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Sind Pflanzen intelligent?

Können Pflanzen Probleme lösen? Nein, sagen die meisten Botaniker. Ja, sagt Stefano Mancuso. Mit seiner Forschung will er zeigen, dass Pflanzen nicht nur überleben, sondern gedeihen wollen.

Mimose! Diese Pflanze könnte man vielleicht für sensibel oder schreckhaft halten - aber doch nicht für clever. Doch genau das meint der italienische Botaniker Stefano Mancuso. Er hält die berührungsempfindlichen Gewächse für äußerst gelehrig. "Mimosen klappen ihre Blätter nicht bei jeder beliebigen Berührung zusammen, sie sind in der Lage, zwischen gefährlichen und ungefährlichen Reizen zu unterscheiden", erklärt Mancuso. "Und sie können aus Erfahrungen lernen."

Um das zu demonstrieren, ließ der Botaniker eingetopfte Mimosen wiederholt aus geringer Höhe auf eine weiche Unterlage fallen. Anfangs falteten die Pflanzen ihre Blätter nach jedem Aufprall zusammen, aber spätestens nach dem sechsten Sturz zeigten sie keine Reaktion mehr. Offenbar hatten sie gelernt, dass ihnen die Erschütterung nicht schadet. Selbst einen Monat später konnten sich die Pflanzen noch an ihr gelerntes Wissen erinnern und blieben von erneuten Stürzen unbeeindruckt.

Erfahrungen machen, lernen, erinnern - Stefano Mancuso hält Pflanzen für intelligente Wesen. Deshalb heißt sein Institut an der Universität Florenz auch International Laboratory of Plant Neurobiology. Der Name des Instituts ist für viele Forscherkollegen eine Provokation, schließlich haben Pflanzen keine Nervenzellen, ganz zu schweigen von einem Organ, das Informationen zentral verarbeitet. Mancuso bleibt trotzdem dabei: "Mimosen zeigen ganz eindeutig Gedächtnisleistungen, auch ohne Gehirn."

Ist es der freie Wille, wenn die Limabohne einen Hilferuf absondert?

Da Pflanzen nicht fliehen können und immer damit rechnen müssen, angeknabbert zu werden, zeigen sie einen grundsätzlich anderen Körperbau als die meisten Tiere. Sie haben keine spezialisierten Organe, wie Lunge, Herz, Magen oder eben ein Gehirn, sondern sind modular aufgebaut.

Es gibt nur wenige unterschiedliche Pflanzenteile wie Blätter, Wurzeln, Zweige, die sich wiederholen und alle ähnliche Aufgaben erfüllen - daher ist der Verlust einzelner Teile für die Pflanze verkraftbar. Trotz dieser fundamentalen Unterschiede verfügten Pflanzen über Fähigkeiten, die denen von Tieren in nichts nachstünden, glaubt Mancuso.

In seinem jüngst erschienenen Buch "Die Intelligenz der Pflanzen" (Kunstmann Verlag) bringt der Forscher zahlreiche Beispiele pflanzlichen Verhaltens, die den Leser staunen lassen. Wird etwa die Limabohne von gefräßigen Milben befallen, lockt sie mit einem Duftcocktail eine noch gefräßigere Milbe an, die ihr den Parasiten vom Stängel frisst. Und die Wurzeln des Amerikanischen Meersenfs können sogar erkennen, ob sie zwischen fremden oder verwandten Pflanzen wachsen und verhalten sich dementsprechend mehr oder weniger solidarisch.

Während sie bei fremden Nachbarn uneingeschränkt wuchern, lassen sie den Wurzeln verwandter Pflanzen Platz und somit Zugang zu Nährstoffen. Clever? Zumindest scheint das vermeintliche dumpfe Grünzeug tatsächlich weniger hilflos und passiv zu sein als gedacht. Trotzdem bleibt nach dem Lesen Skepsis zurück, handelt es sich in den meisten Fällen nicht einfach um Reiz-Reaktions-Ketten? Ist das schon Intelligenz?

"Wenn ich von Intelligenz spreche, meine ich die Fähigkeit, Probleme zu lösen", sagt Mancuso. "Und Pflanzen lösen Probleme, indem sie Entscheidungen treffen, genau wie Tiere und Menschen." Die Limabohne trifft demnach bei Milbenbefall die Entscheidung, einen Hilferuf via Duftmoleküle abzusetzen. "Meinetwegen sagen Sie freier Wille dazu."

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