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Warum der Schokohase bitter schmeckt

Unbezahlbar Foto: Cornelia Wortmann

26. Juli 2018

Gütesiegel für Fairen Handel können nur der Anfang sein – THEMA 08/18 FAIR HANDELN

Wir leben über die Verhältnisse von anderen. Fairtrade-Produkte sollen es richten und suggerieren dem Verbraucher einen fairen Konsum. Doch als Nischenphänomen ist der Nutzen umstritten, faire Handelsbedingungen müssen zum allgemeinen Standard werden. Zwischen 50 und 80 Cent erhalten Kakao­bauern­familien an der Elfenbeinküste täglich für ihre harte Arbeit – weniger, als ein Schokohase bei uns kostet. Und für den Soja-Jahresverbrauch Deutschlands wird in Argentinien eine Fläche der Größe Hessens bewirtschaftet, inklusive Umweltzerstörung und Verdrängung heimischer Rinderzucht. Der Soziologe und Autor Stefan Lessenich formuliert: „Wir leben nicht über unsere Verhältnisse. Sondern über die von anderen.“ Unser Luxus beruht auch auf unter fragwürdigen Bedingungen importierten Rohstoffen und in sogenannte Entwicklungsländer ausgegliederte billige, teils blutige Arbeit.

Der Ruf nach sozialen Standards liegt nahe. Fairtrade-Produkte sind längst im Mainstream angekommen und finden sich in fast jedem Supermarkt. Dutzende Siegel gibt es in Deutschland, die Ähnliches versprechen: soziale und ökologische Produktionsstandards, garantierte Abnahmemengen und einen von der Marktlage unabhängig festgesetzten Mindestpreis. Dies gilt insbesondere für Kaffee, Obst, Kakao und Tee, zunehmend auch für Elektro-, Textil- und Pflegeprodukte.

Das Modell Fairtrade ist folgerichtig – und trotzdem umstritten. Der Verbraucher zahlt für die Siegel einen Aufpreis, verliert jedoch den Überblick über Nutzen und Wirkung. Verbessert Fairer Handel die Lebens-und Arbeitsbedingungen in fernen Ländern oder kommt er eher dem Gewissen der Globalisierungsgewinner und dem Geldbeutel der Anbieter zugute?

Ersteres haben Studien widerlegt. Danach werden positive Effekte durch die Zertifizierungskosten für das Gütesiegel oft vernichtet und verdienen manche Bauern sogar weniger und arbeiten unter schlechteren Bedingungen als in unzertifizierten Betrieben. Weiterer Kritikpunkt: Fairtrade ist  Auslegungssache, trotz Vereinheitlichungsbestreben großer Dachorganisationen wie Fairtrade International. So gibt es Kriterienkataloge, aber keine gesetzlich verbindlichen Standards. Fairer Handel bedeutet mal die Stärkung von Kleinbauern, mal ökologischen Anbau, mal ein Verbot von Kinderarbeit. Und ist es eigentlich fair, wenn das Geld für den Kakaobauer gerade zum Überleben reicht, der Schokohasenhersteller in Deutschland aber großen Profit macht? Was vom Aufpreis beim Bauern ankommt ist für den Verbraucher kaum nachvollziehbar; in Fairtrade-Produkten können zudem bis zu 80 Prozent unfaire Zutaten stecken.

Fairtrade scheint also nur eingeschränkt erfolgreich. Und als Nebenstruktur auf dem freien Markt auch immer Vermarktungsstrategie und Pflaster für die mit schlechtem Gewissen geplagten Konsumenten-Seelen. Trotzdem, die Sensibilisierung von Verbrauchern und Herstellern auf Handelsbedingungen ist ohne Frage eine Errungenschaft der Fairtrade-Bewegung.

Dem Philosophen Richard David Precht zufolge gibt es wirklich fairen Handel erst, wenn wir lernen „die Interessen der ärmeren Länder in der Welt wirklich ernst zu nehmen“. Bislang dominiere der Eigennutz der reichen Länder, eine Politik, die keine Zukunft haben dürfe, „auch nicht im Interesse der Industrieländer selbst, denen ihre eigennützige Politik in Form von Millionen Armuts- und Bürgerkriegsflüchtlingen zurückschlägt“.

Faire Handelsbedingungen können demnach nur durch strukturelle Veränderungen geschaffen werden – etwa der Stärkung der Märkte im globalen Süden sowie allgemeinverbindliche sozial-ökologische Handelsgesetze. Auch die Abnahme von hochwertigen Erzeugnissen kann wirksamer zu höheren Löhnen der Arbeiter vor Ort führen, als die Einhaltung des Mindestlohnes allein. Hier ist zuallererst die Politik gefragt – das wissen auch die Fairtrade-Organisationen. Ist es da nicht scheinheilig, dem Verbraucher durch Wahlmöglichkeit die Verantwortung zuzuschieben? Dieser schaut naturgemäß in seinen eigenen Geldbeutel und hat kaum Überblick über alle Produktionsverhältnisse.

Statt noch mehr Fairtrade-Siegel brauche es auch einen grundlegend anderen Konsum, ist Lessenich überzeugt; Fairtrade-Produkte sind ein erster Schritt. Auf vieles müssten wir in der Masse verzichten, um den Globalisierungsverlierern eine Entwicklung zu ermöglichen: beispielsweise weniger unnötiges Zeug bei Amazon bestellen sowie weniger und hochwertigere Lebensmittel konsumieren. Auch wenn wir das nicht gerne hören – für die Kakaobauern und den Sojaerzeuger wäre dies am Ende die größte Hilfe.
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