Dieser Text entsteht in einem Café in Frankfurt, in dem die Stühle unterschiedliche Bezüge haben und dessen Tische mit groben Holzbalken belegt sind, auf denen die Kaffeetasse manchmal bedenklich wackelt. Um in einem derart gestylten Café zu sitzen, muss man nicht unbedingt nach Frankfurt reisen, man findet ähnliche Lokale derzeit in jeder Großstadt. Gebrauchte Möbel und viel altes Holz stehen für Tradition und Umweltbewusstsein. Wer sich für den Trend begeistert, muss sich auch nicht zwingend durch Flohmärkte wühlen und in verstaubten Sesseln Probe sitzen. Immer mehr Design-Läden von Rotterdam bis Berlin haben das „Upcycling" entdeckt.
Der Begriff steht für die Wiederverwendung von gebrauchten Materialien für neuwertige Produkte und ist natürlich nicht so neu, wie die hippen Cafés uns glauben machen wollen. Einer, der das „Upcycling" schon lange praktizierte, bevor es ein Trend wurde, ist Adam Hills. Er hat auf der Idee sein Unternehmen Retrouvius in London begründet. Dass man mit Phantasie und altem Holz mehr machen kann als Café-Tische, zeigt bereits die Eingangstür: einem Mosaik gleich sind Holzrahmen alter Fenster aneinandergefügt und mit geripptem Glas durchsetzt. Fast wäre man daran vorbeigelaufen, denn im Westlondoner Stadtteil Kensal Green ist es nicht der einzige Design-Shop, und die anderen haben meist große Schaufenster, in denen sie mit besonders ausgefallenen Stücken auf sich aufmerksam machen. Retrouvius braucht das nicht, die Kunden kommen trotzdem.
Adam Hills begrüßt den Gast an der Tür und lässt die Finger über das warme Holz gleiten. Er kennt jedes Stück in seinem Laden, denn er hat sie alle persönlich gefunden - zum Teil an den unmöglichsten Orten, wie er später erzählen wird. Er ist Mitte vierzig, trägt T-Shirt und hat eine Leidenschaft für schöne Materialien. Immer wieder während des Besuchs befühlt er Holzplatten, Stoffe und klopft auf Stuhllehnen. Besonders liebt er Hochwertiges wie Teakholz, Mahagoni und Marmor; das war schon immer so, auch als Student.
„Ich habe 1988 in Glasgow Architektur studiert und dort meine Frau Maria kennengelernt. Für unsere erste Wohnung konnten wir uns kaum Möbel leisten, also begannen wir in Gebäuden, die abgerissen werden sollten, nach guten Materialien zu suchen", erinnert sich Hills. Glasgow blickt auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurück, als Hafenstadt war es bis um 1900 eine der reichsten Metropolen des Britischen Königreichs. Besonders wertvolle Materialien aus den britischen Kolonien landeten hier an, darunter Pechkiefer aus Kanada sowie Harthölzer oder Marmor. Wohlhabende Händler ließen sie in ihren Häusern verarbeiten und finanzierten darüber hinaus Prachtbauten in der ganzen Stadt, eine Teppichfabrik ließ ein Industrieller sogar dem Dogenpalast in Venedig nachempfinden.
Mit dem Niedergang der Schwerindustrie in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts standen viele Häuser leer und sollten abgerissen werden. Eine Fundgrube für Hills. Er fertigte zunächst Möbel für die eigene Wohnung, dann kamen seine Studienfreunde und fragten, ob er auch für sie eine neue Küche oder einen Esstisch machen könnte. „Wir fanden schnell heraus, dass bei diesen Räumungen in alten Gebäuden in Glasgow viel mehr Material vorhanden war, als wir verarbeiten konnten. Wir waren zwar nicht die Ersten, die diese Idee hatten, aber wir waren die Ersten, die sie in dieser Gegend in Schottland umsetzten." Gemeinsam mit seiner Frau Maria startete er Designprojekte aus gebrauchten Materialien. Was er hier lernte, nahm er wenige Jahre später nach London mit, wo das Paar 1993 Retrouvius gründete.
„Als wir anfingen, kauften die Leute nur sehr wertvolle alte Dinge. Da musste es schon der Marmorkamin für ein paar tausend Pfund sein", sagt Hills. Er sitzt in der Küche seines Geschäfts, auch hier hat er alles selbst gefertigt, von der Küchenzeile mit großem Emaille-Spülbecken bis zu den Lampenschirmen aus umgestalteten alten Reagenzgläsern. Hinter ihm hängen Schaukästen mit aufgespießten Schmetterlingen an der Wand, aus dem Nachlass eines Sammlers. „Ich kaufe meistens nach meinem Bauchgefühl", sagt er. Und darauf muss er sich verlassen können, denn bei Gebäuderenovierungen oder Abrissprojekten wisse er vorher nie, was er finden werde.
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