Von Istanbul entlang der Schwarzmeerküste kommend, erreicht man Orte mit interessanten Namen: Caycuma – "Freitagstee" (offenbar haben sich die Ältesten an einem Freitag zu einem Tee getroffen und darüber beraten, wie man das neu zu gründende Dorf nennen könnte), Baycuma – "Herr Freitag", Perschembe – "Donnerstag" oder etwa Soganli – "mit Zwiebeln". In Bakacakkadi muss man sich besonders vorsehen, denn hier "wird der Richter vorbeischauen".
Safranbolu, etwa 200 Kilometer nördlich von Ankara gelegen, hat dagegen einen nachvollziehbaren Namen: Bis in das 19. Jahrhundert war das kleine Städtchen umgeben von Safranfeldern. Doch nicht nur die kostbare Blume sorgte für Wohlstand, auch der Handel zwischen der Schwarzmeerküste und Zentralanatolien führte Jahrhunderte über den Ort am Rande des bis zu 2600 Meter hohen Ilgaz-Gebirges. Außerdem, so sagt man hier, sei Safranbolu "der Hintergarten" des Topkapi-Palastes in Istanbul gewesen, viele Bewohner arbeiteten als Bäcker oder in der Lederverarbeitung im Palast, einige waren in höhere Ämter aufgestiegen. So flossen die Gelder in das Dorf und die Bewohner bauten sich prächtige Konaks, osmanische Villen.
Bitte Schuhe ausziehen
Im April sind die Nächte noch kalt, die morgendliche Sonne hat es schwer, die Luft zu erwärmen. Kohlegeruch zieht durch die Gassen, nur wenige Menschen sind schon auf den Beinen. In einem Hinterhof dudelt das Radio, der Hahn kräht bemüht, Katzen suchen nach Resten, ein Hund hebt träge die Schnauze aus seiner Hütte. An den schweren Toren fallen die Türklopfer auf, manchmal mehrere nebeneinander. Der kleine mit der Hand will sagen: Hier ist eine junge Frau zu verheiraten. Der große, schwere soll den Besitzer warnen: Wenn es klopft, bittet die gesamte Familie um Einlass. Eine praktische Einrichtung. Mehrere Bäche ziehen ihre Linien durch Safranbolu, an jeder Ecke plätschert ein Brunnen, fast jedes Haus preist in arabischer kalligraphischer Schrift "Maschallah" – was Allah will! und bedeutet "wunderbar". Ein idyllischer Ort.
Das findet auch Birol Schengün. Der graumelierte freundliche Herr im schwarzen Rollkragenpulli und Jackett rührt in seinem Teeglas und erzählt: Sein Großvater hatte einen sehr gut laufenden Bakkal, einen Krämerladen, mit denen er die Beamten des Hofes versorgte. Das Geld reichte, um einen Konak zu bauen, in dem bald drei Generationen lebten. Birol ist hier aufgewachsen, heute lebt Birol mit seiner Familie allerdings im neuen Safranbolu. Es gab einfach Zeiten, da zog man aus den alten osmanischen Fachwerkhäusern in das komfortablere Leben der Neustadt.
Doch vor ein paar Jahren hat es Birol Schengün, dessen Nachname "fröhlicher Tag" bedeutet, wieder in die Stätte seiner Kindheit zurückgezogen, nicht zum Leben, aber zum Arbeiten. Aus dem alten Konak machte er mit seiner Familie ein mit viel Liebe zum Detail eingerichtete Hotels. "Der Speisesaal war früher der Stall. Hier, wo wir jetzt sitzen, stand ein Pferd. In der anderen Ecke, dort, wo jetzt der Fernseher steht, lag das Heu", erklärt der 46-Jährige.
Die Zimmer sind nach ihren Erinnerungen restauriert, mit viel dunklem Holz, einem Kamin, in dem als Schmuck eine Kupferkanne steht, breiten Holzdielen, die bei jedem Schritt knarren, und mit gestickten Vorhängen. Handtücher werden wie Blumen auf den Betten gefaltet, der Tee wird mit Lokum, türkischem Honig, serviert, das Spiegelei zum Frühstück kommt im Kupferpfännchen, das Besteck liegt im Deckchen, im Hintergrund läuft türkische Musik. Wer die Treppen zu den Zimmern betritt, möchte bitte die Schuhe ausziehen, Hausschuhe stehen bereit. Es ist, als betrete man ein Privathaus. Deswegen kommen vor allem gestresste Großstädter aus Ankara oder Istanbul, die hier für ein paar Tage ausspannen.
Safranbolu ist ein Tourismusort fast nur für Türken. Die Schilder an den Geschäften, die Speisekarten in den Restaurants, der Stadt- und Informationsfaltplan der Tourismusbehörde, alles in Türkisch. "Dabei würden wir uns auch über andere Touristen freuen", sagt Birol. "Aber wir haben nun mal kein Meer."
In der wenige Kilometer entfernten Stadt Karabük wurde 1937 ein Stahlwerk gebaut, das noch heute die meisten Arbeitsplätze in der Region bietet. Für die meisten Bewohner ist das Stahlwerk als Arbeitgeber attraktiv, es bietet gute und vor allem regelmäßige Zahlungen. Viele gaben deswegen ihre traditionellen Berufe auf. Und damit ein Stück ihrer Kultur. Safranbolu war berühmt für seine Handwerkskunst, beispielsweise für die der Schmiede. Doch in der Schmiedegasse sind die meisten Tore der Läden geschlossen, kaum ein Hämmern und Schlagen ist noch zu vernehmen. Im Jahr 2000 schrieb die türkische Zeitung "Milliyet": "Das Symphonieorchester ist still." Doch ein paar Stimmen gibt es noch.
Kazem Madenoglu, dessen Nachname "Metallerz" bedeutet, ist Schmied in der dritten Generation. Stolz zeigt er die vielen Ausschnitte aus türkischen Zeitungen, die über ihn schrieben. Als einer der letzten Schmiede von Safranbolu erlangt man eine trügerische Berühmtheit. Früher hat er vor allem für die Landwirtschaft gearbeitet: Hufeisen, Spaten und Dreschenholz entstanden unter seinen harten Schlägen auf dem Amboss. Heute schmiedet er kleine Kännchen, Hufeisen für die Wand oder Türklopfer. "Damit aber", klagt Kazem, "kann man kaum eine Familie ernähren. Wer so einen Türklopfer aus meiner Schmiede kauft, hat ihn 50 Jahre rumhängen. Eher zerfällt die Tür als der Klopfer". Kazem zeigt eine verzinnte Kupfervase: "Dafür brauche ich mindestens zwei Stunden." Und wenn der Kunde nicht allzu viel handelt, bekommt er dafür umgerechnet vier Euro.
Sattler ohne Pferde
Auf der anderen Seite der Gasse, gleich gegenüber der alten Karawanserei, sitzt Mustafa Kemal, der letzte Sattler von Safranbolu. Mustafa ist 86 Jahre alt. Am Schaufenster hängen Bilder von Atatürk mit der Aufschrift: "Wir sind stolz, deine Kinder zu sein." Er sitzt inmitten von Holz- und Bambusstückchen, Filzlappen und Nägeln. Weitere Atatürk-Bilder, ein stummes Kofferradio, ein alter Besen und ein Kühlschrank Energieklasse A rahmen ihn ein. Er schaut kaum auf, als der Besucher seine Werkstatt betritt. "Buyrun. Hosch geldiniz!". Bitte sehr, herzlich willkommen.
"Geld hätten wir gehabt", erzählt Mustafa, "aber zum Studieren hatte ich kein Talent. Außerdem war schon mein Vater Sattler, und davor mein Großvater. Also wurde ich auch Sattler." Und seitdem hämmert er die Sattelbäume zusammen und näht darauf das Polster. Tag für Tag. Seit 74 Jahren. Früher waren es Pferdesattel, aber die braucht niemand mehr. Deswegen hat er auf Esel umgesattelt. Irgendwann einmal kam eine Familie aus Ankara und wollte von ihm einen Eselsattel. "Gut", sagte Mustafa, "dann bringt mir den Esel, ich muss ihn vorher sehen, sonst kann ich euch keinen Sattel machen." Von der Familie hat er nie wieder etwas gehört. "Ach, die Leute haben doch keine Ahnung. Früher, da standen die Leute Schlange vor meiner Werkstatt. Ich war von allen der Fleißigste. Drei Tage und Nächte habe ich manchmal durchgearbeitet."
Davon konnte er sieben Familienmitglieder ernähren. Aber das ist lange her.
Früher gab es 15 Sattler in der Gasse, doch bis auf Mustafa sind alle gestorben. Sogar seinen Lehrling, der vor drei Jahren starb, hat er überlebt. "Ich arbeite nicht mehr wegen des Geldes", sagt Mustafa und schaut dabei aus dem Fenster, während er mit der Nadel Löcher in den Sattel drückt. "Die Arbeit macht mir einfach noch Spaß und Freude. Ich könnte ohne Arbeit nicht leben."
Es ist Mittag geworden. Zeit für das Gebet. Mustafa erhebt sich, krempelt sich die Ärmel hoch, zieht die Uhr aus, greift nach einem Stück Seife und schlurft tief gebeugt von der Jahrzehnte langen Arbeit zum gegenüber liegenden alten osmanischen Brunnen. Dort wäscht er sich rituell für die Moschee. Auch das macht er noch Tag für Tag. Seit über 70 Jahren.
Für Ceren ist Safranbolu ein kleines Paradies. Die 20-Jährige aus Istanbul studiert zusammen mit ihrer gleichaltrigen Freundin Eda Restauration an der Hochschule. Sie vermessen derzeit die alte Gerberei, die Restaurationspläne sollen ihre Abschlussarbeit werden. Zu tun hätten sie genug, sagt Ceren, denn wenn auch viele wegen des anziehenden Tourismus ihre Häuser restaurierten, verfielen auch viele, da die Besitzer in die Neustadt zögen und sich nicht mehr kümmerten: "Allerdings verkaufen nicht alle Besitzer ihre alten Häuser. Sie hängen wohl noch emotional an ihnen. Und ohne deren Einwilligung können wir nichts machen." Außerdem, sagt sie weiter, fehlten immer häufiger die Handwerksmeister, die nach alten Vorlagen restaurieren können.
Und immer häufiger fehlt das Geld. Von staatlicher Seite gab und gibt es bisher keine Unterstützung. "Von denen habe ich bis heute noch niemanden hier gesehen", erzählt Birol bei einem weiteren Glas Tee. "Im Gegenteil, die bürokratischen Hürden sind hoch wenn man ein Haus restaurieren möchte. Dass die Unesco unser Städtchen zum Weltkulturerbe erklärt hat, interessiert die offenbar nicht."
Dennoch haben die Schengüns ihr Haus nicht verkauft. Darauf ist Birol stolz. Sie können ihren Kindern das Haus noch zeigen, in dem sie mal gelebt haben und an dem so viele Erinnerungen hängen. Manchmal kommt auch die 102-jährige Großmutter am Wochenende in das Haus zurück, gestützt von ihren Enkeln. Wenn sie in die Straßen biegen und die alte Frau das restaurierte Haus sieht, bekommt sie feuchte Augen. "Maschallah", sagt sie dann, "wunderbar!"
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