1 subscription and 1 subscriber
Article

Folgen der Kolonialzeit: Regionalsprache Wolof im Senegal im Aufwind

Schüler in Senegals Hauptstadt Dakar: Obwohl sie daheim viele unterschiedliche Sprachen sprechen, ist der Unterricht auf Französisch. (Archivbild) Quelle: AP

Bis heute wirkt im Senegal der Kolonialismus nach. Die Menschen sprechen die Landessprache Wolof, in vielen Institutionen zählt aber nur Französisch. Wie gehen Schulen damit um?

Von Lucia Weiß

Der Senegal war noch nicht lange von Frankreich unabhängig geworden, da kam Thierno Cissé in der Hafenstadt Rufisque in die Schule. Eine Erinnerung hat sich eingeprägt: Am ersten Schultag verstand er - nichts. "Der Lehrer sagte auf Französisch 'steht bitte auf und setzt euch hin'", sagt Cissé. "Aber ich konnte nur Wolof". Cissé musste zum Schulstart erst eine andere Sprache lernen, bevor er richtig loslegen konnte.

Sprachen haben Cissé seitdem nie mehr losgelassen. Seit vielen Jahren ist er Professor für Linguistik an der staatlichen Universität in Dakar. Sein erster Schultag war 1962 - aber noch heute erlebten die Kinder im Senegal das Gleiche, erzählt Cissé. Und das sei einProblem für die senegalesische Gesellschaft.

Seifenopern machten Wolof populär

Wie in vielen afrikanischen Ländern ist auch im Senegal das Französische nach dem Ende der Kolonialzeit die offizielle Sprache. Es wird in der Politik, den Medien und der Bildung benutzt. Daneben gibt es mehr als 20 von der Regierung anerkannte Nationalsprachen. Aber eine davon sticht heraus: Wolof, das von fast allen Menschen im Senegal gesprochen und verstanden wird. Unabhängig davon, ob sie eine andere regionale Muttersprache haben.

Wolof hat sich zu einer Verkehrssprache entwickelt.

Professor Thierno Cissé, Universität Dakar

Das liege vor allem daran, dass es seit den 1980er Jahren durch das Fernsehen und Radio populär wurde. Heute gibt es jede Menge TV-Shows und Seifenopern auf Wolof.

Gegen eine "Kolonisierung des Geistes"

Aber der Schulunterricht ist weiterhin nur auf Französisch. Seit Jahren fordern Kritiker, die nationalen Sprachen in die Erziehung miteinzubeziehen. Die Debatte ist wegen der historischen Verbindung des Französischen zur Kolonialherrschaft stark aufgeladen.

So spricht der senegalesische Journalist Paap Seen von einer "Kolonisierung des Geistes", der Einhalt geboten werden müsse. Er steht damit in der Denktradition ganzer Generationen senegalesischer Intellektueller - wie dem im Land hochverehrten Wissenschaftler Cheikh Anta Diop, der Teile von Einsteins Relativitätstheorie ins Wolof übersetzte.

Französisch soll nach und nach dazu kommen

Der Linguist Cissé will die ganze Sache pragmatischer angehen - auch wenn er zugibt, dass er als junger Mann das Französische ähnlich scharf kritisiert hat. "Viele schaffen die Schule nicht wegen der Sprachbarriere. Was mich interessiert ist, dass die Kinder im Senegal den Zugang zur Welt in ihrer Sprache finden dürfen. Es geht mir nicht darum, das Französische komplett abzulehnen." Das komme dann als zweite Sprache in der Schule nach und nach dazu. Angesichts der Geschichte des Senegals stellt Cissé fest:

Das Bildungssystem hier kann niemals nur einsprachig funktionieren.

Professor Thierno Cissé, Universität Dakar

Der Senegal muss mehr an die Zukunft denken, findet Cissé. "Die Frage ist, was soll aus diesen Kindern werden?" Ohne das Französische sei es eben nicht möglich, zu studieren. Denn zu viele Fachausdrücke gebe es in den Regionalsprachen einfach nicht. In der Vergangenheit hat Cissé daran mitgearbeitet, einige dieser Lücken zu schließen und die Sprache quasi upzudaten. "Aber es ist zu viel. Das können wir niemals einholen."

Corona-Informationen zuerst nur auf Französisch

Für die breite Bevölkerung, von der bisher nur ein kleiner Teil eine höhere Schulbildung erreichen kann, müssten wichtige Inhalte des Zusammenlebens immer auch in Wolof kommuniziert werden. Zu Beginn der Corona-Pandemie habe es die Informationen nur auf Französisch gegeben.

"Ich war einer der Ersten, der Übersetzungen über Social Media verbreitet hat", sagt Cissé. Worte wie "Desinfektionsmittel" oder "Maske" gibt es im Wolof so nicht. "Aber die Leute verstehen die Botschaft trotzdem, wenn man einzelne Begriffe auf Französisch lässt."

Das entspricht auch der sprachlichen Realität im Senegal: In den Städten - in denen fast die Hälfte der Bevölkerung lebt - wird ein lebendiges Wolof gesprochen, das Französisch punktuell beimischt.


Original