Mithilfe von Vorzugsstimmen will es der längstdienende SPÖ-Abgeordnete noch einmal ins Parlament schaffen.
(erschienen am 28.9.2017)
Er ist immer noch stellvertretender Klubobmann der und einer der bekanntesten Abgeordneten im Parlament. Doch in diesem Augenblick steht Josef Cap in einer kurzen schwarzen Laufhose da und kann seine Beine kaum heben. Er hat an diesem Sonntag am Herbstlauf der Hernalser SPÖ teilgenommen. "70 Minuten, 50 Sekunden", berichtet Cap, ein großer Teil der Strecke ging bergauf. Er streift sich eine Jacke über, weil er sich im Wahlkampf auf keinen Fall verkühlen will. Dann gratuliert er gemeinsam mit der Bezirksvorsteherin und einem Gemeinderat den Siegern.
Weil es ein sozialdemokratischer Lauf ist, gibt es fast so viele Pokale wie Teilnehmer. Es ist eine langwierige Siegerehrung, und das merkt man Caps Gesicht an, nur wenn er einen Pokal überreichen und ein, zwei Sätze sagen kann, blüht er auf.
Cap wurde oft vorgeworfen, im Parlament und im Fernsehen routiniert und gelangweilt zu wirken. Seit ein paar Wochen zeigt er sich wieder von seiner charmantesten Seite. Er besucht Straßenfeste und Kirtage, strampelt sich bei Volksläufen ab und verteilt vor U-Bahn-Stationen Flyer und Komplimente. Mit 65 Jahren findet er zur Hochform zurück, denn Cap kämpft jetzt wieder für etwas, das ihm wirklich wichtig ist: sich selbst.
Die SPÖ hat Cap nur mehr auf dem 33. Platz der Bundesliste nominiert, an aussichtsloser Stelle. Seine einzige Chance ist es, genügend Vorzugsstimmen in seinem Wahlkreis zu ergattern, in den Wiener Bezirken Ottakring, Hernals, Währing und Döbling. Während der Siegerehrung des Hernalser Herbstlaufs spielen nebenan die Schülermannschaften von Gersthof und Marswiese, ein Symbol für Caps Überlebenskampf. Um im Nationalrat zu bleiben, muss der Fußballfan in der politischen Bezirksliga wirbeln. Aber er macht gute Miene dazu. "Dafür solltest du gleich einen zweiten Pokal kriegen", sagt Cap zu einer Jugendlichen, als sie oben aufs Stockerl springt. An Pointen und Schmäh fehlte es ihm nie. Aber anders als beim SPÖ-Lauf sind bei der Nationalratswahl die Trophäen begrenzt. Cap muss die rote Listenerste Nurten Yilmaz in seinem Wahlkreis überholen, wenn nicht Schluss sein soll.
Seit 1983 sitzt er im Nationalrat, und in den vielen Jahren als Zentralsekretär, Bundesgeschäftsführer und Klubobmann hat Cap alle Verrenkungen der Sozialdemokratie mitgeturnt. Heute wirbt er für weniger Migration, die Schließung der Mittelmeerroute und sieht sich auf "Kern-Doskozil-Kurs". Auf eine Stärke konnte er sich schon immer verlassen, seine blendende Rhetorik. Diese attestieren ihm auch politische Gegner, wenngleich meist als vergiftetes Kompliment. Dass Cap "halt gut reden kann", wird um die Anmerkungen ergänzt, er habe wenig Interesse an inhaltlichen Details und glaube oft selbst nicht, was er da sage.
Wegen seiner hageren Gestalt und seiner Wortgewandtheit irren manche, Cap könne nur mit dem Florett fechten. Damit würde man ihn aber unterschätzen, denn der begabte Redner wechselt die Waffen und changiert dauernd zwischen Ironie, Gegenangriff und Pathos. Manchmal klingt er intellektuell, manchmal beleidigt, dann wieder ungeniert banal, und wenn sich ein inhaltlicher Bruch seiner Partei einmal gar nicht mehr rhetorisch zuspachteln lässt, greift Cap zu einem Kreisky-Zitat: "Es kann einem niemand verbieten, klüger zu werden."
Das mächtigste Werkzeug ist sein Humor. Mittlerweile erzählt er gern, wie viele Klicks seine Parlamentsreden auf YouTube bekämen. Der Auftritt, bei dem er ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Mai als Egoisten abkanzelte, hat momentan 66.000 Zugriffe. In den vergangenen Jahren mutierten Caps Ausführungen immer mehr zu kabarettistischen Einlagen. Er scheint den politischen Betrieb nicht mehr ernst nehmen zu können, weder Widersacher noch Journalisten.
"Man muss wie ein Fisch im Wasser sein", sagt Cap und legt den Ausspruch dem vietnamesischen Revolutionär Ho Chi Minh in den Mund. Tatsächlich stammt er von Mao Zedong. Er zitiert noch zwei Päpste, Bruno Kreisky, Max Weber und Federico Fellini. Die Freude an Bonmots und Pointen geht einfach mit ihm durch. "Spannend für den Marathonläufer Cap ist der Weg, nicht das Ziel", schrieb einmal das Magazin Profil.
So überlebte Cap im Parlament sieben Kanzler und mehr als hundert Minister. Der Mix aus verbaler Verspieltheit und inhaltlicher Wendigkeit hat ihn allerdings Sympathien gekostet. Und als Cap von Ex-Kanzler Werner Faymann 2013 als Klubchef abmontiert und mit einem gut dotierten Job im Karl-Renner-Institut vertröstet wurde, sprachen selbst Parteifreunde von einer "verheerenden Optik". Vielen gilt der Frankreich-Liebhaber Cap, einst zum Offizier der französischen Ehrenlegion ernannt, heute vor allem als treuer Parteisoldat.
Dabei hatte alles mit großen Hoffnungen begonnen: 1982 stellt Cap, damals Chef der Jungsozialisten, auf einem Parteitag drei kritische Fragen an den burgenländischen Landeshauptmann Theodor Kery, etwa ob dieser in seinem Garten mit Maschinenpistolen herumballern würde. Ein Jahr später zieht der rebellisch wirkende Juso nach einem Vorzugsstimmenwahlkampf gegen den Willen der Partei in den Nationalrat ein. 62.457 Cap-Stimmen zeugen davon, dass er im linksliberalen Lager den Ruf genoss, ein widerspenstiger Held zu sein. Aber nur kurz. "Kaum war er im Parlament, ist er als politischer Gestalter überhaupt nicht mehr aufgefallen", erinnert sich der Konsumentenschützer Peter Kolba, Kandidat der Liste Pilz und wie Cap damals in der Friedensbewegung aktiv. "Er hat sich für einen sicheren Platz im Nationalrat und gegen die Ideale entschieden", sagt Kolba.
Es gibt auch gnädigere Sichtweisen, selbst ÖVP-Abgeordnete sagen Cap "Handschlagqualität" nach. In der SPÖ wusste man ohnehin immer um seinen Wert. "Er ist ein Politiker, den du überall hinschicken kannst, der einfach auftreten kann", lobt ihn Joe Kalina, wie Cap einst SPÖ-Bundesgeschäftsführer und ein enger Freund. An allen Fronten die Kompromisse in Partei und Koalition zu verteidigen hinterlässt aber ein zerknittertes Image. "Es liegt in der Natur der Sache, dass du als Bundesgeschäftsführer oder Klubobmann Dinge argumentieren musst, die du selber innerlich nicht glaubst", findet Kalina. Ein Satz, den Cap nie sagen würde. "Keine Kompromisse gibt es nur in Diktaturen und in Sekten", meint er stattdessen.
Wie 1983 wirft Cap sich nun in eine Vorzugsstimmenkampagne. Damit er an Yilmaz vorbeikommt, müsste er mindestens 14 Prozent der roten Wähler in seinem Wahlkreis überzeugen. Gemessen am SPÖ-Ergebnis bei der Nationalratswahl 2013, wären das rund 4.500 Vorzugsstimmen in den vier Bezirken. Damals bekam Cap immerhin 3.100, der Einzug ist also schaffbar. Er selbst sagt, er führe gern Wahlkampf, aber "dezent". Zwei Stunden nach dem Herbstlauf sitzt er mit Parteifreunden an einem Heurigentisch beim Rupertikirtag in Hernals. Die Stiftskapelle Dornbach spielt Blasmusik, es gibt Käsekrainer und Schaumbecher. Cap hat sich umgezogen, er trägt jetzt einen blauen Seidenschal und Sakko. Er wirkt ein bisschen wie vom Hohen Haus herabgestiegen. Nur selten geht er auf Leute zu, doch sie kommen ohnehin zu ihm.
Der Gutsverwalter des Stifts St. Peter, Gastgeber des Rupertikirtags, setzt sich in einer Lederhose zu Cap. Sie tauschen sich aus über die EU, den Papst und den Kapitalismus. Cap macht das sichtlich Spaß. "Es ist mein Lebenselixier, mit den Menschen zu reden und mir ihre Probleme anzuhören", sagt er später. Aber stimmt das wirklich? Als der Gutsherr verschwunden ist, kommt ein Pensionist an den Tisch. Er kennt Cap aus dem Fernsehen und will ihm etwas erzählen. Der Pensionist redet über seine Gemeindewohnung in Döbling, es geht um Schimmel, Fliesen und die Fassade im Karl-Marx-Hof. Cap gibt sich Mühe, aber wirklich interessiert ihn das nicht. "Schauen S’ einmal", sagt Cap und holt eine seiner Wahl-Postkarten hervor. "Da steht’s ganz oben: 'Sicherheit ist für mich ein Grundrecht.' Wir kümmern uns auch, Sie müssen nicht Blau wählen", sagt Cap. Der kleine Pensionist und Cap, sie verstehen sich nicht so recht, nicht nur weil die Dornbacher Blasmusik immer lauter spielt.
Caps Lebenselixier ist mehr das schnelle Denken und Reden als das lange Zuhören. Am selben Tag, an dem er sich laufend durch Hernals quälte und durch den Kirtag lächelte, hält er noch eine Rede beim Integrationsfest in Döbling. Ein SPÖ-Event, aber es scheint sich seit 1983 einiger Unmut zwischen Cap und die Parteibasis geschoben zu haben. Als er zum Mikrofon greift, schauen die Parteigänger kaum von ihren Würsteln und weißen G’spritzten auf. Cap merkt das sofort – und dreht richtig auf. Auch die Abgeordnete Katharina Kucharowits und seine Konkurrentin Yilmaz reden auf der Veranstaltung, aber Cap spricht länger, lauter und lustiger. Er veralbert wortreich Kurz’ Wahlplakate. "Hält er uns alle für Idioten?", fragt er energisch. Am Ende bekommt er den längsten Applaus aller Redner.
Er hat die Zuhörer wieder einmal gekriegt und sein rhetorisches Parfum versprüht. Oft wird Cap jedoch auch mit Skepsis begegnet. Er hat in 34 Jahren für seine Partei oft schöngeredet, was nicht so schön war. Selbst der beste Verkäufer verspielt auf Dauer seinen Kredit. Aber manchmal kriegt er die Leute eben immer noch. Josef Cap will unbedingt noch einmal ins Parlament, ins angemessene Auditorium für seine Redekunst. Wie ein Fisch, der am liebsten im eigenen Wortschwall schwimmt.