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Eine Seilbahn für Wien? Der Traum vom urbanen Schweben

Andere Städte in Europa haben schon eine Seilbahn - zum Beispiel London.

Seilbahnen sollen Verkehrsprobleme in Megacitys lösen. Nun träumen auch die Wiener Neos vom Schweben in der Großstadt.

(erschienen am 17.12.2020)

Wenn Wolfgang Gerold über die Seilbahn spricht, scheint er manchmal fast selbst zu schweben, so begeistert klingt er. Der 65-jährige Bezirksrat der Neos ist an einem klirrend kalten Tag zum Eingang des Otto-Wagner-Spitals in Wien-Penzing gekommen, um von seiner verkehrspolitischen Vision zu erzählen. Er trägt Kapuze und Mütze und hat seinen Schal wegen des Coronavirus bis über die Nase gezogen, aber seine Augen sieht man leuchten. "Sie werden in der Gondel stehen und einen Traumblick haben", schwärmt der pinke Bezirksrat, "auf die Otto-Wagner-Kirche, über Schönbrunn und bis in die Innenstadt."

Eine 4,8 Kilometer lange Seilbahn soll von Hütteldorf bis zum Bahnhof Ottakring führen und dabei auch über das Otto-Wagner-Areal im Wiener Außenbezirk Penzing schweben. Zumindest wenn es nach den Neos geht, die nun in mitregieren. In den Jugendstil-Pavillons auf dem Gelände sind derzeit noch Ambulanzen untergebracht, sie sollen bis 2025 der Privatuniversität des Milliardärs George Soros weichen. Rund 2000 Studenten sollen dem schönen, aber abgeschiedenen Stadtquartier dann neues Leben einhauchen. Der Bezirkspolitiker Gerold, früher Manager beim Wiener Krankenanstaltenverbund, fühlt sich dem Areal auch persönlich verbunden und will es reanimieren. "Die Seilbahn wäre dafür wesentlich", sagt er.

Nun hat es seine Idee, in Gondeln über den Westen von Wien zu gleiten, ins Regierungsprogramm von und Neos geschafft. "Bis 2022 prüfen wir die Machbarkeit dieser Seilbahn", heißt es darin. Während die Seilbahnunternehmer in den Skigebieten ihre Gondeln möglichst bald öffnen wollen, ist in Wien selbst der Spatenstich noch ungewiss. Vizebürgermeister und Neos-Chef Christoph Wiederkehr beteuert zwar, er sehe die Seilbahn wirklich als "adäquate Verkehrsanbindung" für dieses Gebiet, aber mit dem Vorschlag einer urbanen Seilbahn gerät man in Österreich schnell unter Populismusverdacht. Oft wurde eine solche angekündigt, niemals gebaut.

In anderen Erdteilen dienen Seilbahnen bereits als praktikable Lösung im städtischen Nahverkehr, gleichsam als Vehikel des Zukunftsglaubens. Schließlich stehen Metropolen weltweit vor ähnlichen Problemen: Die Bevölkerung wächst, das Auto gilt Stadtplanern als Last, nicht als Lösung, und der Boden für neue Straßen und Gleise ist knapp und teuer. So beginnt der öffentliche Verkehr, die Luft zu erobern.

Die Seilbahn im Nahverkehr der kolumbianischen Millionenstadt Medellín zum Beispiel gilt als Erfolgsgeschichte, auch weil sie mithalf, die Situation in armen Vierteln zu verbessern. Über der hoch gelegenen Stadt La Paz in Bolivien verlaufen heute sogar zehn Seilbahnlinien mit 30 Kilometer Länge. Auch in Weltstädten wie London und Hongkong kann man die Gondel nehmen, wenngleich vorwiegend zu touristischen Zwecken.

"Seilbahnen wurden international erfolgreich als Rückgrat zur Entwicklung von sozial schwierigen Stadtteilen eingesetzt", sagt Andreas Hofer, der an der TU Wien über Seilbahnen in Städten forscht. Sie kämen vor allem zum Einsatz, "wenn Straßenbahnen und Busse die Topografie nicht mehr meistern können", weshalb Südamerika als wichtigster Schauplatz der urbanen Seilbahn gilt.

Die Firma Doppelmayr aus Vorarlberg, der größte Seilbahnhersteller der Welt, baut derzeit an einer Hochbahn für Mexiko-Stadt. Das Projekt in Wien kenne man nicht im Detail, heißt es aus der Doppelmayr-Zentrale in Wolfurt. "Technisch dürfte das Projekt lösbar sein", sagt Reinhard Fitz, der Leiter des internationalen Geschäfts.

In Linz ist man dem Himmel schon näher

Wolfgang Gerold träumt für Penzing von einer Einseilumlaufbahn, die 2000 Menschen pro Stunde und Richtung transportiert. Die Kosten schätzen die Neos auf 60 bis 75 Millionen Euro. Derzeit ist die Anbindung des Otto-Wagner-Areals mit zwei Buslinien dürftig. Auch die Fahrten mit der Otto-Wagner-Seilbahn, so der vorläufige Name, wären in der Wiener Jahreskarte inkludiert.

Eine der sieben Stationen wünscht sich Gerold bei der Klinik Ottakring, besser bekannt als Wilhelminenspital. Er schlägt vor, die Station dort gleich auf das Dach des geplanten Zentralgebäudes aufzusetzen. Und auch für die westliche Endstation Hütteldorf hegt der Bezirksrat unerschrockene Pläne. Bei Heimspielen von Rapid Wien könnte man zusätzliche Gondeln einhängen und in kurzer Zeit Tausende Fußballfans zurück in die Stadt schleusen.

Die Machtverhältnisse in der Koalition bringen freilich mit sich, dass Wiens Verkehr nur dann in die dritte Dimension vordringen wird, wenn auch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) das Projekt will. Als Wohnbaustadtrat fiel Ludwig früher aber nicht durch Kühnheiten auf. Auch der Hinweis der SPÖ, man müsse die Machbarkeitsstudie zur Seilbahn abwarten, klingt eher so, als wolle man die Neos beim Verkehr lieber auf dem Boden halten.

In Linz ist man dem Himmel schon näher, dort wirbt Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) für eine Seilbahn. Sie soll von Ebelsberg im Süden über die Stahlwerke der Voestalpine bis zum Linzer Hafen führen. 45.000 Menschen könnten täglich zu ihrem Arbeitsplatz gondeln. Am liebsten wäre dem Stadtchef, wenn man die Seilbahn später noch bis zum Pleschinger See baut und damit ein Dreiseilsystem von Süden bis Norden spannt.

Am Telefon sagt Luger, er kämpfe für die Seilbahn, weil sie "eine zeitgemäße Ergänzung unseres öffentlichen Verkehrs mit seinen Straßenbahnen und O-Bussen" und "ökologisch das Sinnvollste" ist. Dass Verkehrsministerin Leonore Gewessler von den Grünen sich bisher kaum dazu äußerte, nennt der Bürgermeister "eine veritable Enttäuschung".

Fest steht, dass Seilbahnen gegenüber anderen Verkehrsmitteln Vorteile bieten können, gerade in dicht verbauten Stadtquartieren. Sie sind nicht nur platz- und energiesparend, sondern auch vergleichsweise günstig. Außerdem haben sie große Kapazitäten, in leistungsstarken Bahnen bis zu 6000 Personen pro Stunde und Richtung, deutlich mehr als Busse. Nur U-Bahnen und S-Bahnen schaffen um einiges mehr. Auf Strecken ab etwa zehn Kilometern sind Seilbahnen allerdings nur bedingt sinnvoll, weil Umlaufbahnen nicht schneller als 25 bis 30 Stundenkilometer fahren können.

Ein Bruch mit dem gewohnten Stadtbild

"Seilbahnen überwinden fast jedes Hindernis", sagt der Doppelmayr-Manager Fitz, "in bestimmten Nischen sind sie die beste Lösung." Er denkt an Seilbahnen als Zubringer zu größeren Systemen des öffentlichen Nahverkehrs und oder als Lückenschlüsse zwischen U-Bahn-Linien. "Wenn eine Stadt ein Mobilitätsproblem hat, sollte man alle möglichen Verkehrsmittel neutral in Erwägung ziehen, auch die Seilbahn", sagt Fitz.

Die Gefühle, die Seilbahnen auslösen, sind zugleich deren Stärke und Schwäche. Die einen wollen die Aussicht genießen, die anderen haben Angst, es werde ihnen in die Wohnung geglotzt. Dem Fahrgast einer urbanen Seilbahn bietet sich ein weiter Blick über die Stadt, in der er lebt. Womöglich empfindet er sich in der Gondel mehr als Stadtmensch als irgendwo sonst. Aber die Seilbahn bedeutet eben auch einen Bruch mit dem gewohnten Stadtbild, sah man sie in Europa doch lange nur über Berghänge und nicht über Häuserschluchten gleiten. "Manche urbanen Seilbahnprojekte scheitern wohl auch an sehr emotionalisierten Diskussionen", sagt Reinhard Fitz.

Während Toulouse und Luxemburg bereits Seilbahnen in ihr Verkehrsnetz eingebunden haben, endeten in Österreich alle urbanen Seilbahnideen bisher in der Remise des politischen Scheiterns. In Graz warb Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) lange für eine Murgondelbahn, die von Puntigam ins Grazer Zentrum schweben sollte. In diesem Herbst gab er die Vision aber auf, eine Seilbahn werde wegen der Stützen "in der Welterbe-Stadt Graz doch eher nicht das Modell für die Zukunft sein". Nun will Nagl stattdessen für seine Stadt eine U-Bahn.

In der Stadt Salzburg wiederum schlug das Team Stronach im Gemeinderatswahlkampf 2014, eine Seilbahn entlang der Salzach vor. Die Idee geriet in Vergessenheit, wie auch die Partei. Der Wunsch der Wiener Wirtschaftskammer, eine Seilbahn auf den Kahlenberg zu bauen, blieb ebenfalls unerfüllt.

Ob dem Neos-Projekt einer Otto-Wagner-Seilbahn mehr Erfolg beschieden sein wird? "Hier herrschen nicht die Rahmenbedingungen, unter denen sich eine Stadtseilbahn international bewährt hat", sagt der TU-Professor Hofer, obwohl er dem Verkehrsmittel grundsätzlich wohlgesinnt ist. Auch die Wiener Grünen, bis vor wenigen Wochen mit dem Verkehrsressort betraut, halten nichts von der Idee. Man müsse das Otto-Wagner-Areal zwar besser anbinden, etwa durch eine durchgehende Buslinie von Hütteldorf bis Ottakring. Die Stadt müsse aber auch den öffentlichen Verkehr in Flächenbezirken wie Floridsdorf, Donaustadt und Liesing ausbauen, "mit mehr Straßenbahnen, Bussen und Schnellbahnen", sagt der grüne Verkehrssprecher Kilian Stark.

Neos Bezirksrat Gerold glaubt dennoch an sein Konzept. Die Seilbahn, sagt er, habe Impulse bis ins niederösterreichische Umland, vor allem aber für das von ihm geliebte Otto-Wagner-Areal. Das steht aber unter Denkmalschutz. Die Seilbahnstationen auf dem Areal müssten vom Bundesdenkmalamt geprüft werden. Gerold wisse aber aus Erfahrung, "das Denkmalamt genehmigt Veränderungen, wenn sie die Struktur erhalten und sinnvoll sind". Dieses Kriterium könnte freilich ein Problem werden.


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