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Weg mit dem Autogipfel – her mit einem echten Mobilitätsgipfel!

Warum Rad und Bahn künftig genauso viel Geld bekommen müssen wie die Automobilindustrie (Kommentar)

Eigentlich hatte sich meine Nichte in diesem Jahr ein neues Fahrrad zum Geburtstag gewünscht. Doch im September waren viele Fahrradläden wie leer gefegt, frühestens im Januar soll die neue Lieferung kommen – in ganz Deutschland erlebt das Fahrrad einen regelrechten Boom. Durch Corona kam Bewegung in die Debatte um eine andere Form der Mobilität in den Städten. Plötzlich waren Dinge möglich, die vorher undenkbar schienen.


In kürzester Zeit tauchten Pop-up-Radwege in Berlin, München und Stuttgart auf (und teilweise auch wieder ab). Eine Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach ergab, dass 32% der Bevölkerung mehr Rad fahren und 36% mehr zu Fuß unterwegs sind als 2019. Auch nach der Pandemie möchten viele dabeibleiben.

Kommt die Verkehrswende jetzt richtig ins Rollen? Die Verkehrswende, von der wir in Deutschland seit Jahren sprechen? Der Bedarf und der Wille der vielen, die jetzt Rad fahren, ist auf jeden Fall da.


Auch wenn es die leuchtend gelben Begrenzungsstreifen der improvisierten Radwege auf unseren Straßen hoffen lassen: In der Politik ist die Antwort auf die Frage wohl ein unausgesprochenes Nein. Auf Bundesebene scheinen die Schritte zu einer wirklich nachhaltigen Mobilität so unmöglich wie eh und je.


Anders kann ich es mir nicht erklären, wieso auf dem Autogipfel vor 2 Wochen erneut rund 3 Milliarden Euro in die Autobranche geflossen sind – jeweils 1/3 dieses Hilfspakets für die Verlängerung der E-Autoprämie bis 2025, für die Lkw-Industrie und für den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland.


Jetzt könnte ein Einwand lauten: Es ist doch gut, die Elektromobilität voranzutreiben! Schließlich ist sie ein zentraler Baustein der Verkehrswende. Und an der Autoindustrie hängen mehr als 800.000 Arbeitsplätze, die wir erhalten müssen.


Allerdings gibt es mindestens 3 Gründe, die gegen künftige Autogipfel und dort beschlossene Finanzspritzen sprechen:


  • Mehr Autos lösen unsere Probleme nicht: Für einen wirklich grünen Verkehrssektor und lebenswerte Städte dürfen wir nicht jeden Verbrenner durch ein Elektroauto ersetzen. Wir brauchen insgesamt weniger Autos – dafür einen besseren ÖPNV, mehr Radschnellwege und mehr Carsharingangebote. 
  • Das Hilfspaket verfehlt sein Ziel: Das Geld der Autogipfel soll hauptsächlich den Autostandort Deutschland und die zugehörigen Firmen stärken. Dieses Argument geht allerdings für den aktuellen Fall nicht auf: Bisher wird der Großteil der Batterien, die das teuerste Bauteil eines Elektroautos darstellen, in China produziert.
  • Der Fokus ist zu einseitig: Seit den 60er-Jahren sorgte das Konzept der »autogerechten Stadt« dafür, dass alles dem motorisierten Individualverkehr untergeordnet wurde. Doch längst ist klar, dass für die Verkehrswende konsequent Geld in die Infrastruktur für den ÖPNV und den Radverkehr fließen müsste – statt weiterhin größtenteils in den Autosektor, dessen Zeit bald abgelaufen ist.
Was ich mir statt der Geldgeschenke an die Autoindustrie wünsche? Einen Fahrradgipfel? Nein – ich wünsche mir einen echten Mobilitätsgipfel, der Verkehr und verschiedene Mobilitätskonzepte vernetzt denkt und große Summen in die Infrastruktur für Rad, Bus und Bahn investiert. Gern ab sofort.

Ironischerweise hieß der Autogipfel am 17. November offiziell gar nicht »Autogipfel«, sondern »Spitzengespräch der Konzertierten Aktion Mobilität«. Inhaltlich ist »Autogipfel« aber tatsächlich der treffendere Name. Die Konzertierte Aktion wurde 2019 beschlossen, seither haben sich Vertreter:innen der Regierung und der Bundesländer 4-mal mit Vertreter:innen der Autoindustrie, der Zulieferer und der IG Metall getroffen.


In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag, ob sie bei diesen Gesprächen auch Strategien entwickeln, die im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen stehen, heißt es:


»Nein. Die Vorbereitung der zur Erreichung der Klimaziele notwendigen Maßnahmen ist Aufgabe des Kabinettausschusses Klimaschutz. […] Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität soll Handlungsempfehlungen zu bezahlbarer, nachhaltiger und klimafreundlicher Mobilität sowie zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit entwickeln. Bei den geplanten Gesprächen mit Vertretern der Automobilindustrie und weiteren Experten geht es um einen Austausch zur Stärkung des Produktions- und Innovationsstandortes Deutschland.« – Antwort der Bundesregierung aus dem Juni 2019 auf die Kleine Anfrage der Grünen

Zur Einordnung: Die im Zitat erwähnte Nationale Plattform Zukunft Mobilität ist aus dem Koalitionsvertrag 2018 hervorgegangen. 6 Arbeitsgruppen mit verschiedenen Schwerpunkten erarbeiten Handlungsempfehlungen, Positionspapiere und Diskussionsgrundlagen, die auch die anderen Verkehrssektoren berücksichtigen sollen. Immerhin: In diesen Arbeitsgruppen sitzen tatsächlich Vertreter:innen von Umweltschutzverbänden, der Bahn und dem Fahrradclub mit der Autobranche an einem Tisch. Theoretische Empfehlungen stehen aber nicht auf der gleichen Stufe wie ein Autogipfel und daraus resultierende schnelle Finanzhilfen.


Mit meinem Wunsch nach einem echten Mobilitätsgipfel bin ich übrigens nicht allein. Bereits im September dieses Jahres hat der gemeinnützige Verein Lobbycontrol mit 7 anderen NGOs in einem offenen Brief an die Bundesregierung gefordert:


»Wenn es um die Mobilität der Zukunft und die Frage der dazu nötigen finanziellen Hilfen geht, sind einseitige Klüngelrunden mit der Autolobby das grundlegend falsche Format. […] Statt einseitiger Absprachen brauchen wir einen echten Wendepunkt hin zu ausgewogenen, offenen und transparenten Beratungen über weitreichende politische Entscheidungen.« – Aus dem Offenen Brief von Lobbycontrol an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier


Bis dieser Wunsch in Erfüllung geht, bleibt uns nichts anderes übrig, als von unten etwas in Gang zu setzen – beispielsweise neue, dauerhafte Fahrradwege in unseren Städten und Gemeinden fordern oder durch Bürgerbeteiligungen aktiv an der Stadtplanung mitwirken.

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