Ja, der Titel verwirrt, entspricht allerdings den Tatsachen, wenn man Stern heißt und online für ein Dauerfeuer an relevantem Content sorgt. Content ist übrigens nicht wörtlich zu verstehen, denn entgegen der Erwartung ist nicht zwangsläufig immer auch etwas Gehaltvolles enhalten. Es ist zwar was drin, aber unterm Strich bleiben Füllwörter, Pathos und subjektive Darstellungen übrig. Was in Ordung wäre, wenn es sich nicht um ein Magazin handeln würde, dass den Anschein erweckt, informieren zu wollen. Tut es aber nicht. Und so war es der Facebookableger des Stern, der mir heute folgenden Titel über die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen aus Hannover ins Gesicht presste:
Ja, Bescheidenheit ist so eine Sache. Entweder man hat sie oder man heißt eben Stern. Ich bin mir nicht sicher, warum es nötig ist, andere Nahrichtensendungen zu diskreditieren. Vielleicht war es die Retourkutsche dafür, dass Klaus Kleber am Vortag relativ deutlich geworden ist. Man wolle versuchen, so schnell wie möglich aktuelle Informationen zu erhalten, die man aber zunächst prüfen müsse, um nicht in Hysterie wie in den sozialen Netzwerken zu verfallen. Sprich: Man wollte Tatsachen berichten, keine Vermutungen. Vielleicht hat es den Privaten und so manch anderem nicht geschmeckt, dass dieser Frechdachs ihnen so eloquent und subtil ans Bein gepinkelt hat. Der Gegenschlag ist dann eine Mischung aus verletztem Stolz und „Ach ja?! Selber!"-Gehabe.
Vor wenigen Wochen erst habe ich mich dazu durchgerungen, namhafte Presseseiten online zu verfolgen, um einen besseren Überblick zu haben. Von da an war es mit dem Überblick vorbei. Ich weiß nicht, wie viele hundert Beitrage seit dem 13. November veröffentlicht wurden. Die meisten davon sind Meinungen und auf subjektiven Empfindungen basierende „Berichte". Da ging es um alles mögliche, aber nicht um Informationen. Hier bin ich schon einmal darauf eingegangen: Es wird aus wenig Handfestem sofort der ultimative Beitrag geformt. Suggestiv, reißerisch, paradox. Denn plötzlich erscheint ein Artikel auf meiner Timeline, der sich mit der ethischen Vertretbarkeit auseinandersetzt, Fotos von den Opfern des Anschlags zu veröffentlichen, und auf den Punkt kommt, dass dies niemandem hilft. Der Meinung bin ich im übrigen auch. Das dient vielleicht der Befriedigung des Voyeurismus, aber hilft weder der Sache selbst noch den Angehörigen noch der Bevölkerung. Vor dem Hintergrund, dass die selbe Seite 16 Stunden zuvor bereits damit begonnen hatte, Fotos der Opfer von Paris zu veröffentlichen, kann dies Verschiedenes bedeuten:
Man geht davon aus, dass die Leser bei der Masse an Beiträgen den Überblick verlieren und deshalb zwischen zwei Artikeln keinen Zusammenhang herstellen können. Man geht davon aus, dass die Leser generell keine Zusammenhänge herstellen können. Der Kopf weiß nicht, was der Hintern macht.
Ich befürchte fast, dass es eine Mischung aus allem ist. Dass im Eifer des Gefechts alles erstmal rausgehauen wird und falls man bemerkt, dass unter der Fuchtel zweier verschiedener Verantwortlicher zwei widersprüchliche Beiträge veröffentlicht wurden, sagt man sich:
In anderem Zusammenhang wurde vor zwei Wochen ein Interview mit einem Redakteur (ich weiß leider nicht mehr genau, wer es war) gesendet, in dem es um die Problematik von Fakemeldungen in sozialen Medien ging und wie man diese entlarven kann. Die Antwort war simpel wie erschreckend. Simpel deshalb, weil seiner Ansicht nach Journalisten lediglich eines machen müssten: recherchieren. Erschreckend hingegen war sein Nachsatz, in dem er mahnte, dass es im Journalismus eigentlich Pflicht sei, sich des Konjunktivs zu bedienen, wenn er denn verlangt wird. Nämlich bei Quellenlagen, die nicht eindeutig sind. Das Erschreckende daran ist, dass auf diese zwei Grundsäulen des Journalismus immer häufiger verzichtet wird und wenn die Fakten nicht ausreichen, um abendfüllende Sendungen zu produzieren, wird eben mit Halbwissen und Mutmaßungen unterfüttert.
Ein expliziter Vorwurf an das ZDF war der Umstand, dass im Rahmen der Berichterstattung über die Absage des Länderspiels in Hannover keine Videoaufnahmen gezeigt wurden; lediglich Katrin Müller-Hohenstein, die einige Fragen beantwortete. Keine Handy-Aufnahmen mit der Stimme aus dem Off „Hier sehen wir, wie...", die - je länger sie kursieren - immer weiter zensiert werden; anfangs noch unzensiert, später beinahe vollflächig verpixelt. Da frage ich mich, inwieweit es überhaupt noch sinnig ist, solche Videos zu zeigen bzw. Liveschaltungen zu senden, die einen Reporter vor dem Stadion zeigen, wie er von der Polizei mehrfach aufgefordert wird, den Bereich zu verlassen.
Im übrigen ist es bemerkenswert, dass die Öffentlich-Rechtlichen in der Lage sind, politische Prominenz zu eigenen Gesprächen vor die Linse zu bekommen, während die Privaten auf Material aus PKs zurückgreifen müssen. Das aber nur am Rande.
Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass verbürgte Informationen die veraltete Form der Berichterstattung sind, und wenn es out ist, nur dann etwas zu sagen, wenn man tatsächlich auch etwas Substanzielles beitragen kann, dann bin ich gerne Anhänger des vermeintlich veralteten Journalismus der 1980er Jahre, dem ARD und ZDF frönen. Dann bin ich gerne out und verzichte auf Beiträge mit demonstrativ erstickter Stimme und stimmungsvoller Musik. Dann bevorzuge ich Zeitungen und Magazine, die mir Hintergründe liefern, die tatsächlich relevant sind, um Sachverhalte wirklich zu verstehen. Dann schalte ich zu Sendern, die auch mal eine Pause in der Berichterstattung einlegen, wenn es nichts Neues zu berichten gibt.