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Am Mittelmeer – kulinarisches Paradies dreier Kontinente

„Was ist das, die mediterrane Welt?“ fragt der französische Historiker Fernand Braudel und gibt sogleich die Antwort: „Tausend Dinge auf einmal. Nicht eine Landschaft, sondern unzählige Landschaften. Nicht eine Zivilisation, sondern viele Zivilisationen, eine auf die andere geschichtet.“

Und so vielschichtig ist auch die Küche des Mittelmeeres. Sie vereinigt Europa, Afrika und Asien, es ist die provenzalische, die sizilianische, katalanische, griechische, libanesische und maghrebinische Küche, sie hat sich durch die Jahrtausende immer wieder gewandelt und ihr Gesicht verändert, um sich zu einem wahren Schlemmerparadies zu entwickeln, dessen Variation unendlich ist. In den Speisen zeigt sich der kulturelle Reichtum dieses Raumes, der Geschmack der verschiedenen Welten.

Lucien Febvre, wie Braudel ein Historiker der berühmten Annales-Schule, stellt sich dabei Herodot vor, den Vater der Geschichtsschreibung aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, wie er heute eine Reise ums östliche Mittelmeer nochmals unternimmt: „Wie würde er sich wundern!“, schreibt Febvre. „Diese schimmernden Früchte in den kleinen dunkelgrünen Bäumen, Orangen, Zitronen, Mandarinen, er könnte sich nicht erinnern, sie zu seinen Lebzeiten gesehen zu haben. Wahrhaftig, sie stammen aus dem Fernen Osten, die Araber haben sie eingeführt … Auch die Zypressen sind ihm unbekannt, ihre Heimat ist Persien. Welche Überraschungen erwarten ihn, wenn er auch nur eine Kleinigkeit isst – ob Tomaten, die aus Peru, Auberginen, die aus Indien stammen, so wie der Nelkenpfeffer aus Guayana und der Mais aus Mexiko, und der Reis ist ein Geschenk der Araber, ganz zu schweigen von den Bohnen und Kartoffeln, auch dem Pfirsich, der ursprünglich aus chinesischem Gebirge über den Iran zu uns kam, und schließlich dem Tabak … Die Riviera ohne Orangenbäume, die Toskana ohne Zypressen, eine Marktauslage ohne Paprika … wäre das für uns heute nicht völlig unbegreiflich?“

Das wäre es. Sich dies bewusst zu machen, dazu reicht ein Gang durch die berühmte Markthalle La Boqueria in Barcelona, ein wahrhaft lukullisches Paradies, auch hier ist alles in überbordender Fülle aufeinander geschichtet: Obst, Meeresfrüchte, Fische, Schinken, Würste, alle erdenklichen Gemüsesorten, Trüffel, Oliven, alles das, was das Genießerherz begehrt.

Oregano, Sardellen & Couscous

Die Mittelmeerküche, das bedeutet, sich an der östlichen Küste, im Libanon und in Syrien, an einer schier unermesslichen Auswahl feinster Vorspeisen, den „Mezze“, zu laben, an Kichererbsenbrei mit Sesampaste und Knoblauch, Auberginenpüree mit Paprika und Zwiebeln, eingelegten Weinblättern, Portulaksalat mit geröstetem Fladenbrot, Petersiliensalat mit Bulgur und viel Zitronensaft, allerlei Eingelegtem, frischem Joghurt mit Minze, um nur ein paar zu nennen. Oder man beißt in die süßen Köstlichkeiten mit vielen Nüssen und Honig, die vor allem die Osmanen erfunden und bis auf das europäische Festland getragen haben.

Es bedeutet, auf Zypern, der waldreichen und gebirgigen Insel mit ihrem fruchtbarem Boden, sich der üppigen Obst- und Gemüsewelt zu erfreuen: an Apfel-, Birnen-, Pfirsich-, Mandel- und Nussbäumen, im Südosten der Insel, im „Land der roten Erde“, an Kartoffeln, Auberginen, Tomaten, Gurken, Feigen und Granatäpfeln. Zudem wird das Bild der Insel von Zypressen, Oliven- und Johannisbrotbäumen geprägt, auch hierüber würde Herodot sich wundern. Geht es um Gewürze und Kräuter in der Küche, ist Zypern mit Minze, Koriander, Kardamom, Zimt und Portulak den Arabern näher als den Festlandgriechen. Mittelmeerküche bedeutet außerdem, auf Kreta gegrilltes Lammfleisch oder einen Hasen in Wein zu genießen und sich das Leben mit kretischem Honig zu versüßen, der sein Aroma vor allem durch Thymian und seltenen Blüten verliehen bekommt. 

Auf Santorin liebt man weiße Auberginen und marinierte Kapernblätter, auf Mykonos soll es den besten „Kopanisti“, den kräftigen Schafskäse mit roter Paprika, Olivenöl und Zitrone, geben, der mit Brot und Ouzo serviert wird. Die meisten Griechen mischen ihr Fleisch gerne mit Zimt und Nelken, würzen generell gerne, aber nie besonders scharf, und ohne Rosmarin, Thymian, Salbei und ganz besonders ohne „Rigani“, also Oregano, geht fast gar nichts. Je weiter westlich man kommt, desto mehr haben vor allem an der Adria-Küste Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich ihre kulinarischen Spuren hinterlassen, süße Torten und honiggetränkte Kuchen sind dort ein Hit.

Und dann Italien! Wo fängt man da an, wo hört man auf, ohne sich die eine oder andere Region zum Feinde zu machen, erwähnte man sie nicht als die beste Küche Italiens? Ist es das „Bistecca alla fiorentina“ aus dem saftigen Fleisch von den Rindern des Chiana-Tals in der Toskana? Ist es der dazu korrespondierende Brunello oder Vino Nobile di Montepulciano, oder doch lieber ein Barolo aus dem Piemont? Ein gutes Risotto aus der Lombardei, „Saltimbocca alla Romana“, „Costoletta alla milanese“, dem Vorbild des Wiener Schnitzels? In Venedig mag man nicht auf „Filetti di Baccalà“ verzichten, auf den Stockfisch. Auf Capri versinkt nicht nur die rote Sonne im Meer, sondern man genießt auch gefüllte Kalmare, geschmacklich süß und pikant, an der ligurischen Küste sind Fischsuppen und die delikaten Meeresdatteln eine Wucht.

Die Sizilianer essen ihren Thunfisch, Schwertfisch oder ihre Sardellen am liebsten gegrillt nur mit frischem Brot und Salat, man serviert aber auch gerne Couscous mit Fisch oder Gemüse, an dem die scharfe Sauce Harissa nicht fehlen darf. Die tunesische Küste ist eben nicht weit. Überhaupt haben die Araber großen Einfluss auf die sizilianische Küche gehabt, sie haben den Reis mitgebracht, woraus die Sizilianer „Arancini“ machen, kleine gefüllte und frittierte und oftmals mit Safran gewürzte Reisbällchen. Besonders gerne füllen sie ihre Sardinen mit Allerlei zu „Sarde a beccafico“. Auf Korsika entstehen feinste Wurstwaren aus dem Fleisch frei herumlaufender Hausschweine.

Auch die nordafrikanische Küche ist eine Mischung aus arabischer und Mittelmeerküche, doch hier hat man eine Vorliebe für starke Würzungen, in Tunesien und Libyen vor allem für Schärfe. Deswegen findet man hier Gewürzmischungen wie „Ras el-Hanout“, „Baharat“ und die scharfe Chilipaste „Harissa“, zusammen mit Kreuzkümmel, Muskat, Zimt, und Safran. Doch frische Pfefferminze, Petersilie oder Koriander dürfen ebenfalls nicht fehlen, sie würzen Fische, Meeresfrüchte, besonders aber Schaf- und Lammfleisch, die garniert werden mit Datteln, Mandeln, Oliven und vielfältigem Gemüse. Das bekannteste Gericht sind neben Couscous natürlich Tajine-Gerichte, benannt nach dem rundem Schmorgefäß aus gebranntem Lehm mit dem konischen Deckel, das klassischerweise auf ein Holzkohlefeuer gestellt wird. In ihm werden schonend Gemüse, Fleisch oder Fisch geschmort. Zum Essen wird die Tajine auf den Tisch gestellt und die Gäste bedienen sich direkt aus dem Gefäß.

Zeit des Verweilens, Zeit des Genießens

Herodot wäre wahrscheinlich angesichts dieses reichhaltigen und vielfältigen Angebots in seiner Wahl überfordert. Aber man würde ihm mit Sicherheit erzählen, dass es Verbindendes gibt in der gesamten Mittelmeerregion: Die Überlieferung der Rezepte und vor allem der kleinen Tricks, die beim Einkauf wie bei der Zubereitung zu beachten sind, erfolgt bis heute meist mündlich, von einer Generation zur nächsten, nur selten schreibt man etwas auf, Kochbücher sind selten ein Verkaufsschlager. Die mediterrane Küche ist insofern sehr traditionell, ebenso die mediterrane Lebensart, in der die Küche und vor allem das Essen selbst eine zentrale Stellung einnimmt. Es ist der Moment, wo Familie und Freunde zusammenkommen, es sind Stunden des Gesprächs, des Verweilens, der Gelassenheit; und damit des Genießens.Essen nimmt damit eine wichtige soziale Funktion ein, die in den nördlicheren Breitengraden in dieser Weise eher unbekannt ist.

Und auch das verbindet die Menschen am Mittelmeer: Die Liebe zur Olive. Eine arabische Weisheit sagt, der Mittelmeerraum erstrecke sich so weit, wie die Olive gedeihe. Mediterrane Küche ohne Olivenöl? Undenkbar! Alain Ducasse hat das Olivenöl einmal als die Unterschrift auf dem Teller eines mediterranen Gerichts bezeichnet. Es macht Salate an, in ihm brutzeln Fische und Gemüsestücke und es ist pur genossen mit einem knusprigen Weißbrot ein herzhafter Snack. Ist es in der warmen Mittelmeersonne gereift, dann kalt gepresst, entsteht das hochwertige native Olivenöl mit seinen einfach ungesättigten Fettsäuren. Es ist wohl neben dem Gläschen Wein, das man sich gerne gönnt, einer der Hauptgründe dafür, dass man den Menschen des Mittelmeeres nachsagt, sie lebten gesünder und länger.

Und in der Tat: In Kombination mit anderen Zutaten kommt in der mediterranen Küche all das auf den Tisch, was gesund ist: Keine Mahlzeit ohne Brot, viel Nudeln, Reis und Hülsenfrüchte, sie sorgen für komplexe Kohlenhydrate und Ballaststoffe. Keine Mahlzeit ohne Obst, Rohkost oder Gemüse und am besten immer das, was die Saison gerade bietet, so ist es ideal: Tomaten, Auberginen, Zucchini, Artischocken, verschiedene Kräuter und der gesunde Knoblauch. Und in der typischen Mittelmeerküche kommt mehrmals die Woche frischer Fisch auf den Tisch, ein perfekter Eiweißlieferant, der außerdem so genannte Omega-3-Fettsäuren enthält, die Schutzfaktoren gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind. Auch Stress sollen sie abbauen und die Stimmung heben. Kurz: Die traditionelle mediterrane Küche ist leicht, frisch, bekömmlich, abwechslungsreich und deswegen gesund. Aber das Wichtigste ist dabei: Man nimmt sich Zeit für das Essen. Herodot hätte das gefallen.

(Textauszug aus dem Buch "Genießen auf den Weltmeeren" 2008)