2 subscriptions and 6 subscribers
Article

Pilze gegen Depressionen: Ernüchterung in der Rauschforschung

© Julia Praschma/​Wildfoxrunning

Wirken psychedelische Drogen wie Psilocybin gegen Depression? Ja, aber nicht bei jedem, findet die bisher größte Studie. Warum vorerst keine Wunderheilung in Sicht ist.


Seit geraumer Zeit wird Psilocybin als eine Art Wundermittel gehypt. Der psychoaktive Wirkstoff findet sich in zahlreichen , Magic Mushrooms genannt. Er wirkt in hohen Dosen halluzinogen, soll aber auch bei Depressionen, Sucht- und Angsterkrankungen, Zwangs- und Essstörungen helfen. Immer dann also, wenn Menschen innerlich festgefahren sind und nicht mehr aus einer endlosen Schleife negativer Gedanken ausbrechen können. Es heißt, mit der disruptiven Erfahrung nur eines Trips könnten Patienten diese einengenden Muster durchbrechen.

Das Problem an diesem Hype: Bislang basierten Erfolgsmeldungen ausschließlich auf Studien mit sehr kleinen Probandenzahlen. Nun wurden erstmals die Ergebnisse einer belastbaren Studie veröffentlicht (New England Journal of Medicine: Goodwin et al., 2022). Diese hatte mit 233 Probanden, die unter therapieresistenten Depressionen leiden*, eine akzeptable Größe. Außerdem war sie doppelt verblindet - die Patienten wussten also nicht, wie viel Wirkstoff sie einnahmen, genauso wenig wie die behandelnden Ärzte.

22 Zentren in zehn europäischen Ländern und in Nordamerika beteiligten sich an der Studie - auch derartige internationale Ansätze machen Ergebnisse robuster. Wissenschaftlerinnen haben dabei die Sicherheit und Wirksamkeit einer einmaligen Gabe von Psilocybin in verschiedenen Dosierungen von einem, zehn und 25 Milligramm untersucht. Auch der Campus Benjamin Franklin der Berliner machte mit.

Die Ergebnisse aber fielen insgesamt ernüchternd aus.

So führte zwar die hohe Dosis Psilocybin nach drei Wochen kurzfristig zu signifikant weniger depressiven Symptomen, davon berichteten 29 Prozent der Behandelten. Die niedrigere 10-Milligramm-Dosis wirkte aber nur bei neun Prozent - also im Prinzip überhaupt nicht, weil auch in der Gruppe derer, die nur ein Milligramm bekamen, acht Prozent von einer Besserung berichteten. Das dürfte aber lediglich ein Placebo-Effekt gewesen sein, weil diese niedrige Dosis nicht wirksam sein kann.

Ich will ja nicht wissen, ob die psychedelische Therapie für Peter, Susanne oder Markus funktioniert. Ich will wissen, ob Psilocybin bei Depressionen wirkt. Und das finde ich mit derart kleinen Stichproben nicht heraus. Eiko Fried, Professor für Klinische Psychologie

Moderate Nebenwirkungen traten bei 77 Prozent der Teilnehmenden nur am Tag der Verabreichung auf, darunter Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Suizidgedanken, suizidales Verhalten oder Selbstverletzungen wurden in allen Dosisgruppen gleichermaßen festgestellt, was Experten angesichts der Schwere der Erkrankung als erwartbar einstuften. Das Psilocybin war also nicht die Ursache, führte aber auch zu keiner Besserung. In einem parallel erschienenen Editorial hoben die Autoren zwar die Wirkung der hohen Dosis positiv hervor. Allerdings habe ihre Untersuchung die deutlich besseren Ergebnisse aus vorangegangenen, kleineren Studien nicht bestätigen können.

In Auftrag gegeben hatte die Studie das börsennotierte Biotech-Unternehmen Compass Pathways mit Sitz in Großbritannien, das Psilocybin als Medikament gegen Depressionen zur Marktreife führen will. In den USA steht das Unternehmen unter anderem wegen seiner aggressiven Patentpolitik in der Kritik.

Im Anschluss an die Studie plant Compass Pathways eine für die Arzneimittelzulassung erforderliche Phase-III-Studie mit Psilocybin - trotz der eher ernüchternden Ergebnisse. Von diesen zeigen sich führende Wissenschaftlerinnen aus dem Bereich der Psychedelikaforschung wenig überrascht. Bereits in der Vergangenheit hatten Forschende allzu euphorische Aussagen über die Wirkung von Psilocybin gegen Depressionen kritisiert, weil Studien oft nicht mehr als ein paar Dutzend Teilnehmende hatten. Verallgemeinernde Schlussfolgerungen seien da unseriös, sagt beispielsweise Eiko Fried, Professor am Institut für Klinische Psychologie der Universität Leiden in den Niederlanden. "Ich will ja nicht wissen, ob die psychedelische Therapie für Peter, Susanne oder Markus funktioniert. Ich will wissen, ob Psilocybin bei Depressionen wirkt. Und das finde ich mit derart kleinen Stichproben nicht heraus."

Es gibt Patienten, die durch die Behandlung von ihrer Depression befreit werden, aber viele profitieren auch gar nicht. Gerhard Gründer, Zentralinstitut für seelische Gesundheit

Die Frage, ob Psilocybin gegen Depressionen helfen kann, ist damit freilich noch nicht beantwortet. "Fachleute weisen darauf hin, dass bei vielen Patienten zwei oder mehr Behandlungssitzungen einer psychedelisch unterstützten Therapie erforderlich sein könnten, um eine stärkere und anhaltende Reaktion zu erzielen", sagt Matthias Liechti, stellvertretender Chefarzt am Universitätsspital Basel gegenüber dem Science Media Center. Bei der Studie von Compass Pathways wurde aber lediglich die einmalige Gabe der Substanz untersucht. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim testet deshalb gemeinsam mit der Charité in Berlin in einer Studie nicht nur unterschiedliche Dosen, sondern auch die doppelte Gabe des Wirkstoffs. Gefördert wird die Studie vom Bundesforschungsministerium. Insgesamt listet die US-Datenbank clinicaltrials.gov weltweit 42 klinische Studien zu Psilocybin auf, was zeigt, dass dem Wirkstoff durchaus Potenzial beigemessen wird.

Der Forschungsbedarf scheint insgesamt noch groß zu sein. Katrin Preller leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Universität Zürich und sagt, die aktuelle Studie habe durchaus gezeigt, dass eine Psilocybin-gestützte Therapie zu einer schnellen Abnahme der depressiven Symptomatik führen könne. "Dass nicht alle Patienten gleichermaßen profitieren, ist bei psychiatrischen Erkrankungen nicht überraschend", sagt sie. "In der Zukunft muss also besser untersucht werden, wer von der Therapie profitiert und wer nicht."

Auch Gerhard Gründer, der die deutsche Psilocybin-Studie am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim leitet, hält weitere Forschung mit Psilocybin für gerechtfertigt. Die Studienergebnisse deckten sich mit den bisherigen Erfahrungen. "Es gibt Patienten, die durch die Behandlung von ihrer Depression befreit werden, aber viele profitieren auch gar nicht", sagt er. Dazwischen gebe es einen großen Graubereich.

Auch zeige die Studie, dass die antidepressive Wirkung bei vielen Patienten mit der Zeit abnehme, erläutert Gründer. "Viele Patienten brauchen die Möglichkeit, eine zweite Dosis und dann wahrscheinlich auch weitere Dosen zu erhalten, um eine dauerhafte Verbesserung zu erreichen", sagt er. Das aber werde sich nur dann sinnvoll umsetzen lassen, wenn die Therapie in eine systematische psychotherapeutische Begleitung eingebettet wird.

Weiterhin unbeantwortet bleibt außerdem die Frage, welche Rolle andere Wirkstoffe in psilocybinhaltigen Pilzen möglicherweise bei Triperfahrungen spielen. Darauf weist der pharmazeutische Mikrobiologe Felix Blei hin, der an der Uni Jena zu psychoaktiven Substanzen forscht. Blei hat 2017 nachgewiesen, wie das Psilocybin in den Pilzen entsteht. Aktuell wird in klinischen Studien in der Regel nur die Wirkung des synthetisch hergestellten Wirkstoffs Psilocybin untersucht. Jedoch könnten sogenannte Entourageeffekte, also das Zusammenspiel verschiedener Substanzen, bei der Wirkung von psychoaktiven Pilzen relevant sein.

*In einer ersten Version des Textes stand hier "schwerste Depressionen", was nicht korrekt ist. Die Studie untersuchte Menschen mit therapieressistenten Depressionen, die also auf mindestens zwei Therapien nicht oder kaum ansprachen. Wir haben die Stelle angepasst.

Original