Viele Migranten erreichen Europa über das Mittelmeer und landen zunächst auf Sizilien. Der Bürgermeister von Palermo sieht Frontex und Abschottung als falschen Weg.
Das Europaparlament hat sich für den Ausbau der EU-Grenzschutztruppe Frontex auf bis zu 10.000 Beamte ausgesprochen. Zudem sollen die Regeln zur Visumvergabe verschärft werden. Palermos Bürgermeister erklärt im Interview, warum er eine zunehmende Abschottung Europas für den falschen Weg hält:
Zur Person: Leoluca Orlando
Der Jurist Leoluca Orlando (*1947) war zwischen 1985 und 2000 Bürgermeister von Palermo und steht seit 2012 wieder der sizilianischen Hauptstadt vor. 2017 wurde er wiedergewählt. Orlando engagierte sich gegen die Mafia und stellte sich auch gegen Silvio Berlusconi. Von 1994 bis 1997 war er Abgeordneter im Europa-Parlament für die von ihm gegründete Bewegung "La Rete" (Das Netz). Seit 2018 verortet sich Orlando beim Mitte-links gerichteten Partito Democratico. Orlando erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen, darunter die Goethe-Medaille, den Deutschen Nachhaltigkeitspreis (2013) und 2018 den Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf.
Bildquelle: Gerald Bruneau
Orlando: Wie Sie wissen, weigere ich mich, das Salvini-Gesetz ( decreto Salvini) umzusetzen. Es ist inakzeptabel und betrifft die Migranten, die legal in Italien leben. Von heute auf morgen wird ein Minderjähriger illegal, der seit drei, vier Jahren in Italien lebt. Mit 18 verliert er den Schutzstatus und versucht, sich auf dem Bürgeramt ins Melderegister eintragen zu lassen, aber der Bürgermeister verweigert ihm das auf Grundlage von Salvinis Gesetz. Ich unterschreibe weiter die Anträge hier in Palermo und warte darauf, angeklagt zu werden. Wenn man mich eines Tages anzeigen sollte - und bis jetzt hat das keiner getan - werde ich Danke sagen. Denn dann komme ich vor einen Richter und verlange, die Sache vor dem Verfassungsgerichtshof zu verhandeln.
Orlando: Das scheint mir kein guter Weg zu sein, denn wir sprechen hier nicht über Gesten, sondern über Menschenrechte. Ich lehne außerdem die Logik der Mehrheit ab. Ich bin der Verfassung und meinem Gewissen verpflichtet. Und eines ist sicher. Ich kann alles Mögliche akzeptieren, aber nicht, dass Palermo in einem zweiten Nürnberger Prozess angeklagt wird. Denn ich glaube, dass die Situation, die wir heute erleben, einmal in einem solchen Prozess verhandelt werden wird.
Der erste Nürnberger Prozess wandte sich gegen Deutsche und Italiener, Nazis und Faschisten, der zweite wird sich gegen die EU-Staaten wenden. Die EU erkennt einem Menschen zu, Asyl zu beantragen und dann in Europa zu bleiben. Aber was für ein Recht ist das, wenn der Rechteinhaber Europa gar nicht auf legalem Wege erreichen kann?
Orlando: Die EU muss sich auf ihre Wurzeln besinnen. Die EU ist ein außergewöhnlicher Zusammenschluss von Minderheiten. Die Deutschen sind nicht in der Mehrheit, die Franzosen nicht und so weiter. Und ich glaube, der beste Weg, diesen Zusammenschluss aufrechtzuerhalten ist, alle aufzunehmen. Kanzlerin Merkel hatte eine besonders positive und vorausschauende Mission, aber es scheint, dass dieses Bild von Deutschland immer mehr verblasst. Ich weiß nicht, warum. Aber es tut mir weh, dass ich als Italiener unter einem Innenministerium leiden muss, das den jungen Mussolini hat, der Salvini heißt. Das macht mich wütend, dass Deutschland da kein positives Signal sendet. Darf ich Deutschland bitten, mit Stolz seine Führungsrolle in der Aufnahmepolitik zu übernehmen?
Auch in diesem Frühling werden aufgrund milderer Wetterverhältnisse und ruhigerer See erneut Flüchtende die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten. Frontex ist vor der griechischen Küste unterwegs, wir begleiten einen ihrer Einsätze.
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