Bei diesem Jungen glaubte ich nicht, dass etwas schiefgehen wird. Er trägt einen dieser kurzen Neoprenanzüge, die sonst nur die Jungs tragen, die gerne Tricks aus großer Höhe machen. Und so entschlossen, wie er auf den Siebenmeterturm geklettert ist, dachte ich: Der weiß, was er tut. Als Bademeister habe ich einen geschulten Blick.
Jens Probst
44, arbeitet als Bademeister im Kölner Agrippabad.
Doch diesmal täusche ich mich. Der Junge hüpft, es soll wohl eine Kerze werden, aber er verliert die Kontrolle und kippt vornüber. Sein Brustkorb klatscht auf die Wasseroberfläche. Ein lauter Knall. Sofort schießt Adrenalin durch meine Adern. Eben stand ich noch am Beckenrand und beobachtete springende Kinder mit ihren Eltern, die sie anfeuerten. Jetzt gibt es nur noch den Jungen und mich. Kurz warte ich, ob es der Schock ist, der ihn reglos macht. Das passiert oft: Nach einem Bauchplatscher bleiben die Kinder einen Moment auf dem Wasser liegen, dann fangen sie an zu schreien vor Schmerz. Doch der Junge schreit nicht, und als sich sein Rücken nach oben wölbt und sein Gesicht sich im Wasser vergräbt, weiß ich, dass er bewusstlos ist. Ich ziehe das Funkgerät aus der Tasche, lasse es fallen und springe ins Becken.
Zwei starke Beinschläge ziehe ich unter Wasser, dann tauche ich vor ihm auf. Vorsichtig lege ich meine rechte Hand unter seine Achsel und ziehe ihn zu mir heran. Am Beckenrand steht mein Kollege bereit, um den Jungen herauszuziehen. Ich will ihn gerade auf den Rücken drehen und in den Schleppgriff nehmen, als er zu sich kommt. Er hustet Wasser.
In den sieben Jahren, die ich den Job mache, habe ich sieben Menschen vorm Ertrinken gerettet. Jetzt, wo der Junge wieder bei Bewusstsein ist, spüre ich die Euphorie im ganzen Körper. Ich muss lächeln, und für einen Moment entwickele ich fast Vatergefühle. Alles gut, Kumpel, gleich haben wir es geschafft. Ich schwimme schneller, bis zum Beckenrand sind es nur noch wenige Meter. Als der Kollege den Jungen an beiden Armen aus dem Wasser zieht, weitet sich mein Tunnelblick. Umstehende applaudieren. Schemenhaft erkenne ich, wie der Junge auf eine Trage gelegt wird.
Einige Sekunden verharre ich noch im Wasser, atme durch, dann ziehe ich mich am Beckenrand hinauf und gehe in die Umkleidekabine. Mir hilft es, nicht zu viel über den Jungen zu wissen. Er wird mich ohnehin noch einige Tage emotional begleiten. Noch wackelig auf den Beinen, ziehe ich mir etwas Trockenes an. Für den Moment genieße ich nur die Erinnerung an den Applaus. Es ist der Ersatz für ein Dankeschön des Jungen, das ich nie hören werde.
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Protokoll: Luisa Thomé