Nach Jahrzehnten schafft es endlich wieder ein Alzheimer-Medikament in die US-Zulassung. Die Entscheidung ist umstritten, denn das Präparat greift zwar im Gehirn die typischen Ablagerungen an, hält aber den Gedächtnisschwund nicht sicher auf. Sucht die Alzheimerforschung die Heilung am richtigen Ort?
Von Lukas Kohlenbach | 06.02.2022
In der Infusion ist der neue Wirkstoff - oder aber ein Placebo Antikörper markieren Amyloid-Ablagerungen Hoch umstrittene Entscheidung der US-Zulassungsbehörde Aducanumab verringert Amyloid - aber hilft es dem Gedächtnis? Auffällige Ablagerungen im Hirn einer früh Verstorbenen Diagnose von Alzheimer nach den Standards des Entdeckers PET - ein hilfreiches, aber teures bildgebendes Verfahren Gelbe und rote Farbtöne bedeuten: Amyloid-Ablagerungen Auch normale, gesunde Zellen produzieren Amyloid Hohe Problem-Chance in Nervenzellen und im Gehirn
Seine Entdeckung legt den Grundstein für die spätere Entwicklung von Anti-Amyloid-Therapien. „Erst mal hat man damit schlagartig über Nacht ein Zellkultursystem, wie es einfacher nicht ist, in der Hand gehabt, um die Produktion zu studieren und auch Medikamente zu finden, die das wiederum verhindern. Und gleichzeitig konnte man dieses System auch verwenden, um nach Medikamenten zu suchen. Die Medikamente, die die Produktion reduzieren. Es war ein Riesen-Durchbruch gewesen, damals, der über Nacht auch das gesamte Arbeitsgebiet letztendlich auf den Kopf gestellt hat."
Doch wenn Amyloid im gesamten Körper produziert wird, warum wird es dann gerade bei Alzheimer-Patienten zu einem Problem? Christian Haass: „Der Grund ist ein ganz einfacher: Solche Gene, die werden unterschiedlich stark abgeschrieben in verschiedenen Zelltypen. Und ausgerechnet dieses Gen, was dieses Amyloid kodiert, wird extrem stark, also super, extrem stark in Nervenzellen abgeschrieben und dort mit Abstand am meisten gemacht. Es ist eines der häufigsten Proteine in den Nervenzellen überhaupt. Und damit ist natürlich die Chance, dass im Gehirn was passiert, drastisch höher."
Die Entstehung von Amyloid ist nicht der einzige zellbiologische Vorgang, den Forscher damals untersuchen, um mehr über die Ursachen der Alzheimer-Erkrankung zu erfahren. Auch die Tau-Fibrillen sollen eine Rolle spielen. Und auch Entzündungen im Gehirn von Alzheimer-Betroffenen wecken Forschungsinteressen. Doch die verschiedenen Erklärungsansätze werden entweder in die Amyloid-Kaskaden-Hypothese integriert oder nur von wenigen Wissenschaftlern verfolgt.
Denn es gibt gute Gründe, Amyloid am Beginn der Kaskade zu sehen, sagt Christian Haass. „Argumente für die Amyloid-Kaskade sind meiner Meinung nach ganz klar zuallererst die Genetik! Wir wussten bereits seit 1988, dass das Gen, das das Amyloid kodiert, auf Chromosom 21 liegt und jeder weiß, was bei einer Trisomie 21 passiert. Die Patienten entwickeln Down-Syndrom. Was die meisten nicht wissen ist, dass die Patienten im Alter von 50 etwa einen verfrühten Alzheimer obendrauf bekommen."
Offensichtlich führt die zusätzliche Kopie des Amyloid-Gens zu einer genetisch bedingten Alzheimer-Erkrankung bei Down-Syndrom-Betroffenen. Auch ohne Trisomie 21 erkranken manche Menschen schon weit vor dem sechzigsten Lebensjahr an einer Alzheimer-Demenz. Diese seltenen Fälle sind vererbt. Erkrankt ein Elternteil an dieser frühen Form von Alzheimer, sind auch die Kinder in der Hälfte der Fälle betroffen. Schon Anfang der 1990er-Jahre identifizieren Forscher die Veränderungen im Erbgut, die für die Erkrankung verantwortlich sind.
Christian Haass: „All diese Mutationen machen ein und dasselbe. Sie erhöhen entweder die Produktion, die totale Menge des Amyloids oder sie machen ein längeres Amyloid und es verklebt schneller. Es bildet schneller die Plaques. Und das ist für alle diese Gene gleich!"
Im Dezember 2021 fällt auch diesseits des Atlantiks das Urteil. Monatelang hat die europäische Arzneimittelagentur beraten. Am Ende entscheidet sie anders als die FDA. Aducanumab wird in der EU nicht zugelassen. Christian Behl überrascht das nicht. „Aufgrund der Datenlage hatte die EMA aus meiner Sicht überhaupt keine andere Möglichkeit als die Zulassung zu verweigern."
Und Christian Haass? „Ich möchte die Entscheidung nicht kritisieren. Da sitzen Fachleute in dem entsprechenden Rat, die wissen, was sie getan haben. Die haben das gut begründet. Ich würde es nur nicht als ein Zeichen dafür betrachten, dass die Immunisierung gegen Alzheimer nicht wirksam ist und nicht weiterverfolgt werden sollte. Das wäre ein fatales Signal."
Nachgefragt wird Aducanumab in den USA kaum. Das staatliche Versicherungsprogramm Medicare hat angekündigt, die Kosten nur für Patienten im Rahmen klinischer Studien zu übernehmen. Christian Haass: „Ich glaube das wird das Feld sogar noch einmal anfeuern, um noch mehr Daten zu liefern, bessere Daten zu liefern; und es sind ja noch einige weitere klinische Versuche momentan unterwegs, die bereits recht hoffnungsvolle Daten haben, auch in Bezug auf Gedächtnisstabilisierung. Und die werden natürlich jetzt ganz und gar nicht aufgeben, sondern im Gegenteil sich richtig beeilen und versuchen, wirklich gute Daten letztendlich zu liefern."
Die Alzheimer-Forschung wurde von der Amyloid-Hypothese lange Zeit dominiert. Bis heute gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Amyloid eine wesentliche Rolle bei der Erkrankung spielt. Doch hätte sich die Medikamentenentwicklung nicht schon frühzeitig auf das Eiweiß als Zielmolekül fokussiert, vielleicht hätten wir heute mehr in der Hand als Antikörper-Präparate, die, wenn überhaupt, einen überschaubaren Effekt auf die Gedächtnisleistung von Alzheimer-Betroffenen zeigen.
Eine Heilung von Alzheimer, das wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Ein großer Erfolg wäre es schon, Betroffene in einem gewissen Stadium ihrer Erkrankung zu stabilisieren.
Christian Haass: „Das ist mein großer Lebenstraum, dass wir so was mal erleben. Wir wollen nicht mehr, als einen Patienten, der in die Klinik kommt, an dem Stadium aufhalten, mit dem er in der Klinik auftaucht. Und das zu erreichen, da haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Einen sehr, sehr weiten Weg."