entwickelt. Auch Hubert Rothbauer blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. An seinen Wochenenden auf den Märkten in Bad Füssing und Passau hat er eines gemerkt: „Leute achten wieder darauf, richtige Top-Brände daheim zu haben." Der Brenner erzählt von einem Studentenpärchen, das immer wieder zu ihm kam und ihn über seine neuesten Schnäpse ausfragte und diese dann mit nach Hause nahm. Rothbauers Mund formt sich zu einem breiten Grinsen. „Deswegen mach ich das", sagt er, vielleicht lauter als gewollt, drückt sich vom Tisch weg, und wiederholt: „Genau deswegen."


Interview

Das Interview Herr Pointner, wie stellt man einen guten Schnaps her?

Ein gutes Produkt entsteht erstmals am Baum. Wenn das Obst nichts taugt, kann man als Brenner nichts rausholen. Der Weg zum guten Brenner geht dann nur über Versuch und Irrtum. Mehrere Jahre lang macht man viele Fehler. Man muss dabei immer abwägen, ob das Ergebnis gut oder schlecht ist. Ausschlaggebend für die Qualität meines Schnapses war schließlich die Ausbildung zum Edelbrandsommelier und die Freundschaft mit dem begnadeten Brenner Andreas Franzl.


Nach welchen Kriterien bewerten Sie bei der bayerischen Obstbrandprämierung einen Brand?

Ein Brand muss authentisch sein. Es ist fast egal, was man brennt. Es gibt die verrücktesten Obstsorten. Wichtig ist, dass ein klares Produkt entsteht, das den Fruchtcharakter widerspiegelt. Die ganze Aromavielfalt einer Obstsorte muss sich im Schnaps wiederfinden.


Gibt es einen typisch bayerischen Schnaps?

Den gibt es nicht. Auch in Österreich oder Baden-Württemberg gibt es diese unglaubliche Obstvielfalt.


Welche Schnäpse brennen Sie denn persönlich gerne?

Der Laie kennt die Williamschristbirne, den Schlager unter dem Brennobst. Diese Birne hat eine klare Struktur, einen Charakter. Ich dagegen brenne gerne die Gräfin von Paris, die kennt kein Mensch. Das ist eine uralte Birnensorte, die von sich aus einen ganz eigenartigen Charakter mit breiter Aromavielfalt hat. Wenn diese Frucht gut verarbeitet ist, ist dieser Brand viel faszinierender als die Williamschristbirne. Um Schnaps genießen zu können, ist es wichtig, immer neutral an eine neue Sorte ranzugehen.


Erkennen Sie einen Trend, dass immer mehr kleine Schnapsbrennereien entstehen?

Es werden nicht mehr Brennereien, aber mehr Brennereien machen von sich reden. Viele motivierte, junge Leute übernehmen die Brennereien ihrer Eltern und legen mehr Wert auf Qualität. Dabei kommt richtig guter Schnaps heraus. In der Summe werden es aber eher weniger Brennereien, die Besinnung auf Qualität nimmt aber deutlich zu.


Was würden Sie einem jungen Brenner raten? 

Zu allererst: „Mach eine gute Ausbildung!" Es geht um Qualität, nicht Quantität. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, von Brennkursen bis zu einer tatsächlichen Berufsausbildung; so weit muss man aber auch nicht gehen. Bei der Ausbildung zum Edelbrandsommelier lernt man bis ins Detail, wie Sorten schmecken sollen, wie Fehler schmecken.


Diese Reportage ist im Rahmen des Dahoam-Magazins entstanden. Alle Inhalte aus dem Dahoam-Magazin finden Sie unter www.pnp.de/dahoam

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