Ich merke es an mir selbst: Sobald ich mir als Ziel setze, jeden Tag einen Artikel zu veröffentlichen und diesen über die magische Grenze von 1000 Wörtern aufzublasen, bin ich mit dem Ergebnis nicht gänzlich zufrieden. Vielleicht bin ich da auch nur etwas zu anspruchsvoll, denn wenn man sich so umschaut, ist beileibe nicht jeder Text, der seinen Weg in die Öffentlichkeit antritt, ein Meisterwerk. Sei es im Blog oder wo auch immer. Wie mag es da den Autoren der zig Artikel gehen, die in den vergangenen Tagen auf Teufel komm raus irgendein Thema ausgewalzt haben?
Es ist schon etwas länger so, dass der Ticker Einzug in die Berichterstattung gehalten hat und seitdem zu jedem selbst nicht-sportlichen Ereignis seine Leser über exklusive Neuigkeiten informiert. Ebenfalls nicht erst seit gestern frage ich mich, ob alle in Höchstgeschwindigkeit in die Tastatur gehackten Schlagzeilen auch tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Natürlich ist es die Einrichtung eines Dienstes, der von Beginn an versucht, die Ereignisse zu sortieren, ein Plus, das es allen Menschen (mit Internetzugang) ermöglicht, einen ersten Eindruck zu gewinnen. Allerdings - das ist meine Ansicht - bleibt dadurch ein Großteil dessen, was Wahrheit ausmacht, auf der Strecke. Und das kann gelegentlich extrem verunsichern.
Noch bevor irgendjemand überhaupt etwas weiß, schicken Journalisten Mutmaßungen und Verdachte über das Netz, was zur Folge hat, dass von Schüssen in den Katakomben des Stade de France berichtet wird, die nie gefallen sind. Das weiß man nachher. Die Schnelllebigkeit hat in einem Großteil der Medienlandschaft ihre Opfer gefordert: die Sachlichkeit und den Wahrheitsgehalt. Gemessen daran, wieviel zu einem Thema heutzutage veröffentlicht wird, dürfte der Anteil derjenigen Berichte, die sich mit nur mäßig recherchierten Sachverhalten befassen, deutlich höher sein als vor einigen Jahren noch. Legitimiert wird das dann mit der dürftigen Faktenlage bei Veröffentlichung eines Beitrags. Da halte ich es wie Dieter Nuhr und halte es für sinnvoller, dass man bei fehlenden Hintergründen oder Gerüchten erstmal die Füße stillhalten soll. Sinngemäß. Im Original fallen Worte wie „keine Ahnung" und „Fresse halten". Das scheint aber nicht mehr möglich zu sein und so liest sich meine Facebook-Timeline wie eine nicht enden wollende Auflistung von Artikeln der WELT oder des Stern, die zu jedem noch so unerheblichen Randthema einen Beitrag raushauen. Meines Erachtens rechtfertigt der dünne Stoff, der dort verarbeitet wird, nicht im geringsten die Veröffentlichung. Da wird in bester heftig.co-Manier getitelt, was zur Folge hat, dass die Motivation desjenigen, der auf den Artikel klickt, wohl kaum in der Absicht zu finden ist, sich ein genaues Bild von Fakten zu machen. Da werden Phrasen abgerufen. Da wird mit Emotionen gespielt. Da werden - ganz im Stil von Twitternachrichten eines x-beliebigen Users - kleine Bildchen gepostet; Contentproduktion, damit zu jedem Zeitpunkt etwas „Neues" zu klicken ist. Der Erkenntnisgewinn hält sich dabei doch stark in Grenzen.
Bevor nichts geschrieben wird, wird eben über irgendwas geschrieben. Und so war es die logische Konsequenz, dass sich DIE WELT auf eine Nichtigkeit stürzte, die bis dahin - aus gutem Grund - noch nicht „beleuchtet" wurde: die Nationalmannschaft. Plötzlich erschien ein Beitrag mit dem Titel: „Terror in Paris - Das ärgerliche Schweigen der Nationalspieler". Mal ganz davon abgesehen, dass es sehr wahrscheinlich nur ärgerlich für die Redaktion ist, dass sich die Spieler nicht umfassend geäußert haben, ist das, was Schweinsteiger und Co. eventuell zu sagen hätten, das letzte, was der Öffentlichkeit helfen würde, die Ereignisse zu erfassen. Da ginge es bloß um prominente Statements, die einen Überblick über die Situation in der Kabine ermöglicht hätten. Das ist weder wichtig noch informativ noch notwendig. Der Ärger des Autors lässt sich hervorragend in Formulierungen wie
„Doch mehr kam nicht. Die „Welt" fragte nahezu jeden Nationalspieler zum Interview an, sei es persönlich oder über die Berater. Die Antworten waren immer gleich: Will nicht, bin müde, möchte zur Familie. Das ist schade."
herauslesen. Nein, das ist in meinen Augen nicht schade. Auch das Argument, dass es gerade für junge Leute wichtig wäre, dass sich die Mannschaft äußert, ist albern. Für DIE WELT wäre es wichtig. Der Anteil solcher jungen Leute, die wohl mit dieser Aussage gemeint sind und DIE WELT lesen, dürfte sich in Grenzen halten.
Es ist aber nicht nur DIE WELT oder Stern, die mit zweifelhaften Artikeln auf sich aufmerksam macht (seit gestern Abend tauchen erste Fotos von denjenigen auf, die bei den Anschlägen getötet wurden, um „den Opfern ein Gesicht zu geben" - für mich wird da lediglich der Voyeurismus gestillt. Man muss nicht alles zeigen, nur weil es vorliegt). Ebenso sind es Nachrichtensender wie N24, die seit Freitag beinahe pausenlos die Informationen rotieren lassen, die zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegen. Dass N24 mittlerweile kaum noch Neuigkeiten in Erfahrung bringt, lässt sich daran erkennen, dass Handyvideos mit ebenso geringem Erkenntnisgewinn, wie es bei so manchem Artikel der Fall ist, in aussagelosen Schleifen gesendet werden. Bloß, damit die Sendung mit jenen actionreichen Momenten aufgepeppt werden kann, die niemals dazu dienen sollten, dem Zuschauer von der Exklusivität des Stoffes zu überzeugen. Dass diese Videos mit Musik unterlegt wurden und dort, wo es wohl rechtlich notwendig erschien, derartig zensiert wurden, dass man sich die Ausstrahlung des Videos eigentlich hätte schenken können, sagt viel darüber aus, was diese Nachrichtenmagazine eigentlich betreiben: Wenig Information, wenig Hintergrund, wenig Sachlichkeit, viel Emotion. Jeder halbwegs klar denkende Mensch wird auch ohne Videos und Musik fassungslos und traurig sein.
Jedem Beitrag ist anzumerken, ab wo der sachliche Gehalt allmählich dünn wird und es um Stimmungsmache geht. Eben dann, wenn gezeigt wird, wie sich die Welt an die Seite von Frankreich stellt und die „Anteilnahme" aus den sozialen Netzwerken zum Thema wird. Wenn diese Darstellungen dann die Hälfte der Zusammenfassung der Ereignisse einnehmen, kann man die Glotze mit dem Wissen ausschalten, dass die Nachrichtensender nichts Neues haben, es aber so aussehen lassen wollen.
Ich bin nicht in der Lage, die Ereignisse von Freitag zu beurteilen und ebenso wenig kann ich einschätzen, was nun die richtigen Schritte wären. Ich weiß nur, dass die Art und Weise, wie über die Anschläge berichtet wird, nicht dem entspricht, was notwendig wäre, um die Öffentlichkeit zu informieren. Mit jedem Meinungsbeitrag einer offiziellen Medienanstalt wird denjenigen eine Plattform geboten, denen es ebenfalls nur darum geht, ihre Meinung kundzutun. Was per se nichts Schlechtes sein muss. Nur scheinen Onlinemedien bei solchen Ereignisse der denkbar schlechteste Ansprechpartner für Aufrufe zur Besonnenheit zu sein. Denn sowohl Stern als auch WELT ergehen sich in BILD-haften Titeln und suchen sich zu schnell eine möglichst simple Erklärung bei gleichzeitig erhobenem Zeigefinger.
Man „weiß" heute schlicht und ergreifend schon zu schnell über etwas Bescheid und gibt Mutmaßungen als Fakten heraus. Ob das nun Schüsse in den Katakomben sind, die - hauptsache schnell - ungefiltert als Neuigkeiten rausposaunt werden, oder „verdächtige Gegenstände" in Berlin, von denen man heute noch absolut nichts wusste, die aber eine Meldung wert waren. Wenn ich etwas nicht weiß, dann warte ich ab, bis es mir möglich ist, über eine Sache eine Äußerung zu tätigen, die Nachfragen standhielte. Und wenn ich nichts zu sagen habe, dann halte ich schonmal die Schnauze. Es muss nicht in jeder Sekunde etwas berichtet werden, wenn diese Berichte keinerlei Fortschritt bedeuten. Am Freitag wurde mit allerlei Zahlen und Aussagen jongliert, aus denen ich nicht schlau wurde. Deshalb musste ich mich damit zufrieden geben, dass der Kenntnisstand zu diesem Zeitpunkt keine Erklärungen geschweige denn umfassende Hintergründe hergab.
Das tun Onlinemedien und Berichterstattungen von privaten Sendern allerdings für gewöhnlich eh nicht.