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Pop in Afghanistan: Kabul lernt rocken

Ein Usbeke, ein Tadschike und ein Paschtune spielen für den Wiederaufbau: Kabul Dreams ist Afghanistans erste Indierockband. Marian Brehmer hat sie besucht.

Ein Usbeke, ein Tadschike und ein Paschtune spielen für den Wiederaufbau: Kabul Dreams ist Afghanistans erste Indierockband. Marian Brehmer hat sie besucht.

"Manchmal scheint es, als wäre alles geplant gewesen", sagt Suleiman Kardesh. Er grinst seinen Bandkollegen Siddique Ahmad an. Es passte einfach alles perfekt, als sich ausgerechnet diese beiden Jungs mit Mujtaba Habibi zusammentaten: Die erste Indierockband Afghanistans besteht aus einem Usbeken, einem Tadschiken und einem Paschtunen.

Suleiman sitzt vor dem Computer. Auf seinem T-Shirt steht das persische Wort für Frieden. Tagsüber arbeitet er in der Zentrale von Kabul Rock Radio, einem der zahlreichen Musiksender, die in den vergangenen Jahren in der Hauptstadt entstanden sind. Das Büro liegt in einer der staubigen Straßen von Kart-e-Seh, einem Viertel im Süden Kabuls. Dort gleicht eine Straße der anderen, es gibt kaum Schilder, die den Weg weisen. Wie alle Medien in der Stadt ist auch Kabul Rock Radio hinter hohen Mauern und einer schweren Eisentür versteckt.

Hier erzählt Suleiman, der Sänger, die Gründungsgeschichte seiner Band. Seit Kabul Dreams vor gut drei Jahren anfing, ist das Medieninteresse stetig gestiegen. Suleiman wuchs während der Bürgerkriegsjahre im benachbarten Usbekistan auf. Als ethnischer Usbeke, Angehöriger einer der vier Volksgruppen Afghanistans, sprach er bereits die Sprache des Nachbarlands. Er besuchte dort die Musikschule und lernte Gitarre. In Usbekistan, das damals viele Moden aus Russland übernahm, waren Rockbands ganz normal.

Auch dem Bassisten Siddique, gebürtiger Paschtune, ermöglichte das Exil ein Leben, das im Afghanistan der neunziger Jahre unmöglich gewesen wäre. Als Kabul zum Schlachtfeld der Warlords verkam, floh seine Familie nach Pakistan . In Islamabad schloss er sich der entstehenden Rockszene an und gab mit pakistanischen Freunden erste Konzerte. Mujtaba, ein Tadschike, kam im Iran mit dem Schlagzeug in Berührung. Bei seiner Rückkehr nach dem Fall der Taliban freundete er sich in Kabul mit Siddique an. Die beiden spielten Pop und nahmen Werbemusik auf.

Dann kam Suleiman hinzu, er brannte für Rockmusik, steckte die beiden anderen an, der Stil der neuen Band war gefunden. "Keine andere Musik hat so viel Energie wie Rockmusik", sagt Suleiman. Und was sind das für Hoffnungen, von dem ihr Name kündet? "Kabul ist der Ort, der uns zusammenführte. Hier trafen unsere Träume aufeinander", sagt er. "Daher Kabul Dreams."

Ihre Musik erfindet den Indierock nicht neu. Der Einfluss schwedischer und britischer Bands ist unverkennbar. Wahrscheinlich würden Suleimans Gitarrenriffs und seine Teenierock-Stimme in Europa wenig Aufsehen erregen. Aber für Afghanistan sind die Jungs eine Erfrischung, die Pessimismus und Zukunftssorgen ein paar Momente lang übertönen kann.

Siddique erinnert sich gut an ihre erste gemeinsame Reise. Kabul Dreams waren erst wenige Monate alt. Man hatte sie auf das South Asian Band Festival nach Delhi eingeladen. Eine Rockband aus Afghanistan - das war etwas Neues. Am Kabuler Flughafen prüfte ein Soldat die Pässe der Musiker. Er war erstaunt: ein Usbeke, ein Paschtune und ein Tadschike zusammen im Flugzeug! "Er wollte wissen, wie wir zueinander gefunden haben. Erst da wurde mir bewusst, dass wir ganz unterschiedliche Hintergründe haben", sagt Siddique und lacht.

Der Gig in Delhi gab der jungen Band Auftrieb. Zurück in Afghanistan allerdings erfuhren die Musiker, was es bedeutet, Pioniere zu sein. "Bei unserem ersten Konzert in Kabul erwarteten die Zuhörer klassische Musik", sagt Siddique. Oder Pop, der seit nunmehr zehn Jahren aus jedem Kabuler Taxi sprudelt. Aber keiner kannte Rock.

Dem Publikum schienen die neuen Töne zu gefallen. Kabul Dreams traten bald in Universitäten auf, in Restaurants und im französischen Kulturzentrum. Sicherheit blieb dabei eine ständige Sorge. Ein geplantes Konzert während der Präsidentschaftswahl musste wegen akuter Anschlagsgefahr abgesagt werden. Suleiman glaubt, dass seine Band schon längst auf der Liste von Extremisten steht. Alles was neu ist und aus dem Westen kommt, ist eine Gefahr für den Machtanspruch der Radikalen.

"So lange wir hier Musik machen können, werden wir Afghanistan nicht verlassen", sagt Siddique. Die ständige Beschäftigung mit Politik ließe den Verstand nicht zur Ruhe kommen. "Musik war schon immer eine Medizin, die jeden positiv stimmt." Afghanistan brauche nicht nur den Wiederaufbau von Infrastruktur, sondern auch einen psychologischen Wiederaufbau . Die Band möchte ihren Teil dazu beitragen. Das Leuchten in den Augen der Konzertbesucher sei schon Beweis genug.

Allerdings erreichen Kabul Dreams mit ihren Konzerten nur jene Afghanen, die privilegiert genug sind, die zumeist abgeschirmten Veranstaltungsorte zu besuchen. Mit dieser Exklusivität wollte die Band an einem Sommertag im vergangenen Jahr brechen. Sie packte Verstärker und Instrumente ein und gab im Viertel Shar-e-Now ein spontanes Straßenkonzert. Einfach so. Aufgeregt wie zwei Lausbuben zeigen Suleiman und Siddique die Fotos von jenem Nachmittag. Da stehen Männer im schmutzigen Shalwar Kameez, dem typischen Hosenkleid des einfachen Mannes, und hören zu. Kinder staunen über die Gitarren. Taxifahrer kurbeln die Fenster herunter.

Nun hoffen Kabul Dreams, den Sprung auf internationale Bühnen zu schaffen. Dabei hilft ihnen die deutsche Crowdsourcing-Plattform Sellaband . Wer die Band finanziell unterstützt, bekommt im Gegenzug Musik oder ein afghanisches Abendessen mit den Jungs. Wenn es mit dem Geld und den Visa klappt, wollen Suleiman, Siddique und Mujtaba im Sommer in Berlin ihr erstes professionelles Album einspielen. Eine Tournee durch Deutschland ist auch geplant.

In Deutschland leben aber wollen sie nicht. Suleiman hat zwar schon viel von Berlin und seinen Clubs gehört. Seine Zukunft aber liege zu Hause: "Als ich außerhalb von Afghanistan lebte, hatte ich immer das Gefühl, eines Tages zurückzukehren. Und das ist endlich passiert."


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