1 subscription and 0 subscribers
Article

Tortur an der Berckstraße

Bei sommerlichen Temperaturen habe ich in der Halle Berckstraße eine Trainingseinheit mitgemacht. Den Wunsch meines Chefs habe ich ihm erfüllt - unfreiwillig.

Floorball ist eine der schnellsten Sportarten der Welt. Rasant, körperbetont, laufintensiv: so lässt sich das Spiel beschreiben. Im Internet habe ich mir vorab Videos angeschaut, um einen Eindruck zu bekommen, was mich erwartet. Von da an wusste ich: Mir wird körperlich alles abverlangt. Das sollte sich auch bewahrheiten.

Kai Ehrenfried, Verteidiger bei den Hornern, macht mir Mut für das Training. „Floorball ist leicht zu erlernen", sagt der 25-Jährige. Bereits mit 16 Jahren spielte er in der ersten Bundesliga. „Man erzielt schnell Fortschritte." Für sein Team ist es eine besondere Einheit. Vorher ausschließlich konditionell trainiert, greifen die Männer in der Saisonvorbereitung erstmals zu ihren Schlägern. Co-Trainerin Sina Cordsen, 29, erläutert, was uns in den kommenden zwei Stunden erwartet: „Erste Stunde daddeln wir und anschließend steht Stabi-Training auf dem Plan."

Sie schickt uns zum Einlaufen - zehn Minuten. Es ist eine Mischung aus lockerem Joggen und Sprints. Anschließend reicht Cordsen mir einen Schläger. Wie die meisten Spieler im Floorball fasse ich den Schläger oben mit der rechten Hand, unten mit der linken Hand, an. Im Fachjargon bin ich ein sogenannter Linksausleger. Den Schläger führe ich auf meiner linken Seite.

Ich schnappe mir einen Ball. Dieser ist hohl und hat 26 Löcher. Ich bin überrascht, wie leicht der Plastik-Ball ist: Er wiegt lediglich 23 Gramm. Um ein Gefühl für Schläger und Ball zu bekommen, dribbele ich durch die Halle. Von Eleganz kann keine Rede sein. Eher stocksteif bewege ich mich über das Feld. Es geht ins Passen und Annehmen über. Zunächst zu zweit, dann zu dritt. Wenn auch nicht immer sehr präzise, verfehlen meine Pässe immerhin nicht meilenweit die Mitspieler. Probleme bereitet mir eher die Ballannahme - eine andere Hausnummer. Noah Ehrenfried, Center beim TV Eiche Horn, hat einen Tipp für mich. „Baue ein Dach", rät er mir. Ich soll die Schaufel etwa 45 Grad zum Hallenboden geneigt halten. Prompt verspringen mir die Bälle nicht mehr so oft.

Weiter geht's unter anderem mit Torschusstraining. Im Halbkreis stellen sich die Spieler um das Tor herum auf. Nacheinander schießen wir auf das Gehäuse. Meine ersten Versuche sind kläglich, sie gehen noch nicht einmal auf das Tor. Aber ich bessere mich. Dennoch hat der Torhüter keinerlei Probleme meine Bälle zu fangen. Sie sind zu schwach geschossen.

Die nächste Übung kombiniert Passspiel, Annahme, Laufen und Torschuss. Zu sehr auf das „Dach bauen" fokussiert, verkrampfe ich bei der Ballannahme. Die Bälle springen mir oft zur Seite weg, sodass ich meist nicht zentral, sondern aus einem spitzen Winkel zum Torschuss komme. Ein Treffer gelingt mir nicht. Mein Körper sendet mir die ersten Signale. Ich werde zunehmend müde. Kai Ehrenfried lacht. „Das war doch erst das Aufwärmen. Das war echt noch harmlos." Ich ahne nichts Gutes.

Das Trainingsspiel steht an, meine Mitspieler beordern mich zum Mittelkreis. Für mein Team soll ich den Anstoß, genannt Bully, ausführen. Ich bin überfragt. Wie geht das überhaupt? Der Gegenspieler am Mittelkreis erklärt mir, worauf ich zu achten habe. Beim Bully ruht der Ball, der von den Schaufeln nicht berührt werden darf, ehe der Schiedsrichter das Kommando gibt, dass es losgeht. Der Stock muss den Boden berühren, der Ball liegt mittig auf Höhe der Blätter. Die Spieler stehen mit dem Rücken zur eigenen Torlinie. Mindestens zwei Meter sind die Mitspieler vom Ball entfernt.

Genug der Theorie, Zeit für die Praxis. Ich verliere das Bully, bin gedanklich viel zu ­langsam. „Geht ja gut los", denke ich mir. Zeit, um dem verlorenen Bully nachzutrauen, bleibt nicht. Das Spiel empfinde ich von Beginn an als schnell. Ob zur Seite oder nach vorne: Der Ball ist ständig in Bewegung, wird oft gepasst. Ich spiele rechts im Angriff, versuche das gegnerische Aufbauspiel zu unterbinden. Sobald ich am Verteidiger dran bin, ist der Ball auch schon wieder weg. Dennoch: Ich zeige Präsenz und komme gut ins Spiel. Meine Teamkameraden versuchen mich immer wieder in Szene zu setzen - mit Erfolg. Bereits nach zwei Minuten spielt mir mein Mitspieler den Ball perfekt in den Schläger. Das Tor ist nur etwa drei Meter entfernt. „Jetzt kann hier etwas Historisches passieren. Ich könnte treffen", träume ich kurz vor mich hin. Ich hole mit der Vorhand aus und schieße aus halbrechter Position auf den Kasten. Historisch war der Schuss allerdings nicht, eher zum Schmunzeln und ein Geschenk für den Torwart. Der Schuss ist viel zu lasch, verhungert auf dem kurzen Weg. Locker fängt der Keeper den Ball mit seiner rechten Hand. Mir macht die Szene dennoch Mut. Wenigstens ein Torschuss. Und weitere sollen folgen. Zwei Minuten später schieße ich wieder auf den Kasten - zu überhastet. Vorbei. Und wieder ohne Tempo.

Schnell merke ich, dass meine Kräfte endgültig schwinden. Die stickige, aufgestaute Luft in der Halle, die einer Sauna gleicht, gibt mir den Rest. Ich bin stehend K.O. Schwerfällig schleppe ich mich über das Feld. Zweikämpfe meide ich mittlerweile. Bloß nicht zu viel bewegen, Kräfte sparen. Ich blicke nun öfter auf die Uhr an der Hallenwand als auf das gegnerische Tor. Dann die Erlösung. „Marlo, wenn du nicht mehr kannst, kannst du auch kurz ausgewechselt werden", ruft Sina Cordsen von außen. Wie ausgewechselt sprinte ich zur Seitenlinie. Verschnaufpause. Ich schnappe mir mein Handtuch, wische mir den Schweiß aus dem Gesicht und ringe nach Luft. Von außen sehe ich zu, wie mein Team sich Torchance nach Torchance erspielt. Nach ein paar Minuten wechselt mich Cordsen wieder ein. Ich komme zwar noch einmal zu einer Torgelegenheit, ein Treffer aber bleibt mir verwehrt. Trinkpause.

Cordsen kommt auf mich zu und fragt, ob ich nicht noch einmal ins Tor möchte. Andere Perspektive aufs Spielfeld, andere Position: Ich akzeptiere ihr Angebot. Es dauert nicht lange, bis Torwart Louis Schaidl vor mir steht, dessen nassgeschwitzte Torhüterausrüstung ich überstreifen soll. „Sorry", sagt er und grinst. Im Floorball sticht der Torhüter von den übrigen Spielern deutlich heraus. Wie im Eishockey hat er einen vergitterten Helm. Dazu trägt er eine Weste und Ellenbogen- und Knieschoner am Körper. Der Schutz ist notwendig, da Schüsse mit bis zu 200 km/h auf ihn zukommen. Im Gegensatz zum Eishockey hat der Keeper keinen Stock. Er rutscht vor dem Tor mit den Knien und wehrt mit den Händen den Ball ab.

Die Torhüterklamotten habe ich mir übergestreift, ab ins Tor, ab auf die Knie. Das Trainingsspiel geht weiter. Nach drei Minuten muss ich das erste Mal den Ball aus dem Tor holen. Den strammen Schuss aus halblinker Position kann ich nicht parieren. Dafür glänze ich zwei Minuten später. Wieder kommt das gegnerische Team zum Abschluss, aus kurzer Distanz. Meine linke Pranke ist aber im Weg, ein Riesen-Reflex verhindert den nächsten Gegentreffer. Meine Mitspieler applaudieren. „Stark" ruft mir der Verteidiger zu. Ich balle die Faust. Diese Szene habe ich gebraucht. Nun bin ich wirklich im Spiel und habe Lust auf die restlichen Spielminuten. Lust auf weitere Paraden, die ich auch zeige. Nach dem Trainingsspiel kommen einzelne Spieler auf mich zu, klatschen mit mir ab. Sie geizen nicht mit Lob. „Du kannst direkt bei den 2. Herren anfangen. Goalies braucht man immer", sagt Torhüter Louis Schaidl. „Das mit der Kondition regeln wir noch." Auch Cordsen ist zufrieden. „Das hast du wirklich gut gemacht", sagt sie.

Ich habe es eilig, denn ich will nur eins: mich der nassgeschwitzten Torhüterausrüstung entledigen. Und zwar schnell. Anschließend plumpse ich auf die Bank. Völlig gezeichnet sitze ich an der Seitenlinie, während es für die Anderen auf dem Feld weitergeht. Eine Stunde Stabilisationsübungen stehen auf dem Programm. Ich gebe Cordsen ein Handzeichen, dass es für mich an diesem Abend nicht weitergeht. Die Trainingseinheit bei den Floorballern vom TV Eiche Horn hat mir verdeutlicht, dass ich an den Schreibtisch gehöre, dort über Sport berichte statt ihn professionell selbst zu betreiben. Bestimmt hat mein Chef schon die nächste Idee, bei welcher Sportart er mich leiden sehen möchte.

Original