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Russische Medien: Hinter den Kulissen der Propaganda

Fragt man ehemalige Angestellte russischer Staatsmedien, wie sie den 24. Februar 2022 erlebt haben - jenen Tag, an dem die Ukraine überfiel -, dann zittern ihre Stimmen, einigen treten Tränen in die Augen. "Ich hatte eine Panikattacke, ich hatte so ein schlechtes Gewissen, für diesen Staat zu arbeiten", sagt eine Person, die in der Redaktion der russisch finanzierten Videoagentur Ruptly gearbeitet hat. "Ich bin fast zusammengebrochen, konnte dann 40 Stunden lang nicht schlafen", sagt ein ehemaliger RT-Mitarbeiter in Moskau. "Ich habe mich gefühlt wie ein Roboter", sagt ein weiterer, der an dem Tag über die Invasion berichten musste, "wie fremdgesteuert." Innerhalb weniger Stunden sei ihm klargeworden: Er könne keinen Rubel mehr vom russischen Staat nehmen.

Sie kündigten noch am selben Tag, so wie Dutzende weitere Angestellte russischer Auslandsstaatsmedien seit Kriegsbeginn. ZEIT ONLINE konnte mit fünf von ihnen sprechen. Einige arbeiteten jahrelang im Berliner oder im Moskauer Büro von RT, andere bei der ebenfalls mit russischem Staatsgeld finanzierten Videonachrichtenagentur Ruptly, die ihren Sitz in Berlin und nach eigenen Angaben Dependancen auf der ganzen Welt hat. In teilen sich einige Dutzend Ruptly-Mitarbeitende ein Büro mit RT. Während Ruptly nicht immer auf den ersten Blick als Sprachrohr Russlands zu erkennen ist, vertritt RT - früher unter dem Namen Russia Today bekannt - die Interessen der Regierung im Kreml klar und deutlich. Bereits 2012 sagte Chefredakteurin Margarita Simonjan: So wie ein Verteidigungsministerium sich auch in Friedenszeiten für einen Krieg bereithalten müsse, so halte sich auch RT bereit - als Waffe im Informationskrieg.


Jetzt, da ein echter Krieg begonnen hat, wollen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht als Waffe dienen. Aus Entsetzen über die Rolle ihrer ehemaligen Arbeitgeber in diesem Krieg und seiner gesteuerten medialen Begleitung sprechen die fünf Ehemaligen erstmals offen über das, was sie dort erlebt haben - darüber etwa, wie der politische Druck auf sie schon lange vor Kriegsbeginn stieg. ZEIT ONLINE hat die Pressestellen von RT und Ruptly per E-Mail mit den Vorwürfen dieser Ehemaligen konfrontiert. Beide schickten jeweils ein kurzes Statement, gingen jedoch im Detail auf viele Fragen nicht ein. Eine Interviewanfrage an die RT-Chefredakteurin blieb unbeantwortet. ZEIT ONLINE konnte jedoch ein Datenleak auswerten, in dem sich interne Dokumente und Chatscreenshots fanden. Sie offenbaren die Agenda der russischen Staatspropaganda - und zeigen, auf welche Weise Führungskräfte mit gutem Draht zum Kreml bei heiklen Themen kontrollierten, was gesagt, geschrieben und gezeigt werden durfte. Die Protokolle legen sogar nahe, dass die Chefin von RT DE und Ruptly vor Kriegsbeginn über Russlands militärische Pläne informiert war - aber schwieg.


Weiter: https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-05/russland-medien-propaganda-ukraine-krieg-pressefreiheit


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