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Ratten im Zelt - Übernachtungen unter der Friedensbrücke

Als wir die Stelle das erste Mal aufsuchen, ist es bereits tief in der Nacht. Unter der Friedensbrücke brennt trotzdem Licht. Die ganze Nacht über. Es beleuchtet den dortigen Basketballplatz. Ein kleines Lager ist dort aufgebaut. Es besteht aus Decken, Isomatten, sogar Kinderwägen. Eine Ratte huscht umher, verschwindet immer wieder in einem der kleinen selbstgebauten Zelte oder zwischen den Schlafsäcken. Es ist ein schockierendes Bild, das sich hier wenige Meter entfernt vom gut situierten Neubaugebiet Westhafen bietet. Trotzdem scheinen die Wohnhäuser am Wasser und der Westend Tower wie aus einer anderen Welt. Wer sind die Menschen, die hier ihre Nächte verbringen?


Stadt ist informiert

Eine erste Antwort gibt Christine Heinrichs vom Frankfurter Verein für soziale Heimstätten. Der Verein führt regelmäßig im Auftrag der Stadt nächtliche Sichtungsfahrten durch und hat dabei einen Blick auf Obdachlose. Sie erklärt Merkurist, dass die Gruppe eigenen Angaben zufolge über Spanien aus Rumänien eingereist ist, offenbar handelt es sich um Roma. Nähere Angaben kann sie aus Datenschutzgründen nicht machen, ganz allgemein stellt sie fest, dass häufig Menschen aus Südosteuropa nach Deutschland einreisen, die bereits in ihrer Heimat in Armut leben und „keine verwertbaren beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten" mitbringen. Viele reisen mit „falschen Vorstellungen" bezüglich ihrer Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt ein, auch mit der Verständigung ist es meist schwierig.

„Viele reisen mit „falschen Vorstellungen" bezüglich ihrer Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt ein." - Christine Heinrichs, Frankfurter Verein für soziale Heimstätten

Wenn bei Sichtungsfahrten jemand angetroffen wird, weisen die Mitarbeiter des Frankfurter Vereins auf die Übernachtungseinrichtungen der Stadt hin. Merkurist hat bei mindestens einer Gelegenheit auch Kinder unter der Brücke beobachten können. Hat der Frankfurter Verein auch welche angetroffen? Heinrichs verneint. Kinder habe man bei keiner Gelegenheit als Teil der Gruppe ausmachen können. Sollte dies der Fall sein, werden sie in Obhut genommen, die Familien in einer Notunterkunft untergebracht. Wenn die Stadtpolizei auf Streife ist, spreche sie zusätzlich Platzverweise aus, wie uns Ralph Rohr, Sprecher des Ordnungsamts, mitteilt. Das Lagern auf öffentlichen Erholungsflächen ist in Frankfurt nicht gestattet, außerdem habe es bereits Beschwerden von Anwohnern gegeben.


Vor allem Probleme im Fokus

Beschwerden, Verschmutzung, Armut und fehlende berufliche Kenntnisse - scheinbar sind es vor allem Probleme, welche die Menschen aus Rumänien mitgebracht haben. Eine repräsentative Studie der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2016 zeigt: 58,5 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass Roma zur Kriminalität neigen. Diese Sichtweise spiegelt die einseitige und pauschalisierte Wahrnehmung von Roma wider, welche auch in den Medien immer wieder aufgegriffen wird und bei helfenden Gruppen zu Frustration führt. So war der Förderverein der Roma e. V. zu einem Gespräch mit Merkurist nicht bereit, sondern verweist lediglich auf seine Pressemitteilungen. Der Verein setzt sich seit Jahren für die Unterstützung von Roma in Frankfurt ein.

Schon im Nationalsozialismus wurden Roma als „Zigeuner" verfolgt und fielen systematischer Verfolgung zum Opfer. Der Begriff Porrajmos - zu Deutsch: das Verschlingen - bezeichnet auf Romanes, was im Jüdischen die Shoa ist. Seit auch für Rumänien Freizügigkeit innerhalb der EU gilt, ist die Feindlichkeit gegenüber Roma wieder signifikant angestiegen. Ein Problem, dass vor allem in Städten zum Tragen kommt. „Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden", dieser Aussage stimmten laut der Studie der Heinrich-Böll-Stiftung 2011 noch 27,7 Prozent, 2016 dann 49,6 Prozent der Befragten zu.


Förderverein versucht zu helfen

Die Ablehnung in Deutschland steigt, in ihren Herkunftsländern leiden Roma unter „Armut, Diskriminierung und Chancenlosigkeit", wie der Förderverein betont. Zwar hatte sich die Lage in Rumänien unter dem kommunistischen Regime laut der Kulturanthropologin Judith Okely verbessert, mit dessen Ende kam es aber wieder zu schwerwiegenden Diskriminierungen, die bis heute anhalten. Verbunden mit „verstärkten Mobilitätsanreizen" durch verbesserte Reisemöglichkeiten und einer „Bilderflut aus reichen Weltregionen" treibe es viele Roma in die reichen Länder Westeuropas. Wie das improvisierte Camp unter der Friedensbrücke zeigt, ist es auch hier schwierig, Fuß zu fassen. Das „Ersetzung von Sozial- durch Ordnungspolitik" durch die Stadt Frankfurt hat der Förderverein Roma immer wieder angeprangert.

„Die Stadt Frankfurt ersetzt Sozial- durch Ordnungspolitik." - Förderverein Roma e. V.

In Zusammenarbeit mit dem Amt für Multikulturelle Angelegenheiten versucht der Verein dennoch, für Roma, die neu in Deutschland ankommen, eine Perspektive zu schaffen. Ob dies bei der Gruppe unter der Friedensbrücke gelungen ist, konnte Merkurist nicht in Erfahrung bringen. Inzwischen ist der dortige Asphaltplatz nachts wieder leer.

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