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Schlag gegen die 'Ndrangheta: Rauschgift im Pferdetransporter

Von Margherita Bettoni, Jörg Diehl und Andreas Ulrich 


Am Anfang ist ein Feuer, eine italienische Pizzeria brennt in Holland, direkt hinter der deutsch-niederländischen Grenze. Ziemlich schnell ist den Ermittlern klar, dass sie es mit Brandstiftung zu tun haben, doch es gibt noch mehr Ungereimtheiten in dem Fall. Der Betreiber des Lokals hat Kontakte zur kalabrischen Mafia, der 'Ndrangheta, und er ist auch bestens nach Nordrhein-Westfalen vernetzt.


In einem überwachten Telefonat eines mutmaßlichen Mafioso hören die Fahnder Verdächtiges: "Hast du gesehen, was er mit dem Restaurant in Holland gemacht hat?", fragt Dominico P. seinen Gesprächspartner, um sich die Antwort gleich selbst zu geben. "Er eröffnet das Restaurant, 60.000 Euro. Er nimmt das. Er zahlt, überzahlt, zahlt nochmals, er versichert es gegen Diebstahl und Brand. Wie geht es weiter? Es brennt. Feuer, ein bisschen Rauch. 300.000 Euro an Schaden. Er richtet es, verkauft es an einen Deutschen für 280.000 Euro." Wenig später habe er es dann von dem Käufer zurückerhalten.


Was das Ganze soll? Die Ermittler mutmaßen, dass auch auf diese Weise Drogengelder in den Wirtschaftskreislauf eingeschleust und damit legalisiert werden - Geldwäsche nennen sie das. Die holländischen Beamten leiten ein Verfahren ein, damals im Jahr 2014.


Vier Jahre und Zehntausende Arbeitsstunden später schlagen an diesem Dienstagmorgen Ermittler in den Niederlanden, Italien, Belgien und Deutschland zu. Es ist die größte Aktion gegen die 'Ndrangheta, die es in Europa jemals gegeben hat. Koordiniert wird die Operation "Pollino" von den europäischen Strafverfolgungsbehörden Eurojust und Europol. Europaweit werden 84 Verdächtige festgesetzt und mehrere Millionen Euro beschlagnahmt.


Alleine in Deutschland sind Hunderte Polizisten im Einsatz, darunter Spezialkräfte der Antiterroreinheit GSG 9. Die Verfahren des Bundeskriminalamts (BKA), des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts, der Polizei Köln sowie der Staatsanwaltschaften Duisburg, Köln und Aachen richten gegen 47 Beschuldigte, die zum Teil schon seit Jahrzehnten Restaurants und andere Firmen in Deutschland betreiben. 14 Personen werden verhaftet, unter anderem wegen des Verdachts auf Kokainhandel und Geldwäsche.


Manipulierte Pferdetransporter


Die Beamten durchsuchen unter anderem eine Eisdiele im niederrheinischen Viersen, ein Café im Zentrum von Duisburg sowie eine Pizzeria in Pulheim bei Köln. Letztere pries lange Zeit im Internet ihre Kochkünste an: "Meine Familie und ich lieben die italienische Küche. Wir kochen für unsere Gäste, wie wir auch zu Hause kochen. Frische und hochwertige Zutaten sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Nur so können wir den Geschmack Italiens servieren."


Doch die Ermittler der Kölner Sonderkommission "Fallabella" halten den Wirt Mario A. nicht nur für einen Lieferanten des italienischen Geschmacks, sondern auch für den Rädelsführer fortgesetzter Kokain-Transporte von Holland nach England. Fast zwei Tonnen Rauschgift soll seine Gruppierung an Bord manipulierter Pferdetransporter auf die Insel gebracht haben. Dazu kommen wohl noch jede Menge Betrügereien mit Elektronik, Autos und Möbeln, der Schaden soll in Millionenhöhe liegen.


Kerngeschäft der 'Ndrangheta ist jedoch der Handel mit Rauschgift, vor allem mit Kokain. Nach Angaben des BKA konnten die Ermittler im Laufe des Verfahrens fast vier Tonnen beschlagnahmen, die der Organisation zugerechnet werden. Der Transport lief dabei vor allem über die Häfen Antwerpen und Rotterdam und von dort aus weiter in präparierten Autos. Im Originalsound der Beschuldigten klangt das dann mitunter so:

"Mal schauen, hat er mir gesagt", so der mutmaßliche Mafioso Domenico P. in einem abgehörten Telefonat. "Für 29 kaufe ich das alles. Ob es 150 oder 100 sind, hat er gesagt. Wir setzten uns hin, hat er gesagt. Wenn das Ding ankommt, schauen wir uns ( die Qualität - d. Red.) an. Wenn du das Ding hast, gebe ich dir das Geld. Und das geht zackig. Man braucht keine Woche, nicht mal einen Tag Zeit. Man braucht nur fünf Minuten."


Mit den Millionen, die der Drogenhandel einbrachte, sollen die Verdächtigen Immobilien in Deutschland gekauft und Gastronomiebetriebe eröffnet haben. "Deutschland ist Aktionsraum der 'Ndrangheta", sagt der Leitende Kriminaldirektor des BKA, Christian Hoppe. Der italienische Chef-Ermittler aus Kalabrien, Giovanni Bombardieri, spricht von "riesigen Summen", die die Mafia in Deutschland anlege.


Im Fokus der Razzien steht die 'Ndrangheta, von der Bundesregierung als "bedeutendste Gruppierung" des organisierten Verbrechens in Deutschland eingestuft. Mitte 2017 hatte die Mafia-Organisation hierzulande demnach 333 Mitglieder, verteilt auf 51 Clans. In einem Papier aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium heißt es, Mafiosi nutzten "weltweit bestehende verwandtschaftliche Beziehungen, legale Geschäftsstrukturen sowie die über Jahre aufgebauten Beziehungen zu anderen kriminellen Gruppierungen".


Auch im Fall "Pollino" entdeckten die Ermittler Kontakte zur Camorra sowie zu albanischen und türkischen Banden. Letztere gelten als Spezialisten für den Umbau von Autos, die zum Drogenschmuggel eingesetzt werden sollen.


Die nun festgenommenen Verdächtigen gehören unter anderem dem Pelle-Vottari- und dem Pelle-Romeo-Clan an. Letzterer gehört zu den mächtigsten Mafiafamilien der 'Ndrangheta und stammt aus San Luca, einem Ort mit rund 5000 Einwohnern am Rand des Aspromonte-Gebirges in Kalabrien. Die Region an der Spitze des italienischen Stiefels ist eine der ärmsten Italiens.


Rund 40 verschiedene Familienclans gibt es laut Ermittlungsbehörden in dem Dorf, die sich in zwei Gruppen teilen und untereinander verfeindet sind: Strangio-Nirta und Pelle-Romeo. Ihr Konkurrenzkampf forderte viele Todesopfer.


Erst nach den Morden von Duisburg 2007, als sechs Angehörige des Romeo-Clans beim Verlassen des Lokals "Da Bruno" getötet wurden, erreichten die Bosse im nahe gelegenen Kloster von Polsi einen Frieden, zumindest einen Waffenstillstand. Die Mörder sitzen, dank deutscher Ermittler, in Haft. Die Ermittlungen schadeten dem Geschäft.


Hinweise auf kriminelle Geschäfte der Clans aus San Luca in Deutschland finden sich in BKA-Analysen genug: Falschgeld, Waffen- und Drogenhandel, Betrug, zudem enge Kontakte zu Verdächtigen in den Niederlanden und Belgien bis hin zu Drogenhändlern in Kolumbien. Im Kampf gegen die Mafia werde man "nur Erfolg haben, wenn wir uns vernetzen", sagt der Leitende Oberstaatsanwalt aus Duisburg, Horst Bien. "Sonst kratzen wir nur an der Oberfläche."


Wie sehr die Operation "Pollino" der 'Ndrangheta geschadet habe, wird der italienische Anti-Mafia-Ermittler Federico Cafiero De Raho bei einer Pressekonferenz in Den Haag gefragt. De Rahos Antwort fällt ernüchternd aus: Die Festnahmen seien "nichts" für die Organisation. "Man müsste Tausende festnehmen und Milliarden beschlagnahmen", so der Staatsanwalt. "Wenn wir glauben, wir hätten nun die 'Ndrangheta ausgehoben, täuschen wir uns." Sie habe weiterhin "ungeheure Macht".


Mitarbeit: Sandro Mattioli Original